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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2011

Nur kleine Risse im Beton
von Joachim Maiworm

Am 6.Juni gab es im Bundestag eine Anhörung zu Sanktionen in Hartz IV.
«Die Sanktionsregelung ist dysfunktional und normativ falsch – und somit abzuschaffen», so fasste der Jenaer Sozialwissenschaftler Stephan Lessenich zusammen.

Jessenich war als Experte für die herrschende Sanktionspraxis im Rahmen des Sozialgesetzbuches geladen worden. Die Arbeitsmarktintegration von ALG-II-Beziehern, ein offizielles Ziel des Gesetzgebers, werde systematisch verfehlt, der Umgang mit Erwerbslosen in Deutschland sei zudem von der armenrechtlichen Tradition des Arbeitshauses geprägt.

In Anträgen hatten die Fraktionen der Grünen und der LINKEN gefordert, die Sanktionen nach dem SGB II zeitweise auszusetzen bzw. gänzlich abzuschaffen (SGB II und XII). Auf Initiative der beiden Oppositionsparteien befragte deshalb der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 6.Juni in einer öffentlichen Sitzung streng nach Parteienproporz geladene Sachverständige zu den aktuellen Sanktionsregelungen gegen Erwerbslose.

Erstaunlich: Manche Experten sprechen über Dinge, über die sie nichts Fundiertes wissen. Denn die Anhörung macht klar, dass zu wesentlichen Aspekten der Auswirkungen von Sanktionen empirisches Material ganz einfach fehlt. Frau Koch vom IAB räumte bspw. ein, dass die Folgen der Sanktionen für Gesundheit und Wohlbefinden der Erwerbslosen bislang nicht untersucht wurden. Es lägen zudem keine quantitativen Untersuchungen zu den besonderen Auswirkungen der schärferen Sanktionsregelung gegen unter 25-Jährige vor.

Herr Dorenkamp vom Unternehmerverband BDA konnte keine konkreten Zahlen über Aktivierungserfolge vorlegen, ein Zusammenhang von Sanktionen und der gesteigerten Bereitschaft der Erwerbslosen, angebotene Stellen anzunehmen, ist somit nicht belegt. Hingegen zeigten einige kritische Äußerungen, dass zumindest folgende drei politische Veränderungen derzeit nicht undenkbar scheinen:

Die verhängten Totalsanktionen (Kürzung der Regelleistung und der Kosten für die Unterkunft auf Null) könnten ebenso wie die schärfere, und daher verfassungswidrige, Regelung gegen unter 25-Jährige zur Disposition stehen. Zudem erscheint es möglich, dass in den Jobcentern unabhängige Ombudstellen eingerichtet werden, wie etwa von den Grünen gefordert.

Gerade auch einige Experten, die Sanktionen prinzipiell befürworteten, übten deutliche Kritik und wiesen darauf hin, dass die Sanktionspraxis der offiziell zugrundeliegenden erzieherischen Zielstellung widerspricht. Die vorgeschriebene starre Handhabung des §31 SGB II (der «Sanktionsparagraf») führt z.B. dazu, dass Sanktionen auch bei Verhaltensänderung nicht zurückgenommen und somit als reine Bestrafungsaktion fortgesetzt werden. Die sozialen Folgen haben dann die Bedarfsgemeinschaften – Eltern und Kinder – zu tragen. Für eine unterschiedliche Behandlung von Jugendlichen über und unter 25 Jahren fehlten nicht nur dem unabhängigen Sachverständigen Markus Schmitz aus «praktischer Sicht die Argumente». Eine Kürzung auf Null im Sozialhilferecht ist nach Aussage des Vertreters des Deutschen Vereins «nicht mehr zeitgemäß», in den Augen von Ingo Kolf (DGB) schlicht «unrechtmäßig».

Alles in allem offenbarten sich in der Anhörung aber nur kleine diskursive Risse im fest zementierten Sanktionsblock. So wird der Druck auf Erwerbslose weiter steigen und mit ihm die Kurve der ausgesprochenen Sanktionen.

Siehe auch www.sanktionsmoratorium.de.
Der Autor arbeitet in der AG Bürgerarbeit, Berlin, und in der bündnisorientierten Initiative «Regelsatz erhöhen jetzt!», die das garantierte Mindesteinkommen thematisiert (mit Vertretern der AG Soziales, Ver.di-Erwerbslose, Erwerbslosenzentrum BASTA! usw.); www.regelsatzerhoehung-jetzt.org.

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