Bäuerliche Kleinwirtschaft hat nicht wirklich eine Zukunft
von Meinhard Creydt
„Solidarische Landwirtschaft“ wird derzeit neu diskutiert: Könnten
Äcker als öffentliches Gut und Feldarbeit als öffentlicher Dienst der Umweltzerstörung einen Riegel vorschieben und ausreichend gute Ernährung für alle sicherstellen? Fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebseinkommen wird heute durch staatliche Subventionen finanziert. Öffentliche Kassen sind es auch, die die Kosten für die Beseitigung der ökologischen Folgeschäden der konventionellen Landwirtschaft übernehmen.
»Hält man Kühe auf der Weide und diese fressen Gras und düngen den Boden mit ihren Ausscheidungen, hat man einen Kreislauf und produziert nachhaltig Milch«, erklärt Wenke Dargel in ihrem Artikel »Landwirtschaft im Kapitalismus« (Neues Deutschland, 24.5.2024). »Füttert man Kühe hingegen im Stall und baut hierfür vermehrt Mais an, ist das anders. Mais ist ein für das Kapital optimales Getreide, weil er sehr energiereich ist und eine große Biomasse pro Hektar hat. Aber zugleich muss Mais gespritzt und gedüngt werden, reduziert den Humusgehalt der Böden und setzt so CO2 in die Atmosphäre frei.«
Monokultureller Anbau senkt die Kosten: Es sind weniger Arbeitskräfte erforderlich. Das Agrarunternehmen kann profitabler arbeiten als ein ökologisch ausgerichteter Betrieb, aber es verringert die Bodenqualität und die zukünftige Bodenproduktivität. Ein hoher Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln verringert die Kosten, erhöht aber die indirekten negativen Effekte, die von dieser Landwirtschaft ausgehen.
Chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel schädigen auch die Gesundheit der Beschäftigten. Wenn sie lange mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln arbeiten und dann an Parkinson erkranken, wird das (nach der Berufskrankheitenverordnung) inzwischen als Berufskrankheit anerkannt.
Konventionell gehaltene und gefütterte Kühe geben mehr Milch als Kühe in artgerechter Tierhaltung, werden aber mit Kraftfutter gefüttert, das eine schlechte Klimabilanz aufweist. Wer Tierhaltung nach ökologischen Gesichtspunkten betreibt, ernährt die Tiere artgerecht. In der konventionellen Viehzucht ist es üblich, das Wachstum der Tiere künstlich zu beschleunigen. Wenn ein Bauer aber darauf verzichtet, verlängern sich die Mastzeiten der Tiere, und er kann weniger Fleisch, Milch oder Eier anbieten.
Diese Beispiele zeigen: Eine anstrebenswerte Landwirtschaft orientiert sich nicht daran, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Einnahmen und eine maximale Ausbringungsmenge zu erzielen. Eine solche Zweckbestimmung klammert zudem gemeinnützige Leistungen wie Landschaftspflege und Naturschutz aus. Viele der dort anfallenden Aufgaben erfordern besonders intensive Arbeit und lassen sich in geringerem Maße maschinell durchführen. Das betrifft zum Beispiel die Pflege von Hochstamm-Obstbäumen, wertvollen Wiesen an Hanglagen oder Hecken.
Falsche Schuldzuweisungen
Die Vorstellung ist weit verbreitet: »Verbraucher wollen wenig für Lebensmittel zahlen, also geht es den Bauern schlecht!« In Wirklichkeit hat der Anteil an den von Endverbrauchern bezahlten Preisen, der bei den landwirtschaftlichen Betrieben ankommt, kontinuierlich abgenommen. 1950 bekamen die Betriebe in Deutschland noch zwei Drittel der Verbraucherausgaben. Zwischen 1965 und 1975 betrug ihr Anteil die Hälfte, heute nur noch ein Viertel. Der größte Anteil der Verbraucherausgaben für Lebensmittel wandert in die Taschen von Lebensmittelindustrie und -handel.
