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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2014

…und das ökosozialistische Ei des Kolumbus

von Daniel Tanuro

Alle Parteien haben den Kampf gegen den Klimawandel in ihre Programme aufgenommen. Doch die Erwärmung der Erdatmosphäre nimmt immer schneller zu. In den 90er Jahren erwärmte die Atmosphäre sich noch um 1% jährlich, im darauffolgenden Jahrzehnt beschleunigte sich der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits auf 3%. Derzeit schwankt er um einen Wert von 2%, trotz der wirtschaftlichen Flaute.Wo führt das hin? Der Chef-Ökonom der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, antwortet darauf: «Der gegenwärtige Trend passt perfekt zu einem Anstieg der Temperatur um 6°C (bis zum Ende des 21.Jahrhunderts), was verheerende Folgen für die Erde hätte.»

Die bedrohlichste Folge ist der Anstieg des Meeresspiegels. Laut Anders Levermann, einem anerkannten Spezialisten für dieses Problem, würde eine Aufheizung der Atmosphäre um 6°C einen Anstieg des Meeresspiegels von… 12 Metern zur Folge haben! Sicherlich, der Anstieg würde sich auf 1000–2000 Jahre verteilen. Aber Vorsicht: Erstens kann diesen Prozess, wenn er einmal begonnen hat, nichts mehr aufhalten. Zweitens ist ein Anstieg um 1 Meter bis Ende des Jahrhunderts keineswegs ausgeschlossen. Drittens würde sich diese Erscheinung erst in der nächsten Eiszeit umkehren (also frühestens in… 30000 Jahren).

Die neoliberale Energiepolitik ist gescheitert

Die seit 20 Jahren betriebene, neoliberale Klimapolitik ist völlig gescheitert. Ihr Grundsatz ist, mit Hilfe eines Preises für CO2-Emissionen von der Nutzung fossiler Brennstoffe abzuschrecken und zu Investitionen in erneuerbare Energien anzureizen. Theoretisch sollen diese Investitionen weltweit bis zu einer Billion Dollar jährlich zunehmen, womit sich der Übergang zu einer ökologisch verantwortbaren Energieproduktion allmählich verwirklichen ließe. Aber das funktioniert nicht: Trotz der handelbaren Verschmutzungsrechte und der Steuern auf fossile Energieträger, haben die «grünen» Investitionen 2013 das zweite Jahr hintereinander abgenommen, in Europa sogar um 40%!

Die Erklärung für den Rückgang ist einfach: Die Kapitaleigentümer, die in fossile Energien investiert haben, und die Finanzinstitute, die ihnen Kredit geben, verweigern jegliche Reduzierung ihrer Profite. Sie stehen untereinander in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf und üben erheblichen Druck auf ihre jeweiligen Nationalstaaten bzw. auf deren Regierungen aus. Und die geben dem Druck unter Berufung auf die sakrosankte «Wettbewerbsfähigkeit» bereitwillig nach.

Das ist weit davon entfernt sich zu ändern. Im Gegenteil: Je dringlicher die Sache wird, desto stärker müsste der Preis für die Tonne CO2 steigen, um darauf zu reagieren – und desto heftiger wehrt sich die Industrie (aber auch Bürgerinnen und Bürger) dagegen. Um die Emissionen nachhaltig zu senken, müssten mindestens 2 Euro Steuern auf einen Liter Heizöl erhoben werden. Dagegen würde auf breiter Front Sturm gelaufen. Die Analysten von Bloomberg New Energy Finance kamen kürzlich zu folgender Schlussfolgerung: «Ausgehend von der Hypothese, dass der Klimawandel unvermeidlich ist, investiert sich (!) das intelligente (sic!) Geld in Geschäfte, die Profit daraus ziehen können, dass der Planet wärmer wird.»

Präzedenzfälle

Es ist noch zu gelinde ausgedrückt, dass eine Energiewende dringlich wird. Beim derzeitigen Rhythmus reicht die Menge an fossilen Energieträgern, die die Menschheit noch verbrennen darf, um den Anstieg der globalen Temperatur wenigstens mit einer Wahrscheinlichkeit von 2:1 auf 2°C zu begrenzen, gerade mal noch bis zum Jahr 2032. Im Klartext: Es bleiben uns weniger als zwanzig Jahre, um Kohle, Erdöl und Erdgas (die heute noch 80% des Energieverbrauchs tragen) durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Wobei auch die Atomenergie, diese Technologie des Zauberlehrlings, abgeschafft werden muss.

