Alternativlos ist nur der Frieden
von Albrecht Kieser
Fabian Scheidler: Friedenstüchtig. Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen. Wien: Promedia, 2025. 224 S., 18 Euro
Es braucht jetzt solche Bücher, die zusammendenken, was zusammen gehört: der Krieg gegen den Globalen Süden, der Krieg gegen die Natur, der Krieg gegen Corona, der Krieg um die Ukraine, der Krieg Israels gegen die Palästinenser.
Auslöser für diese Krise sind meist Gewaltakte oder Extremsituationen, auf die der kapitalistische Westen, so Scheidler, nach einem immer gleichen Muster reagiert, nämlich »mit Krieg oder kriegsähnlichen Zuständen«, wobei er »alternative Handlungsoptionen ausblendet«.
Woher diese Verengung, die in zahlreiche eskalierende Kriege, in maßlose Aufrüstung für den nächsten noch größeren Krieg und in der Brandmarkung zu bekriegender »innerer Feinde« mündet?
»Wir haben es mit drei ineinandergreifenden Prozessen des Umbruchs zu tun: einem geopolitischen Übergang, der das Ende des westlichen Hegemonie einläutet; einem inneren Zerfall der ökonomischen, politischen und weltanschaulichen Fundamente westlicher Gesellschaften; und einem sich anbahnenden Kollaps des bisherigen Gleichgewichts des Erdsystems und einem Übergang in ein neues Erdzeitalter.«
»Man kann auf eine solche Situation auf zwei unterschiedliche Weisen reagieren. Entweder man nimmt die Herausforderung an und akzeptiert, dass viele der bisher gewohnten Verhaltensweisen und Strukturen keine Zukunft mehr haben. Oder man versucht, die Tragweite der notwendigen Veränderungen zu leugnen, mit Gewalt die Kontrolle zu behalten und einen sterbenden Status quo zu verteidigen. Die politischen Eliten der westlichen Welt haben in den vergangenen 25 Jahren den zweiten Weg gewählt.«
Die Früchte des Krieges
Für Scheidler beginnt die Malaise mit dem »Krieg gegen den Terror« nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11.September 2001. Im Gleichschritt haben die USA angeblich dafür verantwortlichen Staaten den Krieg erklärt. Mit Afghanistan und zwei Jahre später dem Irak zerstörten sie und befreundete westliche Staaten zwei islamische Länder und töteten hunderttausende Zivilisten. Gleichzeitig schränkten die USA mit dem Patriot Act die Bürgerrechte massiv ein und setzten eine Million US-Bürger auf die Terrorliste, darunter Umwelt- und Friedensaktivisten.
»Was bleibt vom Krieg gegen den Terror? Vor allem verwüstete Länder im Globalen Süden, Millionen von traumatisierten Menschen und dauerhaft beschädigte Demokratien im Norden. Anlasslose Massenüberwachung und eine Aushebelung von Bürgerrechten wurden zu gängigen Praktiken westlicher Staaten, die Angst wurde zu einem Instrument der politischen Herrschaft. Zugleich wurde das Zeitfenster für eine friedens- und umweltpolitische Wende, das sich in den 1990er Jahren geöffnet hatte, geschlossen.«
Die Folge dieser Kriege war nicht etwa die Auslöschung, sondern die Befeuerung islamistischer Terrorgruppen. Scheidler diagnostiziert:
»Die mit der Kriegslogik verbundene Verzerrung der Wahrnehmung führt zu einer Verengung des Blickfeldes und einer Fokussierung auf einen einzigen Punkt: den Feind, den es zu besiegen gilt – und der durch diese Fixierung überdimensional groß wird. Dadurch verlieren Politik und Gesellschaft einen großen Teil der Realität und ihrer Komplexität aus dem Blick, einschließlich der Ursachen der Krise. Abwägungsprozesse werden unmöglich, Maßnahmen werden unverhältnismäßig und kontraproduktiv. Nebenwirkungen und Kollateralschäden werden ausgeblendet, selbst wenn sie größer sind als die gewünschten Effekte.«
Bewusst für Eskalation
So wenig wie der Westen im »Krieg gegen den Terror« alternative, diplomatische und friedensstiftende Maßnahmen geprüft, geschweige denn umgesetzt habe, so mutwillig habe er auch die folgenden Krisen zu Kriegen eskaliert. Alle Möglichkeiten, einen anderen Weg zu beschreiten, seien im Ukrainekrieg, im Gazakrieg und im »Krieg« gegen Corona außer acht gelassen worden.
Scheidler stellt die zahlreichen Kreuzungspunkte kenntnis- und detailreich vor, an denen der Westen die Eskalation wählte.
Dabei deckt der Autor wenig bekannte oder vorschnell vergessene Vorgänge auf, wenn er die Vorgeschichte der aufgezählten, schon lange heiß gelaufenen Kriege noch einmal spannend nacherzählt. Da er die Leser:innen dorthin mitnimmt, erkennen auch sie bei den politischen und wirtschaftlichen Eliten eine schon fast neurotische Haltung als handlungsleitend, die sie dazu treibt, sogar gegen die eigenen, zumindest langfristigen Interessen zu agieren:
»Der treibende Faktor« sei der »Anspruch auf grenzenlose Expansion und schrankenlose Herrschaft, der so typisch für die kapitalistische Zivilisation ist.« Der spitze sich zu auf »die Ausweitung des menschlichen Herrschaftsanspruchs über die Natur, sei es in Form der Ausbeutung und Zerstörung großer Naturräume, sei es durch Manipulationen von Mikroorganismen. Einmal mehr ist es die Besessenheit, alles zu erobern, alles haben, über alles verfügen zu können.«
Scheidler hofft dagegen auf die Kraft der (auch historischen) Aufklärung, der Empathie mit den Opfern auf beiden Seiten und auf die sozialen Bewegungen, wenn er abschließend feststellt: »Frieden auf der Erde und Frieden mit der Erde sind untrennbar.« Ihn zu erlangen »setzt die Fähigkeit voraus, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen«, den »Abschied von der Kriegslogik«.
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