Bei den Protesten von Bauernverbänden Anfang 2024 war häufig die Parole zu hören: »Wir (Bauern) ernähren das Land.« Aber die deutsche Landwirtschaft orientiert sich zu einem erheblichen Teil nicht daran, die einheimische Bevölkerung zu versorgen. Sie hat 2023 Agrarprodukte im Wert von knapp 85 Milliarden Euro exportiert. Bei 83,6 Millionen Einwohnern in Deutschland entspricht das 1017 Euro pro Kopf. Deutschland steht in der Rangliste der Agrarexporteure (nach Exportwert) auf Platz vier hinter den USA, Brasilien und den Niederlanden.
Die Weltmarktorientierung der Landwirtschaft erzeugt einen starken Preisdruck auf Agrarprodukte. Durch eine Deglobalisierung oder wenigstens den Abbau oder die Entmächtigung des Weltmarkts, müssten Lebensmittel nicht mehr möglichst billig produzieren werden, um in der internationalen Konkurrenz andere Wettbewerber unterbieten zu können.*
Die Hauptursache für den Drang, am Preis der Lebensmittel – koste es, was es wolle – zu sparen, resultiert aus dem Imperativ, die Aufwendungen für die Reproduktion der Arbeitskraft niedrig zu halten. In diese Kosten gehen die Lebensmittel ein. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Lebenshaltungskosten hat in den letzten 75 Jahren stark abgenommen.
Was der Konsument durch billige Produkte der konventionellen Landwirtschaft einspart, muss er allerdings als Steuerzahler berappen – für die teure nachträgliche Reparatur bzw. Kompensation der Schäden, soweit sie überhaupt möglich ist.
Der beschränkte Horizont von Privateigentümern
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist die Bauernorganisation, die sich eindeutig an einer für die Natur und die Gesundheit pfleglichen Landwirtschaft orientiert. Das ist sehr anerkennenswert. Zugleich geht es dieser Organisation um die Sicherung der Zukunft für jeden Hof. Dafür sei es erforderlich, die Verhandlungsmacht der Bauern gegenüber der Lebensmittelindustrie und dem Handel zu stärken sowie die Subventionspolitik umzustellen. Gegenwärtig entfällt der überwiegende Teil der Subventionen auf pauschale Flächenprämien, unabhängig von qualitativen Vorgaben für die Bewirtschaftungsweise.
Wer für die Existenz vieler einzelner eigenständiger Agrarbetriebe eintritt, kommt nicht umhin, die Konkurrenz zwischen ihnen zu bejahen. Selbst wenn die Ziele der AbL erreicht würden und kleinere sowie mittlere Betriebe zunächst in der Landwirtschaft dominierten, wäre dies nicht von Dauer, denn ein Konzentrationsprozess käme erneut in Gang. Konkurrenz ist ohne Sieger und Verlierer nicht zu haben.
Zwar ist beispielsweise in Bergdörfern, in denen Bauernhöfe klein sind, ein gewisses Mindestmaß an Kooperation üblich. Verschiedene Bauern wechseln sich dabei ab, die Kühe morgens auf eine Wiese zu treiben und abends wieder in den Stall zu bringen. Zudem gibt es unter Bauern Maschinengemeinschaften.
Zugleich weisen Kleinbauern allerdings in einem geradezu sprichwörtlich starken Ausmaß die Mentalität von Privateigentümern auf: Man gönnt sich gegenseitig nicht das Schwarze unter dem Fingernagel. Es herrschen Neid und Rivalität, das Leitbild des kleineren Bauern ist der größere Hof. Auch auf dem kleinen Bauernhof hat nur der Privateigentümer den Hut auf. Gleichberechtigte Arbeitskollegen kennt ein solcher Landwirt nicht. Einzelkämpfer zu sein – das bleibt nicht ohne negative Folgen.
Ein solcher Hofherr besitzt häufig nichts außer den Hof. Der ist sein »ein und alles«, sein Lebenswerk. Die hohe Arbeitsbelastung des Bauern, der für die Bewältigung der Aufgaben nicht selten auch seine Familienangehörigen einbezieht, geht einher mit dem eigensinnigen Stolz, sich auf dem Hof als eigener Boss betätigen zu können. Zwar weist die Eigenständigkeit objektiv angesichts der ökonomischen Abhängigkeiten des Bauern enge Grenzen auf. Umso überkompensatorischer und schrulliger wird die Eigenständigkeit dann inszeniert, auch wenn sie häufig nur Fassade ist.
