Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Aufmacher 2 1. Oktober 2025

Zhoran Mamdani kandidiert für die Bürgermeisterwahlen in der größten US-Stadt
von Stephan Kimmerle, Seattle

Am 4.November wird der Bürgermeister von New York gewählt. Ein »lunatic communist«, ein wahnsinniger Kommunist, so Trump, steht kurz davor, Bürgermeister von New York zu werden. Zohran Mamdani liegt im Rennen vorn, aber sein Kurs ist offen. In einer Umfrage von Anfang September lag der sich offen als »demokratischer Sozialist« bezeichnende Mamdani mit 46 Prozent vor dem ehemaligen New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo (24 Prozent), dem Republikaner Curtis Sliwa (15 Prozent) und dem Amtsinhaber Eric Adams (9 Prozent). Sollten Adams und Sliwa ihre Kandidatur zurückziehen, kann es trotzdem eng werden.

Zohran Mamdanis Organisation, die Democratic Socialists of America (DSA), wuchs in New York in den letzten zwölf Monaten von 6500 auf mehr als 10.000 Mitglieder. 50.000 Freiwillige sind für Mamdani im Einsatz, hauptsächlich im Haustürwahlkampf. Koordiniert wurde seine Kampagne von Aktiven der DSA.
Nach einigen Rückschlägen während der Amtszeit Joe Bidens stieg die Mitgliederzahl der Organisation seit Oktober 2024 nun US-weit um ein Viertel auf 80.000. Hintergrund ist natürlich auch die Trump-Präsidentschaft, die die Menschen umtreibt. Besonders die Angriffe auf Migrant:innen und die fiebrige Energie, mit der Trump täglich reaktionäre Maßnahmen durchs Land jagt, polarisiert und politisiert.
Bei den Vorwahlen im Juni hatte Mamdani mit 56 Prozent – das sind mehr als eine halbe Million Stimmen – Andrew Cuomo (44 Prozent) klar geschlagen. Drei Forderungen stellte Mamdani in den Mittelpunkt seiner Kampagne: Erstens einen Mietpreisstopp für eine Million Wohnungen unter städtischer Kontrolle. Für 40 Prozent der New Yorker Mieteinheiten würde das Mieterhöhungen ausschließen. Zweitens städtische Supermärkte – hier hat der Markt eine Versorgungswüste hinterlassen. Drittens Nulltarif in New Yorks Bussen.
Nach seinem Erfolg bei den Vorwahlen schießen sich die Medien, Trump und Mamdanis Opponenten darauf ein, ihn als Sozialisten und Mitglied der DSA anzugreifen. Doch mit Antikommunismus allein wird die Wahl von Mamdani wohl nicht zu verhindern sein. Laut der oben zitierten Umfrage sagen 37 Prozent, es wäre gut für New York, einen sozialistischen Bürgermeister zu haben, 32 Prozent fänden das schlecht, 26 Prozent nannten es weder gut noch schlecht. 

Rechenschaftspflicht gewählter Vertreter:innen
Innerhalb der DSA wird Mamdani als »Kaderkandidat« gesehen: Er hat sich über Jahre in der DSA engagiert, war in zahlreichen Kampagnen vor Ort engagiert und arbeitete als Abgeordneter im Bundesstaat New York eng mit seinem Verband zusammen. DSA-Mitglieder kennen und vertrauen ihm.
Der Begriff des »Kaderkandidaten« entstand aus der Kritik an gewählten Vertreter:innen der DSA wie der New Yorker Abgeordneten im US-Kongress, Alexandra Ocasio-Cortez (AOC). AOC brachte der Organisation zwar mediales Interesse, räumte der DSA aber wenig Mitsprache bezüglich ihrer Politik und ihrer Abstimmungen ein. Besonders AOCs Zustimmung zur Finanzierung der Waffenlieferung an Israel sorgt für anhaltende Wut.
Auf dem Bundeskongress der DSA im August erhielt Rashida Tlaib, ebenfalls Abgeordnete im US-Kongress und Mitglied der DSA in Detroit, tosenden Applaus von den rund 1200 Delegierten, als sie den Völkermord in Gaza anprangerte. In offener Kritik an AOC rief sie: »Eine Waffe ist eine Waffe.« AOC hatte im Juli ihre Zustimmung zur US-Unterstützung für Israels »Iron Dome« damit begründet, sie unterstütze »defensive Waffen« für Israel (im Gegensatz zu »offensiven«).
Viele DSA-Aktive drängen darauf, die Organisation beim Thema Rechenschaftspflicht von Abgeordneten weiterzuentwickeln. Die Hoffnungen waren groß, dass Mamdani ein positives Gegenbeispiel setzen würde. Doch unter dem Druck des Erfolgs bei den Vorwahlen und damit konfrontiert, tatsächlich der nächste Bürgermeister von New York werden zu können, änderte Mamdani bereits seine Politik – Kaderkandidat hin oder her.

