Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

Antimilitaristische Positionen aus der Ukraine
von Angela Klein

AK Beau Séjour: Sterben und ­sterben lassen. Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt. Berlin: Die Buch­macherei, 2024. 208 S., 15 Euro

Die Buchmacherei ist schon ein kleines Trüffelschwein. Immer findet sie zu wichtigen Debatten Beiträge, die abseits des Mainstreams liegen und gerade deshalb höchst wertvoll sind.
So auch jetzt wieder zum Thema Ukraine. Das vorliegende Büchlein – klein gedruckt und mit ziemlich viel Stoff – leistet vier Dinge:

Es trägt aus dem anarchistischen Spektrum in der Ukraine, das gegen den Krieg eingestellt ist, unterschiedliche Positionen zusammen, wobei deutlich gesagt wird, dass auch in anarchistischen Kreisen die Strömung überwiegt, die für eine Teilnahme am Krieg ist. Dieser Überblick ist höchst interessant, weil dabei ziemlich unverblümt auch die reale Lage vor Ort geschildert wird (sehr ausführlich im Interview mit der Gruppe Assembly aus Charkiw).
Es bietet eine geschichtliche Einordnung des Krieges, die nicht nur auf das Ende der sowjetischen Ordnung 1991 zurückgeht, sondern auch die Parallelen zum Ersten Weltkrieg reflektiert.
Es betrachtet auch die postsowjetische Entwicklung in Russland und geht der Frage nach dem Charakter und den Kriegsgründen des russischen Imperialismus nach (ganz hervorragend dazu Felix Jaitner); und es beleuchtet die Rolle der Energiewirtschaft für die Herrschaft über die Ukraine.
Dabei kommt eine stattliche Zahl von Beiträgen ukrainischer, russischer und deutscher Autoren (alles Männer) zusammen, die jedoch alle eine verdaubare Länge haben.
Das Büchlein bezieht klar Position gegen solche Linke, für die »der Kampf gegen die russische Tyrannei oftmals Vorrang vor der Kritik am eigenen Imperialismus« hat. Es liefert Argumente gegen linke Geschichtsvergessenheit, die historisch unhaltbare Parallelen zieht. Es wendet sich gegen jede Beschönigung des russischen Imperialismus und gegen das gern gepflegte geopolitische Räsonnieren, das von konkreten Menschen und Klassen so leichthin absieht – ohne freilich die imperialen Machtinteressen auf beiden Seiten außer acht zu lassen.
»Auf die Klassendimension des Krieges hinzuweisen, ist Ziel des Herausgeber:innenkreises«, heißt es im Vorwort. Das ist durchaus gelungen, wenn man dabei auf den Blickwinkel schaut, aus dem heraus die Autoren argumentieren. Diese Dimension wäre noch anschaulicher ausgefallen, wenn auch einiges von den Bemühungen in der Ukraine aufgenommen worden wäre, sozialen Widerstand zu leisten und zu organisieren – und zwar nicht nur von politischen Gruppen, sondern auch von Gewerkschaften – überhaupt von den Bemühungen, zu konfliktbereiten gewerkschaftlichen Interessenvertretungen zu kommen.
Das sollte nachgeholt werden, sonst besteht die Gefahr, dass die Frage nach der Klassendimension zu einseitig behandelt wird.
»Nur eine Massenbewegung auf beiden Seiten der Front und in den Armeen selbst, ausgehend von einem Funken, den wir uns vielleicht jetzt noch nicht vorstellen können, kann der Welt, die den Krieg zum ersten Mal seit Jahren so nahe an die imperialen Kernländer gebracht hat, ein Ende setzen. Ich lehne die Kategorien von Unschuld und Schuld ab, die dazu dienen, Fremdenhass und Völkermord zu rechtfertigen. Wir sollten stattdessen versuchen, die Inseln des zivilen Widerstands auszuweiten und universalistische Gemeinschaften zu bilden. Der Imperialismus kann nicht von dem ihn antreibenden Wirtschaftsnationalismus getrennt werden«, sagt der Wehrdienstverweigerer Andrew schon ganz am Anfang des Krieges.
Es ist nicht unrealistisch anzunehmen, dass die Kritik an den inneren Zuständen der Ukraine gegenüber der Frage nach der Schuld zunehmen wird und den Krieg damit in einem anderen Lichte erscheinen lässt.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren