Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Arbeitswelt 1. Januar 2023

Stiftung oder Vergesellschaftung?
von Helmut Born

In SoZ 11/22 hat Hanno Raußendorff die Broschüre zur Zukunft der Stahlindustrie von Christian Leye, MdB, und Ulrike Eiffler, Mitglied des Sprecher:innenrates der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft, vorgestellt. Darin plädieren beide für die Bildung einer Stahlstiftung, nach dem Vorbild der saarländischen Industriestiftung.

Diese Position geht zurück auf eine alte Debatte in der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, im Gefolge der Krise, in der sich Thyssen-Krupp bis 2020 befand. Inzwischen hat es bedeutende Umstrukturierungen, bis hin zu Betriebsschließungen, und eine wirtschaftliche Belebung in der Stahlindustrie gegeben. Das hat dazu geführt, dass der Konzern nun wieder deutliche Gewinne ausweist. Was bleibt, ist der Umbau auf eine auf Wasserstoff basierende Produktion, damit auch die Stahlindustrie einen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes leistet.
Die Stahlindustrie gehört, neben der Chemie- und Energieindustrie, zu den Bereichen, die einen sehr hohen Beitrag zur Klimaerwärmung leisten. Die Umstrukturierung der Stahlindustrie findet mit staatlicher Unterstützung statt, sonst würde es diesen Umbau nicht geben. Zumindest ist das die Erzählung der Konzernspitze und auch der IG Metall. Die Frage, wie in Zukunft die Stahlindustrie in Deutschland aussehen soll, bleibt also auf der Tagesordnung, und damit auch die Frage der Eigentumsverhältnisse.

Utopie oder reale Möglichkeit?
In einem Debattenbeitrag zu dieser Diskussion haben mehrere Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) in NRW eine andere Position vertreten, nämlich die nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie. Sie knüpfen damit an eine alte Debatte in der IG Metall an, die schon in ihrem Stahlmanifest von 1985 die Vergesellschaftung forderte. Die Vergesellschaftung sollte u.a. dem Zweck dienen, die Arbeitsplätze zu erhalten, ist doch der Arbeitsplatzabbau in der Stahlindustrie besonders heftig – von 288000 im Jahr 1980 bis auf 80000 heute.
Aber in der IG Metall hat sich der Wind gedreht, in der letzten Stahlkrise, die eigentlich eher als Krise von Thyssen-Krupp bezeichnet werden müsste, hat die Gewerkschaft nur noch eine Beteiligung des Landes NRW gefordert.
Demgegenüber vertreten die Autoren des genannten Debattenbeitrags weiterhin die Forderung nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie, da Stahl auch in Zukunft für viele gesellschaftlich wichtige Produkte wie Gleise, Züge, Busse, Fahrräder, den Wohnungsbau usw. gebraucht wird.
Erforderlich sei eine Ausrichtung auf sozialökologische Unternehmensziele, die sowohl den Interessen der Belegschaften nach sicheren Arbeitsplätzen als auch den ökologischen Erfordernissen entspricht. Es wird weniger Ressourcenverbrauch, mehr Recycling und eine reduzierte, wasserstoffbasierte Produktion mit Beschränkung auf die gesellschaftlich wichtigen Bereiche gefordert. Sie soll nicht weiter den Profierwartungen der Konzerne unterworfen werden, sondern den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen.

Welche Form der Vergesellschaftung?
In ihrem Beitrag umschreiben die Autoren ihre Vorstellung der Vergesellschaftung wie folgt:
»Vergesellschaftung bedeutet für uns keineswegs nur den einfachen Ersatz von privatem Kapital durch öffentliche Mittel bzw. Anteilseigner. Erreicht werden muss auch die Demokratisierung von Management und Entscheidungsstrukturen. In welcher Form dies erreicht wird, wird in den Betrieben demokratisch entschieden werden müssen. Praktisch kann das auf ein betriebliches Rätesystem hinauslaufen. Die Beschränkung der Produktion auf gesellschaftlich relevante Güter und die damit verbundene Abschaffung der kapitalistischen Überproduktion erfordern ebenfalls eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Kurzfristig würde das die Einführung der 4-Tage-Woche bedeuten. Die Sicherung der Arbeitsplätze und die parallel nötige Dekarbonisierung verlangen einen mittelfristigen Prozess, in dem die sozialen und die ökologischen Ziele statt Profitinteressen absolute Priorität haben.«
Im Gegensatz zu einer Stiftung bedeutet eine solche Vergesellschaftung unter der Kontrolle der Belegschaften einen Bruch mit den kapitalistischen Mechanismen. Eine Stiftung lässt es kaum zu, dass eine demokratische Kontrolle der Belegschaft gewährleistet ist. Hier entscheidet der Stiftungsvorstand, wohin die Investitionen fließen sollen. Das zeigt sich auch im Saarland, wo es maximal bessere Mitbestimmungsmöglichkeiten von Betriebsräten und Gewerkschaften gibt. Auch hier gibt es einen massiven Arbeitsplatzabbau und keine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit zum Erhalt der Arbeitsplätze.
Der entscheidende Unterschied ist: Die Vergesellschaftung von Betrieben unter der Kontrolle der Belegschaften stößt die Tür zu einer Wirtschaft auf, die nicht der Profitmaximierung, sondern der Befriedigung gesellschaftlicher Interessen dient.