Die Glaubensüberzeugung: »Jeder strengt sich nur für den Betrieb an, dessen Privateigentümer er ist!«, passt zu Selbständigen, die solo ihr eigenes Gewerbe betreiben. Sie passt nicht zu Betrieben und Organisationen, in denen die Arbeit arbeitsteilig und als Kooperation vieler Arbeitender gemeinsam organisiert wird.
Vergesellschaftung und sinnvolle Arbeit
Eine anstrebenswerte Gesellschaft wird ihre Ökonomie so einrichten, dass der Gegensatz zwischen dem betriebswirtschaftlichen Nutzen und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwunden bzw. wenigstens massiv verringert wird. Die wirtschaftliche Rechnungsweise verabschiedet sich dann von gegenwärtig vorherrschenden Maximen wie »Gewinne privatisieren und Verluste der Gesellschaft aufbürden« oder »Möglichst billig produzieren, dafür Natur, Umwelt und Gesundheit schädigen«. Wer diese Orientierung überwinden will, wird an der Vergesellschaftung von Betrieben bzw. an der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht vorbeikommen.
In bezug auf die Landwirtschaft betrifft das auch die Unternehmen, die die Agrarerzeugnisse verarbeiten, zum Beispiel Großschlachtereien und -molkereien, und solche Betriebe, die ihr Geschäft mit Saatgut oder Maschinen für die konventionelle Landwirtschaft machen. All diese Kapitale agieren als Treiber und Verstärker einer durch und durch problematischen Agrarproduktion.
Die Verfechter des bäuerlichen Privateigentums folgen der Glaubensüberzeugung: »Nur zu meinem Eigentum bzw. Stück Grund und Boden habe ich ein intensives und sorgfältiges Verhältnis.« Gewiss entsteht durch einen bloßen Eigentümerwechsel (Nationalisierung des Grund und Bodens) nicht notwendigerweise eine Mentalität, aus der heraus Arbeitende in öffentlichen Einrichtungen motiviert, qualifiziert und mit Einsatz »für die Sache« arbeiten. Dafür bedarf es objektiv einer anderen Organisation der Arbeit und eines anderen Stellenschlüssels.
Es bedarf aber eben auch subjektiv einer Wertschätzung sinnvoller Arbeit, damit es nicht bei einem desinteressierten und unengagierten Verhältnis eines Verwalters zu einer ihm fremden Materie (hier: zum öffentlichen Eigentum) bleibt. Viele Lehrer in öffentlichen Schulen oder Beschäftigte in öffentlichen Krankenhäusern leisten gute und empathische Arbeit. Das zeigt: Dafür ist es keineswegs notwendig, dass jemand nur die eigenen Kinder unterrichtet, Arzt in der eigenen Privatpraxis ist oder ausschließlich seine eigenen Angehörigen pflegt.
Die Vergesellschaftung stellt »nur« – oder: immerhin – die objektive Bedingung einer anstrebenswerten Wirtschaft dar, in der es den Anbietern auch subjektiv darum geht, für die Kunden sinnvolle Produkte in guter Qualität zu produzieren. »Sinnvoll« heißt auch: Der Anbieter begnügt sich nicht damit, dass er mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung irgendein Bedürfnis erfüllt. Bei Prostitution und Drogen ist der Unterschied zwischen problematischen und unproblematischen Bedürfnissen evident. Ein landwirtschaftliches Produkt ist nur dann sinnvoll, wenn seine Produktion nicht die natürlichen Lebensbedingungen schädigt und sein Konsum der Gesundheit und dem Genuss zuträglich ist.
Es existiert inzwischen eine Menge Wissen über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile bestimmter Lebensmittel. Fastfood ist nützlich im Kontext von Zeitdruck und Zeitknappheit, aber vielen ist bewusst, dass man sich auf Dauer damit nichts Gutes gut.
