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Verkehr 1. April 2025

Megaprofite für Baukonzerne, Desaster für die Stadt
Gespräch mit Angela Bankert

Köln ist bekannt für seine Bauskandale – der letzte ereignete sich 2009 mit der Zerstörung des ehemaligen Stadtarchivs. Das Gebäude, das immerhin den Zweiten Weltkrieg in der stark zerbombten Stadt unbeschadet überstanden hatte, stürzte beim Bau an einem U-Bahn-Tunnel zusammen, ebenso zwei Nachbargebäude, zwei Menschen kamen ums Leben. Jetzt will eine Koalition aus CDU, SPD und FDP erneut in der Innenstadt Straßenbahnlinien unter die Erde verlegen. Dagegen regt sich Widerstand.

Gerhard Klas sprach mit Angela Bankert von der Bürgerinitiative Verkehrswende.

Hat die Stadt nichts gelernt aus der Vergangenheit?

Nein. Die Nord-Süd-Stadtbahn, bei deren Bau das Stadtarchiv einstürzte, ist immer noch nicht fertig. Für den jetzt geplanten Ost-West-Tunnel werden uns die gleichen Märchen erzählt wie damals: Die Stadt müsse ja nur 10 Prozent der Kosten tragen, bis zu 90 Prozent erhielten wir durch Fördermittel von Bund und Land.
Im Fall der Nord-Süd-Bahn wären 10 Prozent ursprünglich 55 Millionen gewesen. Tatsächlich beträgt der städtische Eigenanteil mittlerweile 1,1 Milliarden Euro, wie die Verwaltung schließlich zugeben musste. Und dies ohne die Kosten des Stadtarchiv-Unfalls, die separat erfasst wurden und über die ein außergerichtlicher Vergleich mit den Baufirmen abgeschlossen wurde.
Fördermittelzusagen beziehen sich auf die ursprünglich angegebenen Baukosten; Mehrkosten bleiben ganz überwiegend bei der Stadt hängen.

Bei unterirdischen Bauten in der alten Römerstadt unterschätzt die Stadtverwaltung regelmäßig Dauer und Kosten. Ist das auch beim Ost-West-Tunnel wieder der Fall? Warum?

Ja, das ist von vornherein klar, dass weder die Angaben zu den Kosten noch zur Bauzeit stimmen.Kosten werden bei derartigen Projekten fast regelhaft zu niedrig angesetzt, um überhaupt an Fördermittel zu kommen.
Die Bauzeit veranschlagt die Verwaltung mit zehn bis zwölf Jahren. Das ist ein schlechter Witz, wenn man den Bericht der Denkmalpflege liest. Da unter der City über 2000 Jahre Siedlungsgeschichte und damit eine erhebliche Menge wertvollster Bodendenkmäler liegen, schätzt die Denkmalpflege allein die Zeit für die archäologischen Bergungen auf zehn Jahre.
Stadt und Verkehrsbetriebe behaupten einfach, man könne parallel bauen und Bodendenkmäler ausbuddeln. In der Kölner Partnerstadt Thessaloniki dauerte die Bauzeit einer U-Bahn-Linie vierzig Jahre – eben wegen der wertvollen archäologischen Funde, die auch dort völlig vorhersehbar waren.

Die Kapazitäten der Kölner Verkehrsbetriebe sind regelmäßig überlastet. Inwiefern würden die Nutzer:innen des öffentlichen Nahverkehrs von einer Tunnellösung profitieren?

Laut Verwaltung wäre die Fahrtzeit mit einem Tunnel drei bis vier Minuten kürzer. Von diesem Zeitvorteil haben jedoch nur diejenigen Fahrgäste etwas, die über die Innenstadt hinaus fahren wollen. Die meisten Fahrgäste wollen in die City. Wer dort aus-, um- oder einsteigt, muss bis zu drei Tiefetagen überwinden. Jeder mögliche Zeitgewinn ist damit wieder hinfällig. Damit würde man die jetzt barrierefreien Umsteigemöglichkeiten zerstören.
Der Verkehr sei damit weniger störungsanfällig, behaupten die Tunnelbefürworter. Aber Köln hätte auch mit dem neuen Tunnel kein geschlossenes Metrosystem, sondern eine Straßenbahn, die ab und zu unter Pflaster fährt, eine sogenannte Unterpflasterbahn. Dadurch wirken oberirdische Störungen durch den Straßenverkehr nach wie vor zurück in die Tunnel. Nicht einmal ein Fünftel des Kölner Schienennetzes von 250 Kilometern ist unter der Erde. Wenn da noch ein paar Tunnelkilometer dazu kommen, wird das System nicht viel störungsfreier.

Was wären die ökologischen Auswirkungen?

Der CO2 Ausstoß wird in der Beschlussvorlage mit 283.000 Tonnen beziffert, bedingt vor allem durch die Beton- und Stahlproduktion. Die Wissenschaftsinitiative ScientistsForFuture geht deshalb davon aus, dass die oberirdische Variante fürs Klima besser ist als ein Tunnel, er sei unvereinbar mit dem Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2035, das sich die Stadt Köln gesetzt hat.

Was bedeutet der Tunnelbau für die Verkehrswende in Köln?