Teile diesen Beitrag:
1 Kommentar
  • 07.01.2023 um 14:02 Uhr, Thomas sagt:

    Vielleicht wäre es gut, die Texte, die man kommentiert, vorher mal zu lesen. Dann würden solch gravierende Missverständnisse nicht entstehen. Sowas macht mich immer etwas sprachlos.

    Christian Leye macht in deinem Beitrag „Warum wir für eine NRW-Stahlstiftung kämpfen“ in der Veröffentlichung doch wirklich mehr als deutlich, dass das vorgeschlagene Modell anders als die private saarländische Industriestiftung ein konkretes Vergesellschaftungsmodell darstellt.

    Das kann eigentlich niemand missverstanden haben, der die Texte auch liest, bevor er sie kommentiert…

    Zitat aus der Bröschüre (https://christian-leye.de/2022/09/15/neuerscheinung-stahlindustrie-transformieren/):

    „Gleichwohl ist das Modell der saarländischen Montan-Stiftung nicht vollständig mit dem vergleichbar, was DIE LINKE für die Übernahme der Stahlwerke von Thyssenkrupp vorschlägt. So brachte das Saarland zwar seine im Landesbesitz befindlichen Anteile an den Stahlwerken in die private Stiftung ein. Ansonsten ist das Land aber
    nicht beteiligt – während wir eine Stiftung vorschlagen, die vollständig in öffentlicher Hand ist.

    Das ist wegen der Unterschiede in der Höhe der notwendigen Investitionen sinnvoll: In den gut 20 Jahren ihrer Existenz hat die saarländische Montan-Stiftung schätzungsweise zwei Milliarden Euro in die Modernisierung der Anlagen investiert – also deutlich weniger als die Summe, die nun zum klimaneutralen Umbau der
    Werke von Thyssenkrupp notwendig sind. Die enorme und wohl nur gesamtgesellschaftlich zu stemmende Summe, die für den sozial-ökologische Transformation der NRW-Stahlindustrie notwenig ist, stellt eines der wichtigsten Argumente dafür dar, warum DIE LINKE eine Stiftung in öffentlichem Eigentum vorschlägt. Wenn
    dermaßen große Investitionen aus Steuergeldern getätigt werden, dann sollte das Unternehmen hinterher auch der Allgemeinheit gehören.

    Das öffentliche Modell eröffnet außerdem die Chance, die Formen der Mit- und Selbstbestimmung durch Belegschaft, gewerkschaftliche und gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure im Vergleich zur Montan-Stiftung wesentlich auszubauen, die im Kern durch ein siebenköpfiges Kuratorium kontrolliert wird, welches als Vertretung der Eigentümerin der zur Stiftung gehörenden Unternehmen die Geschäftsführung bestellt und überwacht. Das Modell der Selbst- und Mitbestimmung im Detail auszuarbeiten, das wird eine der zentralen Aufgaben im Rahmen des Gründungsprozesses der Industriestiftung NRW sein.

    Eine erfolgreich arbeitende Stiftung kann zu einem Instrument werden, um die notwendige ökologische Transformation der Stahlindustrie sozial gerecht abzusichern, sie demokratischer und nachhaltiger zu gestalten. Dabei ist die Gründung einer öffentlichen Industriestiftung keineswegs die einzige denkbare Organisationsform zur Vergesellschaftung. Aber es ist diejenige, die für die spezifischen Probleme und Herausforderungen der NRW-Stahlindustrie am besten passt. Im Rahmen einer fortschrittlichen und gemeinwohlorientierten Industriepolitik kann sie außerdem in einen größeren transformativen Prozess eingebunden werden, der weit über diesen einen Industriezweig hinausreicht. Dafür fordert DIE LINKE einen finanziell gut ausgestatteten industriellen Transformationsfonds, der Mittel demokratisch kontrolliert als öffentliche Beteiligungen vergibt. Im Rahmen dieses Fonds können die notwendigen sozial-ökologischen Veränderungsprozesse in verschiedenen Branchen mit jeweils passgenauen Konzepten gestaltet werden.“


Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.