Mamdani und die Demokratische Partei
Die DSA setzt sich zum Ziel, eine politische Alternative zur Demokratischen Partei aufzubauen. Die Bundeskonferenz im August beschloss, von Kandidat:innen zu verlangen, sich »offen und stolz mit der DSA und mit Sozialismus zu identifizieren«, und für politische Unabhängigkeit von der Demokratischen Partei zu werben.
Kandidaturen im Rahmen der Vorwahlen der Demokratischen Partei werden als notwendiges Übel gesehen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen – wie Bernie Sanders, AOC oder nun Mamdani – und eine Chance zu haben, in die politischen Debatten wirksam eingreifen zu können. Umstritten ist in der DSA, ob man das auf Dauer akzeptieren sollte, oder ob konkrete Schritte möglich sind, aus dem Zwei-Parteien-System auszubrechen.
In der Vergangenheit hatte sich Mamdani als einziger der gewählten Vertreter:innen der DSA in New York (er ist Abgeordneter im Bundesstaat) für mehr Rechenschaftspflicht der Abgeordneten und ein klareres Profil unabhängig von der Demokratischen Partei ausgesprochen. Innerhalb seines New Yorker DSA-Verbands stand er damit auf dem linken Flügel.
Beunruhigend war dann, wie er unmittelbar nach den Vorwahlen plötzlich davon sprach, sein Plan sei immer gewesen, »Menschen zurückzugewinnen zu einer Demokratischen Partei, die arbeitende Menschen an die erste Stelle rückt«.
David Vibert, einer der Co-Vorsitzenden der bundesweiten Wahlkomitees der DSA und als Aktivist in New York an der Diskussion vor der Wahl und im Wahlkampf beteiligt, betonte demgegenüber, das sei nicht das gemeinsame Vorhaben gewesen: »Unser Plan war immer, dies zum Aufbau unseres Verbands zu nutzen, nicht zu dem der Demokratischen Partei.«

Mamdani ohne Bewegungen
Während einige Kommentatoren Mamdanis Erfolg auf seine effektive Online-Kommunikation zurückführen, waren sich die meisten einig, dass die Kombination aus klaren Forderungen und einer beeindruckenden Kampagne mit 50.000 Freiwilligen entscheidend war. Das betonte auch Mamdani in seiner ersten Ansprache nach den Vorwahlen.
Doch bei seiner Beschreibung der vor ihm liegenden Aufgaben fehlt der Bezug zu den Bewegungen auffällig. Ein klarer Wahlerfolg im November soll helfen, ihm das nötige politische Gewicht zu verleihen, sein Programm umzusetzen. Welche Rolle seine Unterstützer:innen, die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, dann spielen müssten, wird wenig thematisiert.
Ohne zusätzliche Mittel aus Albany – dem Regierungssitz des Bundesstaats New York, von wo aus die Demokratische Gouverneurin Kathy Hochul moderate Politik betreibt – sind kostenlose Busse, städtische Supermärkte und andere Wahlkampfziele nicht zu verwirklichen. Hochul sprach sich explizit gegen Mamdanis Vorschläge aus, die Reichen zu besteuern. New York City kann ohne New York State solche Steuern aber nicht erheben. Reformpolitik wird ohne ernsthafte Mobilisierung der Arbeiterklasse nicht gelingen.

DSA, Mamdani und der Staat
Würde Mamdani zum Bürgermeister gewählt, wäre er auch der Chef der größten Polizeibehörde der USA, dem militärisch aufgerüsteten New York Police Department (NYPD).
Cuomo greift Mamdani für die Positionen an, die er und die DSA 2020 und 2021 unter dem Eindruck der Bewegung Black Lives Matter bezogen hatten. Die DSA verlangte damals, die Gefängnisse zu schließen und die Polizei abzuschaffen. Mamdani schrieb im Juni 2020 auf Twitter: »Wir brauchen keine Untersuchung um zu wissen, dass das NYPD rassistisch, antiqueer und eine große Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ist. Was wir brauchen, ist ­#DefundTheNYPD.«
Damit konfrontiert erklärte Mamdani im Juni dieses Jahres: »Ich kandidiere nicht, um der Polizei die Finanzmittel zu streichen.« Statt die Polizei vom ersten Tag an mit demokratischer Kontrolle und Aufsicht zu konfrontieren, erwägt Mamdani sogar, die aktuelle Polizeipräsidentin im Amt zu belassen.
Zur Beschwichtigung der von Rechten und moderaten Demokraten geschürten Ängste mag dies nützlich sein. Doch der Preis dafür, auf eine grundlegende Konfrontation mit dem NYPD zu verzichten, ist dann, für dessen rassistische und arbeiterfeindliche Praxis verantwortlich zu sein.

Rechenschaft ist politisch
Ein Kernproblem der Rechenschaftspflicht ist, dass statt klarer Ansagen, was die DSA von ihren Abgeordneten erwartet, oft eine wilde Kakophonie unterschiedlichster Positionen ertönt, gerade von seiten der Bundesführung.
Die DSA ist eine breite und pluralistische Organisation ohne großen Apparat. Sie hat einige wenige Sozialdemokrat:innen in ihren Reihen, viele reformistisch-sozialistische Mitglieder, und – unter den Aktiven – zahlreiche Marxist:innen unterschiedlicher Couleur.
Die Stärke der DSA ist, dass sie der Ausdruck einer neuen Generation von gewerkschaftlich Aktiven, Aktivist:innen sozialer Bewegungen und des Widerstands gegen Trump ist. Alle namhaften Bewegungen der letzten zehn Jahre in den USA fanden recht schnell ihren Niederschlag in der DSA – in Form von Mitgliederzuwachs, politischen Debatten und politischer Entwicklung der Aktivist:innen.
Um eine effektivere Organisation zu schaffen, inklusive einer funktionierenden Rechenschaftspflicht gewählter Vertreter:innen, muss die Organisation vor allem politisch reifen. In einer relativ demokratisch funktionierenden Organisation auf dem Weg zu 100.000 Mitgliedern können die Erfahrungen mit Mamdani sehr wertvoll werden, so oder so.

Der Autor ist Mitglied der DSA und Mitherausgeber von A User’s ­Guide to DSA. 5 Debates that ­define the Democratic Socialists.

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