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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2013

Die Mühen der Arbeitszeitverkürzung
von Tobias Michel

Weniger Zeit am Arbeitsplatz, mehr Zeit für ein besseres Leben. Dieser Traum ist noch lange nicht abgehakt. Doch unser Ruf nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit zündet nicht. Tobias Michel kümmert sich im Ver.di-Fachbereich «Gesundheit und Soziales» um Probleme mit der Arbeitszeit. Er spürt den Schwierigkeiten nach.

Über rund 150 Jahre hinweg ruft die Arbeiterbewegung nach dem Acht-Stunden-Tag. Dreimal 8 ist 24, die Rechnung überzeugt vor allem durch ihre Einfachheit. Ein Arbeitstag ist so in drei gleiche Teile zerlegbar aus je acht Stunden Arbeit, Erholung und Schlaf. Erholung und Schlaf stellten die Arbeitsfähigkeit wieder her, also die Verhältnisse nicht in Frage. Die Arbeit auf acht Stunden täglich begrenzen, noch ist dies bescheidene Ziel nicht erreicht.

Mitte des letzten Jahrhunderts genügte der Sonntag als einziger freier Tag in der Woche nicht mehr. Die Verkürzung von Schichten hatte schrittweise den Samstagnachmittag erobert. Ein zweiter ungestörter Tag in jeder Woche, und damit das freie Wochenende, rückte in greifbare Nähe. «Samstags gehört Papi mir!» – diese gewerkschaftliche Parole rechtfertigte sich mit dem Hinweis auf familiäre Pflichten.

Offen mehr freie Zeit zum Leben zu fordern, blieb ungeheuerlich. Der Kampf um die Fünf-Tage-Woche und vor allem um den freien Samstag hält an. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) stellt fest: «Trotz der erheblichen Zunahme flexibler Arbeitszeitmodelle in den letzten Jahren hat das Wochenende seine große soziale Bedeutung bisher nicht eingebüßt.»

Der dritte Anlauf, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden, begann mit Streit in den Belegschaften. Die einen wollten mit verkürzten Schichtzeiten eine andere Arbeitsteilung auch bei der Kindererziehung und im heimischen Haushalt ermöglichen. Andere setzten auf zusätzliche freie Tage, um so Neueinstellungen zu erzwingen. Bis heute geistert jedoch noch ein ganz anderer Wunsch durch viele Köpfe und bekommt durch den verzögerten Eintritt in die Regelrente neue Nahrung: Eine erkämpfte Verkürzung könnte, bis ans Ende der Lebensarbeitszeit aufgespart, die drohende Erwerbsunfähigkeit im Alter abkürzen.

Seit fast 20 Jahren sind wir auf diesem Weg nicht mehr vorangekommen. Im Gegenteil – in Tarifverhandlungen wurden zunächst ein paar der freien Tage eingetauscht, dann versündigte man sich am Tabu der Arbeitszeitverlängerung. Das Mantra bleibt richtig – weniger arbeiten ist gut für die Gesundheit –, wenn viele weniger arbeiten, bleibt Arbeit für die Millionen Arbeitslosen. Doch solche Allgemeinplätze zur Arbeitszeitverkürzung finden aus unseren gewerkschaftlichen Programmen nicht mehr den Weg in die Forderungen der nächsten Tarifrunde. Arbeitszeitverkürzung gilt heute als «schwierig».

Der Acht-Stunden-Tag

Wo es schwierig wird, schauen und hören wir besser genauer hin. In meinen Seminaren berichten Kolleginnen und Kollegen aus den vielschichtigen Gemengelagen in den Kliniken und Heimen.

«Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten.» Dieser schöne Grundsatz des Arbeitszeitgesetzes hätte seit 1996 den Betriebsalltag in den Krankenanstalten eigentlich zivilisieren müssen. Doch dehnen zahllose gesetzliche, tarifliche und betriebliche Ausnahmeregeln diese 8 auf 24 Stunden. Nicht selten dauert der Tag noch länger.

Eine Betriebsrätin, nennen wir sie Sandra, berichtet: «Zunächst einmal werden die Wegezeiten zur Arbeit und zurück nach Hause ausgeklammert. Das macht für über ein Drittel meiner Kolleginnen zusätzlich für jede Schicht mehr als eine Stunde im Auto und in der S-Bahn. Bei geteilten Diensten, also zwei Kurzschichten an einem Tag, verdoppelt sich dieser Leerlauf. Die zum Leben verlorene Zeit auf den Straßen gilt als Ruhezeit, zählt also zur Erholung. Das ist zynisch.»