Insgesamt geht es also darum, dass Arbeitende es nicht dabei bewenden lassen, sich ausschließlich für das Arbeitseinkommen und die Arbeitsbedingungen zu interessieren. Wer seine Arbeit nicht nur als Job auffasst, hat Vorbehalte dagegen, dass Gebrauchswertinhalte der Produkte und Dienstleistungen davon abhängen, was profitabel und verkaufbar ist. Dieses Problem lässt sich nicht individuell lösen. Wer Gewissensbisse wegen seiner Arbeit bzw. deren Produkte hat, kommt nur weiter, wenn er ein Bewusstsein gewinnt von den für sie maßgeblichen gesellschaftlichen Strukturen.
Bessere Eigentums- und Besitzverhältnisse
Friedrich Engels plädierte 1894 dafür, gegenüber den kleineren Bauern für eine Landwirtschaft in Produktionsgenossenschaften auf freiwilliger Basis zu werben: »Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauern besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauern Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.« Diese Vorteile betreffen nicht zuletzt die Zusammenarbeit der Bauern im Unterschied zu ihrer gegenwärtigen Einzelkämpferexistenz.
Damals war die Landwirtschaft weder industrialisiert noch subventioniert. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 machte die staatliche Förderung durchschnittlich 45 Prozent des Betriebseinkommens deutscher Bauern aus. Selbst konventionelle Landwirtschaft ist unter Bedingungen einer normalen Marktwirtschaft wirtschaftlich kaum existenzfähig. Eine Umstellung der Landwirtschaft auf biologischen Landbau würde die Preise der Agrarprodukte massiv erhöhen oder alternativ dazu weitere Subventionen nötig machen.
In der Landwirtschaft waren 2023 876.000 Arbeitskräfte beschäftigt, davon 398.000 als Familienarbeitskräfte. Von den 478.000 familienfremden Arbeitskräften machten Saisonarbeitskräfte etwa die Hälfte aus (243.000). Sie sind meist ausländischer Herkunft. Würden die Unternehmen nicht horrende Abgaben für beengte Unterkünfte häufig vom Lohn abziehen, würden sie Abgaben für die Sozialversicherung zahlen und bessere Arbeitsbedingungen bieten, müsste die Landwirtschaft noch stärker subventioniert werden.
Die konventionelle Landwirtschaft ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie systemisch und systematisch negative »Nebenwirkungen« hervorgebracht und billigend in Kauf genommen werden. Falls sich die gesundheitlichen und ökologischen Schäden überhaupt beseitigen oder kompensieren lassen, kommen nicht diejenigen finanziell dafür auf, die mit Agrarprodukten Profit machen. Die öffentlichen Kassen sind es, die die Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden der konventionellen Landwirtschaft übernehmen und sie in großem Umfang subventionieren.
Wenn Landwirtschaft ohnehin nur durch massive Subventionen möglich ist, wird es Zeit für eine andere Eigentums- und Besitzform. Die landwirtschaftlichen Betriebe würden dann zu Anstalten des öffentlichen Rechts und die Bauern zu Angestellten im (erweitert verstandenen) öffentlichen Dienst.
Gewiss sind in ihm Veränderungen erforderlich, um Bürokratismus und Dienst nach Vorschrift zu überwinden. Der Schimmel soll nur auf der Weide wiehern, nicht im Amt. Aber trotz aller Mängel des bestehenden öffentlichen Dienstes ist eine Mehrheit der Bevölkerung erfreulicherweise der Auffassung, die Politik solle eher öffentliche Kliniken und Schulen fördern als Privatkliniken und Privatschulen. Da fehlt »nur« noch das Votum dafür, die Landwirtschaft in den öffentlichen Dienst einzugliedern.
*Vgl. Meinhardt Creydt: »Deglobalisierung – Zeitdiagnose und Perspektive«, telepolis, 4.4.2021.
Meinhard Creydt ist Psychologe und promovierter Soziologe. Er lebt und arbeitet in Berlin. Letzte Buchveröffentlichung: Der Foucault-Ismus. Analyse und Kritik. Kassel: Mangroven Verlag, 2024. 302 S., 26 Euro
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