Seit Baubeginn der Nord-Süd-Stadtbahn vor über 20 Jahren sind oberirdisch nur 3,5 Schienenkilometer ausgebaut worden. Köln hat einen enormen Nachholbedarf.
Es gibt im Nahverkehrsplan der Stadt eine Reihe sinnvoller Projekte, mit denen wichtige Teilstrecken ausgebaut und Vororte an das Schienennetz angebunden würden. Doch diese Projekte stehen auf der Streichliste des KVB-Vorstands, die letztes Jahr dem Aufsichtsrat vorgelegt wurde. An der Fertigstellung der Nord-Süd-Stadtbahn und am Ost-West-Tunnel will der Vorstand jedoch festhalten. Letzterer würde erneut jahrzehntelang fast alle Ressourcen der Stadt für den Verkehrssektor binden: städtische Gelder, Fördermittel und knappes Personal. Ein Tunnelprojekt würde nicht nur den Ausbau des ÖPNV, sondern auch den des Rad- und Fußwegenetzes blockieren.

Offensichtlich gibt es keine rationalen Gründe für den Tunnel. Warum wird er trotzdem gebaut?

Vor allem für die Baufirmen, denn solche Tunnel sind für sie eine wahre Goldgrube. Da gibt es immer viele Unwägbarkeiten: angefangen bei der Archäologie, über Probleme mit Gesteinsarten bis hin zum Grundwassermanagement, besonders in Flussnähe. Sie bekommen langjährige Baustellen mit sicheren Profiten aus Steuermitteln. Die fließen dann großen Konzernen zu, denn nur sie könne solche Projekte stemmen – z.B. Bilfinger Berger, Züblin, Strabag und natürlich die Tunnelbohrfirma Herrenknecht.
Die autofreundlichen Parteien rechnen damit, dass man oben eine bessere Durchfahrt für den Autoverkehr erreicht, wenn die Straßenbahn erst einmal weg ist. In ihren Tunnelanträgen beziehen sie sich ausdrücklich auf den Kölner Generalverkehrsplan von 1956, der auf Vorstellungen aus Zeiten einer autozentrierten Verkehrsplanung gründet. Damals haben viele Kommunen ihre Straßenbahnen abgeschafft oder unter die Erde gelegt.
Aber moderne Nahverkehrspolitik setzt heute weltweit wieder auf Straßenbahnen. In Europa setzt Frankreich neue Maßstäbe. Dort haben sich 26 Metropolregionen gegen U-Bahnen und für eine Renaissance der Tram entschieden – auch dort, wo sie seit vielen Jahren abgeschafft war.

Köln ist auch Standort der einflussreichen bundesweiten Tunnellobbyorganisation STUVA, die ähnliche Projekte in Hamburg und München bewirbt. Macht sich deren Einfluss bei den Entscheidungen im Kölner Stadtrat bemerkbar?

Den Eindruck kann man durchaus haben, denn in der Kölner Verwaltung und bei einigen Parteien herrscht eine regelrechte Tunnelmania. Bei allen möglichen Strecken kommt andauernd der Vorschlag einer Untertunnelung.
Nach Köln sind die Beziehungen der STUVA besonders eng. Dem siebenköpfigen STUVA-Vorstand gehört die Stadtdirektorin Andrea Blome an, vorher Verkehrsdezernentin in Köln, eine bekennende Verfechterin des Ost-West-Tunnels. Als Leiterin des Verkehrsamts in Düsseldorf hatte sie dort den Bau der unterirdischen Wehrhahnlinie verantwortet. Im Beirat der STUVA sitzen außerdem der Technikvorstand der KVB und die Kölner Amtsleiterin für Brücken, Tunnel und Stadtbahnbau. Wir halten das für einen Skandal. Leider schweigen die Lokalblätter zu solchen Interessenkonflikten.

CDU, SPD und FDP haben für die Zukunft noch aberwitzigere Anträge eingebracht. Wie sehen die aus und wie kam es dazu?

Ja, statt 2,7 Kilometer Tunnel wollen sie jetzt 7,4 Tunnelkilometer, vom Kölner Osten unter den Rhein bis in den Westen der Stadt. Das bringt noch höhere Kosten für vergleichsweise geringe Fahrtzeitersparnis, noch längere Bauzeiten, noch mehr CO2-Ausstoß, noch höhere Risiken durch eine Rheinunterquerung.

Was wären gute Alternativen für die Verkehrssituation in Köln und gibt es dazu schon konkrete Vorschläge?

Das Bündnis Verkehrswende Köln hat Alternativen vorgeschlagen, die auch von der Linken und den Klimafreunden unterstützt und in den Stadtrat eingebracht werden.
Erstens schlagen wir zur raschen Kapazitätserhöhung eine Taktverdichtung vor.
Zweitens schlagen wir die rasche Umsetzung der geplanten oberirdischen Ausbauprojekte vor, mit Priorität auf mehr Tangentialverbindungen und weiteren Rheinquerungen für die KVB. Das würde den Stadtbahnverkehr in der City enorm entlasten, weil nicht immer alle »durch die Mitte« müssen.
Drittens muss die Betriebsqualität dringend verbessert werden. Der Fahrplan wurde mehrfach ausgedünnt, trotzdem sind 2024 über 120.000 Straßenbahnfahrten ausgefallen. Es braucht bessere Entgelte und Arbeitsbedingungen bei der KVB, um Fahr- und Wartungspersonal zu werben und zu halten sowie Rolltreppen wie Aufzüge zeitnah zu reparieren.
Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Barrierefreiheit und eine rasche Taktfolge der Stadtbahn befördern einen Umstieg vom Auto auf den ÖPNV – nicht ein paar eingesparte Minuten Fahrtzeit im Tunnel.

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