«Auch die Schichten selbst dauern oft länger als acht Stunden. Denn wenn wir mal Kaffee trinken, etwas essen oder rauchen, zieht der Chef uns das von der Arbeitszeit ab. Besonders bitter wird es, wenn uns in jeder Nachtschicht gegen 1 Uhr eine angebliche Pause mit 45 Minuten herausgekürzt wird!»

Das deutsche Arbeitszeitgesetz kennt in §2 erst eine Ausnahme: Im Bergbau unter Tage zählen die Ruhepausen zur Arbeitszeit. Es gilt, diese Ausnahme zur Regel zu machen.

Arbeitszeitverlängerung

Kurt hat beim Transport- und Rettungsdienst nicht nur ein paar Pausen, sondern Wartezeiten. «Unsere Touren gehen an zwei Wochen über je 24 Stunden. Das ist zwar lang. Aber immer noch besser als die Alternative, viermal in der Woche mit 12 Stunden zu schichten. Solange wir nur auf den Ruf für einen Einsatz warten, zählt unsere Arbeitszeit nicht richtig. Das ermöglicht extralange Schicht. Die 48 Stunden im Wochendurchschnitt werden aber beim Entgelt nur als 39 Stunden gewertet.»

Die Kollegin Chantal aus der Jugendhilfe erlebt so etwas ganz ähnlich. «Wir machen im Monat 3 bis 5 Schlafwachen. Da bringen wir erst mit der Spätschicht zusammen den Wohnbereich in die Betten. Von 22 Uhr an bleiben wir dann die gesamte Nacht über, um einzugreifen, falls es Streit unter den Schützlingen gibt. Morgens helfen wir dann noch, die Jugendlichen in Richtung Schulweg zu bekommen. Unterm Strich hänge ich 16 Stunden durchgehend fest.»

Die nächtlichen Bereitschaftszeiten zählen zur Arbeitszeit. Die Einrichtung rechnet die 8 Nachtstunden nur zu 25% auf die geschuldete Wochenarbeitszeit an. «Ich arbeite so tatsächlich 6 Stunden über meine 39 Wochenstunden hinaus und bekomme dafür gerade einmal ein paar Euro Nachtzuschlag.»

Auch Mareike kann als Assistenzärztin vom Acht-Stunden-Tag nur träumen. «Unter der Woche schließen sich an die oft neun- oder zehnstündigen Normaldienste oft noch Bereitschaftsdienste an. Da komme ich dann manchmal erst gegen 23 Uhr erstmals in mein kleines Dienstzimmer zur Ruhe und werde oft noch mehrmals nachts rausgerufen. Die Gesamtlänge dieser Schichten ist so unter der Woche 18 Stunden, am Wochenende sind es 25 Stunden, aber da ist ja auch eine Mittagspause mit dabei.»

Fünf-Tage-Woche

Das Jugendarbeitsschutz setzt in §15 die Norm richtig an: «Jugendliche dürfen nur an fünf Tagen in der Woche beschäftigt werden. Die beiden wöchentlichen Ruhetage sollen nach Möglichkeit aufeinander folgen.» Was Jugendliche vor Überlastung schützt, kann für die besonders belasteten Nacht- und Schichtarbeiterinnen kaum falsch sein.

Doch die mahnenden Hinweise der Arbeitsschützer und Aufsichtsämter erreichen die Betriebs- und Personalräte offenbar nicht. Sie sind überfordert damit, Ordnung in die Schichtpläne der Heime und Kliniken zu bringen. Doris schildert das Dilemma in ihrem Altenheim: «Die Schichten sind oft nur 4 oder 5 Stunden lang. Die allermeisten bei uns haben nur einen Teilzeitvertrag. Doch damit sie auf ihre Stunden kommen, können wir sie in zwei Wochen höchstens mit drei freien Tagen einplanen.»

Die Assistenzärztin Mareike hat das in ihrer Abteilung einmal nachgezählt. «In der Chirurgie kommen wir nicht einmal auf eine Sechs-Tage-Woche. Denn die fünf bis sechs Bereitschaftsdienste verlängern ja nicht nur die tägliche Schichtzeit. Ein richtig freier Tag – als frei von 0 Uhr bis 24 Uhr – und die gesetzlich vorgeschriebene, damit noch verbundene zehnstündige Ruhezeit muss man bei uns schon suchen.»

Ein neuer Anlauf zur Verkürzung der Arbeitszeit braucht offenbar keine neuen oder anderen Bedingungen oder Ideen. Unsere nächsten Forderungen können die alten sein: Acht Stunden und nicht länger! Nach fünf Tagen spätestens zwei Tage frei! Wir müssen dazu auch nicht auf neue Gesetze oder gar bessere Gesetzgeber warten. Betriebs- und Personalräte können bereits heute ernst machen mit Gesundheitsschutz im Betrieb.

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