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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2021

Die Leistungsschau der deutschen Autoindustrie zeigt sich nicht auf der Höhe der Zeit
von Angela Klein

Die Internationale Automobilausstellung (IAA), die Leistungsschau der exportorientierten deutschen Industrie, hat ihren Höhepunkt hinter sich. Auch die Orientierung auf Elektroantriebe hat ihr zu keinem neuen Aufschwung verholfen. Aufschwung gibt es hingegen auf der Seite der Gegner:innen des motorisierten Individualverkehrs.

Die Organisatoren der IAA sprachen stolz von 400000 Besucher:innen. Wieviele davon ein Ticket gekauft haben, wurde nicht bekanntgegeben; vor zwei Jahren waren noch 500000 Tickets verkauft worden. Und die Mainstreampresse hat sich in diesem Jahr auch nicht mehr mit den sonst üblichen Lobeshymnen überschlagen; zur Schau gestellt wurden hauptsächlich fette, elektrogetriebene SUVs – kein Angebot für die breite Masse; das wurde eher mit Zurückhaltung aufgenommen.
Überhaupt keine öffentliche Aufmerksamkeit wurde den drei Konferenzen zuteil, die die IAA begleitet haben: die der Veranstalter und die der Stadt München ebensowenig wie die Gegenveranstaltung KonTraIAA. Die inhaltliche Auseinandersetzung rund um die IAA fand in der Presse keine Resonanz.

Widerstände
Der Erfolg der Proteste muss gemessen werden an den früheren Jahren. Vor zwei Jahren gab es überhaupt erstmals Protestaktionen gegen eine IAA – eine große Fahrraddemo, Torblockaden und eine Abschlussdemonstration. Die Beteiligung war überschaubar; eine Gegenkonferenz gab es gar nicht.
Der Gegenkongress in diesem Jahr war mit großem Aufwand von einem Bündnis um Attac, die Rosa-Luxemburg-Stifung, den Bund Naturschutz u.a. organisiert worden, erreichte aber nur enttäuschende 150–200 Teilnehmende. Die magere Beteiligung wurde zum Teil darauf zurückgeführt, dass parallel zum Kongress das Klimacamp stattfand, von dem die Blockadeaktionen ausgingen. Das Camp wiederum konnte erst in letzter Minute aufgebaut werden, weil die Stadt zunächst die Theresienwiese dafür nicht freigeben wollte. Auch das war ein ungeheurer Aufwand, weil es dann sehr schnell gehen musste; Informationen zufolge hat der Aufbau des Camps 130000 Euro gekostet und 1500 Menschen aufgenommen.
Die Stadt war nicht sehr kooperativ: Der Bund Naturschutz etwa wollte am Stacchus einen Infostand aufbauen, das wurde ihm wegen Verkehrsbehinderung nicht genehmigt. Die Behinderungen aber, die durch die IAA entstanden, die sich mit ihren Modellen auf Hauptverkehrsstraßen breit machen konnte, hatte die Bevölkerung klaglos zu schlucken – die Süddeutsche Zeitung sprach davon, der eindeutige Verlierer der IAA sei die Stadt München und ihre Bevölkerung gewesen. Dennoch ließ es sich der OB am Ende nicht nehmen, die IAA über den grünen Klee zu loben und für eine Wiederholung in zwei Jahren zu werben.

Die Blockaden
Großes Aufsehen erregten die Autobahnblockaden zu Beginn der IAA. Die Bilder und Nachrichten davon stellten die Eröffnung der IAA selbst in den Schatten – und die Aktionen erfreuten sich einer durchaus wohlmeinenden Berichterstattung, vor allem in der örtlichen Presse. In den darauffolgenden Tagen gab es weitere Versuche, auf den Straßen und Plätzen, wo die Protzautos ausgestellt waren, Blockaden zu errichten, sie wurden jedoch von der Polizei unter übler Gewaltanwendung geräumt. Die Prügelorgien der Polizei stießen auf Unverständnis bis Kritik und werden ein Nachspiel haben.

Der Gegenkongress
Der Gegenkongress hatte den Schwerpunkt auf die Konversion der Automobilproduktion gelegt, das war positiv, denn das Thema hat es immer noch schwer, in eine breitere Öffentlichkeit zu gelangen. Seine Aktualität war kurz zuvor noch durch die Nachricht befeuert worden, dass der Autozulieferer Bosch sein Werk in München schließen will – was die Belegschaft dazu animiert hat, Alternativproduktionen ins Spiel zu bringen.
Leider war es diesmal noch nicht möglich, zwischen Bosch-Arbeiter:innen und Klimaaktivist:innen auf dem Gegenkongress eine Diskussion zustande zu bringen; zur Diskussion gestellt hatten sich allerdings der erste Bevollmächtigte der IG Metall Bayern und eine Vertreterin der IGM München. Immerhin endete der Kongress mit der Anregung, der Diskussionsfaden zwischen der Klimagerechtigkeitsbewegung und den Gewerkschaften dürfe nicht abreißen, es scheint auch so zu sein, dass auf Münchner Ebene dafür ein Format gesucht wird.
Auch mit der streikenden Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) war im Vorfeld der Schulterschluss gesucht worden. Bemühungen, einen Vertreter der GDL auf der Abschlusskundgebung der Demonstration am Samstag sprechen zu lassen, wurden jedoch von den Organisatoren der letzteren abgewiesen – wegen der üblichen Vorbehalte gegen die angebliche «Standesgewerkschaft» GDL. Mutmaßungen zufolge hätten einige Organisatoren, vor allem die Grünen, Angst gehabt, wenn sie die GDL einladen, wären die DGB-Gewerkschaften beleidigt.
An anderer Stelle konnten Fortschritte erreicht werden. Das Netzwerk für kämpferische Gewerkschaften (VKG) konnte sich mit seinem ökosozialistischen Ansatz bekannter machen. Und das Netzwerk Ökosozialismus hat einen erheblichen Zukauf bekommen – beide Netzwerke hatten eigene Workshops angeboten. Die SoZ war mit einem Workshop über den Kampf der Belegschaften von Lucas Aerospace Mitte der 70er Jahre gegen die Schließung des Werks vertreten. Neben einem beeindruckenden Film aus der Zeit wusste Pit Wuhrer, ständiger Mitarbeiter der schweizerischen WoZ, höchst anschaulich über die Initiativen und Debatten zu berichten, die die Belegschaft damals über eine mögliche Konversion der Produktion führte – immer noch ein Lehrbeispiel für heute.

Die Demonstration
Die Demonstration fiel mit rund 25000 Teilnehmenden (Tausende von Radfahrer:innen eingeschlossen) ebenfalls kleiner aus als erwartet und die Polizei leistete sich bei höchst geringfügigen Anlässen wie dem Aufhängen eines Transparents in einem Baum brutale Ausfälle. Doch IAA-bedingt führte sie durch eine streckenweise ziemlich belebte Innenstadt, so dass wir gut Publikum hatten.
Die Mobilisierung zur IAA war in diesem Jahr behindert durch die Tatsache, dass an anderen Stellen der Republik in den Wochen vor der Bundestagswahl mehrere Großdemonstrationen stattfanden, u.a. die #unteilbar-Demo und die Großdemonstration gegen Mietwucher und für die Unterstützung der Kampagne «Deutsche Wohnen enteignen». Letztere hat mit einer satten absoluten Mehrheit für die Enteignung einen Riesenerfolg eingefahren.
In zwei Jahren werden die Proteste in München größer sein, das ist sicher.

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