Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2021

Nur Almosen für Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV
von Guido Grüner*

Das ist schnell gesagt?:
– einmalig 150 Euro für Erwachsene, die im Mai 2021 Geld nach den Regeln für Asylbewerber, Bundesversorgungsgesetz, Hartz IV und Sozialhilfe beziehen;


– Mittagessen für Schüler auch außerhalb der Schule bis zum 30.6.2021, wenn sie Wohngeld, Kinderzuschlag (KiZu), ALG-II, Sozialhilfe oder Asylbewerberleistungen beziehen;
– weiterhin «erleichterter Zugang» zum ALG-II und Kinderzuschlag wie im Jahr 2020;
– 150 Euro Extra-Kindergeld für jedes Kind mit Kindergeldbezug in mindestens einem Monat 2021.
Soweit die Ankündigungen für 2021.
Was aber zählt ist, was im wahren Le­ben bei Menschen ankommt. Hier sieht es bitterböse aus, unter Corona-Bedingungen ganz besonders.
Die Amtssprache ist hier deutsch
Die Bundesagentur für Arbeit nutzt die pandemiebegründete Schließung ihrer Dienststellen (Jobcenter, Arbeitsagenturen, Familienkassen) zur Modernisierung des Zugangs zu den Leistungen: Alle Anträge sollen elektronisch übermittelt, Dokumente selbst hochgeladen, die persönliche Identifizierung online vorgenommen werden, Beratungsgespräche und Nachfragen nur noch telefonisch abgewickelt werden.
Das klingt modern – und bewirkt für viele Ausgrenzung aus dem Hilfesystem. Wer über die notwendigen Geräte und Kenntnisse in der Datenverarbeitung nicht verfügt, seine Anliegen sprachlich – also im Telefonat – nicht präzise und auf deutsch vorbringen kann, nicht oder kaum lesen und schreiben kann, dringt mit seinem An­liegen allein nicht durch.
Unsere Erfahrung aus der Beratung und vielen Gesprächen ist: Sehr oft ha­ben genervte Arbeiter an der Hotline der Arbeitsagentur den Hörer einfach aufgelegt, wenn ihnen nicht auf deutsch geantwortet wird, die Übersetzungshotline nicht dem Telefonat zugeschaltet oder mit dem Verweis «Amtssprache ist hier Deutsch» das Ge­spräch beendet.
Die Hotline kann jedoch oftmals selbst bei bestem Willen einzelner Hotline-Mitarbeiter nicht wirklich weiterhelfen, da diese in der elektronischen Leistungsakte viele Vorgänge nicht einsehen können. Erst recht sind Hilfebedürftige verzweifelt, wenn sie vorher nach zahlreichen Versuchen eine Stun­de oder länger in der Warteschleife ge­halten wurden, bis sie überhaupt einen Menschen erreichten. Antragstellung wird auf diesem Weg blockiert.
Entsprechend zufrieden äußerte sich ein Jobcenter-Manager einer großen Hansestadt über dieses elektronische Zugangsverfahren, denn schließlich seien trotz erheblicher Probleme auf dem Arbeitsmarkt die Zugänge in das Hartz-IV-System kaum gestiegen. Al­lein die hohe Zahl derjenigen, die jetzt – teils viele Monate lang – nur noch Kurzarbeitergeld, also nur 60 Prozent (67 mit Kind) vom Nettolohn beziehen, hätte bei Jobcentern und Familienkassen zu einer immensen Steigerung der dortigen Leistungsfälle führen müssen.
Vereinfachung
Selbst wenn ein Mensch nicht an den sprachlichen oder elektronischen Hürden zu Jobcentern oder Familienkassen scheitert, sind die «vereinfachten Antragsverfahren» eines bestimmt nicht?: Einfach.
Zur Vereinfachung der Antragsbearbeitung in den Behörden ist allein die de­taillierte Vermögensprüfung weggefallen. Sie wurde ersetzt durch die Erklärung, über kein erhebliches Vermögen zu verfügen.
Weiterhin aber müssen Antragsformulare im Umfang von zwanzig und oft deutlich mehr Seiten ausgefüllt werden, die Vorlage der kompletten Kontounterlagen der drei bis sechs zurückliegenden Monate aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ist Pflicht, weite­re Nachweise zu Miete, Arbeit, Einkommen, Personalunterlagen etc. sind zu erbringen. Hier macht nichts den Zu­gang zur Hilfe der Jobcenter tatsächlich einfach.
Die einzige wirkliche Vereinfachung –zumindest verglichen mit dem, was sonst im bundesdeutschen Sozialhilfesysteme verlangt wird – gab es einige Monate lang 2020 beim Kinderzuschlag. Zur Bewilligung dieses Zu­schlags (bis zu 185 Euro je Kind und Monat) für sechs bis zwölf Monate reichte ein einmonatiger Einkommenseinbruch in der Familie. Dies erleichterte offenbar wirklich den Zugang und wurde genutzt.
Aber kaum dass diese Vereinfachung auf dem Markt war, setzten die Bundesagentur und ihre Familienkassen den Antragstellenden eine Kampagne nach dem Motto «Nicht jeder hat An­spruch auf Kinderzuschlag» entgegen. Die Vereinfachung galt nur drei Mona­te und wurde nicht verlängert. Es überrascht deshalb nicht, dass dieser vereinfachte Zugang zum Kinderzuschlag in der Pandemiegesetzgebung 2021 nicht wieder zu finden ist.
Was fehlt sofort?
– Monatlich 600 Euro plus volle Wohn- und Heizkosten als Regelleistung;
– Zugang zu den Leistungsträgern ohne technische, sprachliche oder andere bürokratische Hürden;
– ausreichend Personal, um die Hilfe wirklich zeitnah abzuwickeln.

*Der Autor macht Sozialberatung u.a. im Rahmen der Erwerbslosenorganisation ALSO in Oldenburg. (Quellen: Formulierungshilfe für den Entwurf für das Gesetz zum Sozialschutzpaket III vom 8.2.2021; Entwurf für ein Drittes Corona-Steuerhilfegesetz, Bundestagsdrucksache 19/26544 vom 9.2.2021.)

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