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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2016

«Suchen Sie sich für Ihre Demonstration einen anderen Ort!»
dokumentiert

Brief des ehemaligen Vorsitzenden der Bürger­initiative Stop Rheinbraun an einen Vertreter der IG BCE anlässlich der angekündigten Demonstration «Schnauze voll».
Sehr geehrter Herr Maresch,

Sie sind mir als Verantwortlicher der Demonstration «Schnauze voll» am Freitag, den 26.8.2016, Beginn 16 Uhr an der L277, Kasterer Straße/Jackerather Straße mit Ende 17.30 Uhr auf der L19, Höhe Holzweiler, benannt worden. Mit ihrer Demonstration wollen Ihre Mitglieder auf ihre wirtschaftliche Lage, bedingt durch die unwirtschaftliche Braunkohleverstromung, und auf ihre persönliche Gefährdung durch Rechtsbrecher im Bereich des Tagebaus hinweisen, die auch vor Angriffen gegen Leib und Leben ?Ihrer Mitglieder nicht zurückschrecken.

Als langjähriger Vorsitzender der Bürgerinitiative Stop Rheinbraun habe ich volles Verständnis dafür, dass Ihre Mitglieder auf diese Gefährdung ihrer Gesundheit und ihre Existenzangst öffentlich hinweisen wollen. Ich lehne jede Form der Gewalt als Ausdruck politischen oder gesellschaftlichen Willens ab.

Ich bitte Sie aber hiermit eindringlich, diese Demonstration nicht an dem von Ihnen benannten Ort durchzuführen. Aus welchem Grund? Dies will ich Ihnen hiermit gerne erläutern:

Das Erkelenzer Land bietet seinen Bewohnern seit über 7000 Jahren Heimat und Schutz, es ernährt seine Bewohner und gehört zu den fruchtbarsten Böden Europas. Die Zerstörung dieser Landschaft durch die Fa. RWE hat bereits 50000 Menschen ihre Heimat genommen. Unzählige Ortschaften und Weiler wurden vernichtet. Auf die Existenzen der Bewohner und die gesundheitlichen Belastungen dieser Menschen haben auch Ihre Mitglieder nie Rücksicht genommen. Im Gegenteil, wenn die Menschen diese Existenzangst und die Angst um ihre Gesundheit und ihr Leben öffentlich gemacht haben, wurden sie auch von Mitgliedern der IG BCE verhöhnt und aggressiv beleidigt. Ich erinnere an die Demonstration der Belegschaft von RWE Ende der 90er Jahre in Otzenrath und ihr Verhalten während der öffentlichen Anhörung zu Garzweiler II im Jahre 1994 in Erkelenz.

Nicht nur Ihre Mitglieder leiden unter den strategischen und wirtschaftlichen Fehlern von RWE. Auch die Bewohner der letzten fünf umzusiedelnden Ortschaften im Bereich Garzweiler II befürchten, durch die Sparzwänge von RWE einen Teil der Umsiedlung aus ihrer eigenen Tasche finanzieren zu müssen. Zumutbare Eigenbelastung nennt man das in der Sprache des Unternehmens.

Von den gesundheitlichen Belastungen der Umsiedler während der Planungs- und Bauphase, von den dabei auftretenden sozialen Spannungen, von den innerfamiliären Konflikten, von den Verlusten an Lebensqualität und der Vernichtung des sozialen Umfeldes während der Umsiedlung, von dem Dreck und Stress, von der Angst der Umsiedler wollen wir gar nicht reden.

Auch die Tagebaurandbewohner, wie z.B. die Menschen in Holzweiler, Dackweiler, Kückhoven, Kaulhausen, Venrath und Wanlo, werden noch jahrzehntelang im Schatten des Drecks, des Staubs, des Lärms, des Werksverkehrs, des abgesenkten Grundwassers, des wirtschaftlichen Niedergangs ihrer Immobilien durch den Tagebau Garzweiler II leben müssen. Auch das ist Gewalt, auch das sorgt für Angst.

Da Ihre Mitglieder ihr ganzes Berufsleben lang von der Zerstörung unserer Heimat gelebt haben, finde ich es nun sehr geschmacklos, das die IG BCE nun die Kulisse des Ortes Holzweiler für ihre Demonstration unter dem Motto «Schnauze voll» wählt. Den Ort, den Ihre Mitglieder ohne auch nur einen Moment an die Betroffenen zu denken, jederzeit zerstören würden, um ihren eigenen Wohlstand zu sichern.

Ich kann Ihnen versichern, Herr Maresch, wir alle, Betroffene und Tagebaurandbewohner, haben auch die Schnauze voll, vom Bergbau, von der Braunkohle und vom politischen und wirtschaftlichen Umgang mit uns Menschen im Rheinischen Revier.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Wahl des Demonstrationsorts im Gebiet der Stadt Erkelenz für geschmacklos und zynisch. Ich bitte Sie daher aufrichtig, suchen Sie sich für Ihre Demonstration einen anderen Ort.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans Josef Dederichs

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