Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Verkehr 1. November 2025

Auf die Tagesordnung muss die Vergesellschaftung der Deutschen Bahn
von Paul Michel

Eines muss man dem Bundesverkehrsminister lassen: Mit der Wahl von Evelyn Palla zur Bahnchefin hat er alle überrascht. Sie hat nämlich einen Lok-Führerschein und kann tatsächlich Zug fahren. Welch ein Unterschied zu Hartmut Mehdorn (1999–2009) oder Rüdiger Grube (2009–2017)! Von 2011 bis 2019 war Palla Managerin bei der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB), die vieles besser macht als die DB. Als Regionalverkehrsvorständin bei der DB habe sie dann gute Arbeit geleistet, bescheinigen ihr Medien (etwa die Taz am 21.9.: »Sie hat gezeigt, dass sie es kann.«)

Der Bahnexperte Arno Luik (Autor von Schaden in der Oberleitung) bemängelt allerdings, dass Palla bisher kein einziges kritisches Wort zur geplanten Generalsanierung von 41 der am stärksten befahrenen Strecken fand. Diese Bauarbeiten werden bis 2035 jeweils zu mehrmonatigen Vollsperrungen führen. Stattdessen könnte die Sanierung auch »unterm rollenden Rad« erfolgen, argumentiert Luik: auf einem Gleis reparieren, während auf dem anderen Gleis der Verkehr weiterläuft.
Luik und das Bündnis »Bürgerbahn« kritisieren zurecht, dass die Sanierung bei den Rennstrecken beginnt. Stattdessen sollten zunächst jene Strecken modernisiert werden, die die Masse der Passagiere nutzt: die Verbindungen in der Fläche, zwischen den mittleren und kleineren Städten. Nützlicher wäre es, die dortigen Langsamfahrstrecken zu beseitigen, die Signaltechnik zu modernisieren, Weichen neu einzubauen und Ausweichmöglichkeiten zu schaffen, damit schnellere Züge langsamere überholen können.

Desaster mit Ansage
Die neue Bahnchefin und ihre Schmeichler vermeiden es, die Gründe für die katastrophale Situation zu benennen. Das Desaster ist die Folge der Privatisierung von 1994. Zwar ist die Bahn zu 100 Prozent in Staatsbesitz, soll aber als privatwirtschaftliche AG geführt werden.
Wegen der Orientierung auf Gewinnmaximierung galten Investitionen in die Infrastruktur im Bahnmanagement und bei den Verkehrsministern als reine Geldverschwendung. Der Betrieb in dünn besiedelten und ländlichen Gebieten war nur lästig. Hartmut Mehdorn sprach es offen aus: Nur die Rendite sollte über den Betrieb von Bahnverbindungen entscheiden.
Mit der Vorbereitung des Börsengangs nahm das Kaputtsparen so richtig Fahrt auf. Strecken wurden stillgelegt, Fahrzeuge verkauft, Wartungsintervalle hochgesetzt und Personal abgebaut. Seit 1994 wurde das Schienennetz um 17 Prozent verkürzt, von 40.000 Kilometern auf nur noch 33.000 Kilometer. 1994 gab es über 100.000 Weichen und Kreuzungen, heute sind es weniger als 70.000.
Immer mehr Städte werden vom Fernverkehr abgehängt. Züge können einander nicht mehr überholen. Deshalb führt mittlerweile eine einzige Verspätung in der Folge zu vielen weiteren. Zudem hat sich die Bahn vom Güterverkehr Schritt für Schritt verabschiedet, dafür verstopfen nun Lkw die Autobahnen.

Überflüssige Großprojekte
Zahllose Milliarden verschwinden in Großprojekten wie Stuttgart 21. Weil das Projekt nicht praxistauglich ist, sollen jetzt zu den rund 60 Kilometern bereits gegrabenen Tunneln noch weitere unterirdische 50 Kilometer hinzukommen. Für die diskutierte Verlegung des Bahnhofs in Hamburg-Altona und die Brenner-Zubringerstrecke von Rosenheim nach Kufstein würden jeweils zweistellige Milliardenbeträge fällig. Wenn die Bahn je auf einen grünen Zweig kommen will, muss sie sich von diesen nutzlosen und sündhaft teuren Protzprojekten mit ihren klimaschädlichen Tunnelbauten verabschieden.
Die geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecken (mit 300 km/h) sollten ebenfalls eingestellt werden. Statt die Wege von Metropole zu Metropole für viel Geld noch ein wenig schneller zu machen, muss die DB attraktive Angebote in der Fläche bieten.

Lebensgefährliche Tricksereien
Ein neuer Untersuchungsbericht zeigt, wie schlimm es um die Sicherheit steht. Er zeigt, dass die Bahn im Bereich Südbayern jahrelang massive Sicherheitsmängel verschwieg, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Wenn Bahnbeschäftigte wegen offenkundiger Mängel eine Langsamfahrstelle verfügen wollten, wurden sie von ihren Vorgesetzten massiv unter Druck gesetzt.
Das unverantwortliche Verhalten ist dem Entlohnungssystem der Bahn geschuldet: Führungskräfte werden daran gemessen, wie pünktlich die Züge sind. Tatsächlich jedoch kam es am 3.Juni 2022 bei Garmisch-Partenkirchen zu einem schweren Unfall, als ein Regionalzug auf dem Weg nach München mit 100 km/h wegen gebrochener Betonschwellen entgleiste. Fünf Fahrgäste kamen ums Leben, 16 Menschen wurden schwer und 62 leicht verletzt.
Richtig kriminell wird es bei Stuttgart 21. Christoph Engelhard von den »Ingenieuren gegen Stuttgart 21« nennt die 60 Kilometer langen Tunnel »die gefährlichsten der Welt«. »Wir haben enge Rettungswege, wir haben weite Abstände zu den Notausgängen und natürlich sehr viele Menschen, die mit den Zügen fahren. In Summe haben die Menschen eine sehr geringe Überlebenschance, wenn es zu einem Brand in dem Tunnel kommt.«

Wege aus der Misere
Evelyn Palla wird es nicht richten. Es wird sich nur etwas ändern, wenn aus der Gesellschaft massiver Druck kommt – und da ist die Verkehrswendebewegung gefragt. Es gibt zwar hier und da kleine Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um die Bahn wieder in die Spur zu bringen – konkrete Verbesserungsmaßnahmen vor Ort. Doch gute Vorschläge laufen ins Leere, solange die DB eine »Börsenbahn« bleibt, für die Gewinne das Maß aller Dinge sind. Wir brauchen eine andere Ausrichtung, nicht auf Profit, sondern aufs Gemeinwohl. Die Vergesellschaftung der Bahn muss auf die Tagesordnung.
Verkehr muss stärker von der Straße auf die Schiene verlagert werden, und das kann nur durch einen massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gelingen. Ein groß angelegtes Mobilitätsprojekt könnte nicht nur den Klimaschutz voranbringen, sondern tausende neue Jobs schaffen.
Franziska Heinisch, Journalistin und Politikerin der Linken, brachte es schon vor vier Jahren in einem Artikel in Jacobin auf den Punkt: »Die Umwandlung der DB AG in eine Bürgerbahn … könnte öffentlichen Wohlstand schaffen, statt Infrastruktur zur verscherbeln. Das würde die Lebensqualität von Millionen Menschen in Deutschland verbessern und Teilhabe für alle schaffen, statt immer mehr Städte, Regionen und Menschen buchstäblich abzuhängen. So ein Mobilitätsprojekt ist für die sozialistische Linke vielversprechend und könnte sogar Mehrheiten gewinnen.«

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