Ist das noch möglich? Technisch ja. Und doch handelt es sich um eine herkulische und sehr teure Aufgabe. Sie beinhaltet nämlich, dass erstens das gesamte derzeitige System der Energieproduktion beseitigt werden muss, noch bevor sich das in ihm steckenden Kapital amortisiert hat – und dessen globaler Geldwert wird auf 15–20 Billionen Dollar geschätzt. Zweitens dürfte dann der größte Teil der noch vorhandenen Reserven an fossilen Brennstoffen niemals ausgebeutet werden, obwohl sie billiger sind als alles andere und den Konzernen, denen sie gehören, zu besonders hohen Gewinnen verhelfen. Drittens müssten, ohne Rücksicht auf die Kosten, alle verfügbaren Mittel mobilisiert werden, um ein neues, effizientes System der Energieproduktion aufzubauen, das auf einer Vielfalt erneuerbarer Energien fußt, dezentral und schwerpunktmäßig lokal organisiert ist und dabei deutlich arbeitsintensiver ist als das bisherige System.

«Revolutionäre Änderung»

Die Geschichte kennt keine vergleichbare Herausforderung. Und doch kann man aus einigen Erfahrungen lernen. Zum Beispiel haben die USA nach dem Überfall auf Pearl Harbor [am 7.Dezember 1941] enorme Anstrengungen unternommen, um die Lage wieder umzukehren. Wie? Haben sie einen «Markt der Rechte» (analog zum Markt für Emissionsrechte) eingerichtet, um die Unternehmen von Investitionen in die Friedensindustrie abzuhalten? Nein. Sie haben den öffentlichen Sektor ausgebaut und die Kriegswirtschaft planmäßig vorangetrieben. Um das zu finanzieren, haben sie den Schaum der kapitalistischen Profite abgeschöpft – jeder Gewinn über 5% des Umsatzes wurde als «exzessiv» eingestuft und mit 80% Steuern belegt.

Das Beispiel soll nur belegen, dass eine große, unmittelbar drohenden Gefahr energische und geplante Maßnahmen erfordert, die aus den Mechanismen des «freien Markts» ausbrechen und die kapitalistischen Gewinne abschöpfen. Diese Lehre ist auf den Kampf um das Klima anzuwenden. Wie sagte doch kürzlich der Klimatologe Kevin Anderson ganz richtig: «Nach zwei Jahrzehnten voller Bluff und Lügen erfordert die verbleibende Reserve an fossilen Energieträgern, über die wir noch verfügen, eine revolutionäre Änderung des hegemonialen  politischen und wirtschaftlichen Systems.»

Was für eine Änderung? Da gibt es nicht drei Dutzend Möglichkeiten. Soll die Katastrophe verhindert werden, müssen Kapitaleigentümer in den Bereichen Energie und Kreditwesen enteignet werden, denn sie sind es, die den Übergang zu den erneuerbaren Energien verhindern. Das ist eine notwendige Voraussetzung dafür, die erforderlichen Investitionsmaßnahmen in Gang zu setzen und zu finanzieren, die sich ja in allen Bereichen aufdrängen – Wohnung, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft –, und die Produktion insgesamt auf eine sozial gerechte Weise zurückzufahren. Schlüsselbegriffe dafür sind: Gemeingüter, Regulierung, öffentliche Unternehmen, Dezentralisierung, Kooperation, Effizienz, Nachhaltigkeit, Umverteilung der gesellschaftlich nützlichen Arbeit, Kontrolle und partizipative Demokratie.

Hallo, Linke!

Die Linke ist angesprochen. Ich spreche nicht von den Sozialliberalen, sondern von der wirklichen Linken, vor allem von der Gewerkschaftslinken. Die neoliberale Politik zerstört zugleich die Gesellschaft, in der wir leben, und die Erde, die wir unseren Kindern hinterlassen. Es ist absurd, zwischen «Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen» einerseits und «Klima und Arbeitslosigkeit» andererseits wählen zu wollen. Man muss diese höllisch falsche Alternative beiseite schieben und den sozialen und den ökologischen Herausforderungen zugleich gerecht werden.

Die Lösung wird nicht wie durch Zauberei aus der Wahlurne kommen. Aber es gibt keinen anderen Weg und der Preis lohnt den Einsatz. Denn das Vorhaben, wenn es auf breiter Front angegangen wird, könnte die Massenerwerbslosigkeit beseitigen und allen ein angemessenes Einkommen, ein angenehmes Lebensumfeld und attraktive Arbeitsplätze verschaffen. Unsere Gesellschaften könnten auf diesem Weg einen unserer Art und unserer Intelligenz angemessenen gemeinschaftlichen Sinn für ihre Aktivität an die Hand bekommen. Das ist das ökosozialistische Ei des Kolumbus: Es gilt mit fester Hand auf den Punkt zu schlagen, auf den es ankommt.

Daniel Tanuro ist Agraringenieur und schreibt über Klimafragen. Zuletzt schrieb er in SoZ 12/2013 über die Subventionierung der fossilen Energieträger.

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