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Nur Online PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2013
20 Jahre Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
Kampagne "Fight Racism Now!"

Vor 20 Jahren, am 26. Mai 1993, hat der Deutsche Bundestag den Grundgesetzartikel 16 gestrichen. Dieser hatte kurz und bündig erklärt: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Der neu aufgenommene Artikel 16a höhlt dieses Asylgrundrecht durch weitreichende Zusatzbestimmungen aus. So wird Asyl pauschal all jenen verweigert, die aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern flüchten oder über einen sicheren "Drittstaat" nach Deutschland eingereist sind. Zudem werden Verfahrensgarantien für Geflüchtete eingeschränkt, so dass leichter und schneller abgeschoben werden kann.
Diese Regelungen gehen auf den sogenannten "Asylkompromiss" zurück, den CDU/CSU, FDP und SPD im Dezember 1992 vereinbart hatten, und der die notwendige parlamentarische Zweidrittelmehrheit sicherstellte. Die Regelungen des Artikel 16a dienten als Blaupause des gesamteuropäischen Grenz- und Abschieberegimes, dem in den vergangenen 20 Jahren mehr als 17.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl war der politische Höhepunkt einer rassistischen Gewalt- und Medienkampagne unmittelbar nach der deutschen Einheit. Übergriffe gegen Asylsuchende und MigrantInnen steigerten sich 1991/92 zu einer Serie von Brandanschlägen, und zu Pogromen in Ost und West. In Hoyerswerda, Mannheim-Schönau und Rostock-Lichtenhagen griffen Nazis und Nachbarn über Tage Sammellager für Geflüchtete an.
Nährboden dieser Eskalation war die anhaltende Hetze staatstragender Parteien und Medien. CDU-Generalsekretär Rühe hatte seine Fraktionsvorsitzenden bis auf Gemeinderatsebene instruiert, "Asylpolitik zum Thema zu machen" und so die SPD für eine Grundgesetzänderung sturmreif zu schießen. Bundesinnenminister Rudolf Seiters beschuldigte noch während des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen dessen Opfer. Auf einer Pressekonferenz erklärte er: „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben.“ Allgegenwärtige Untergangsmetaphern wie "Asylantenschwemme" und "Das Boot ist voll" legitimierten rassistische Gewalt als nationalen Selbstschutz. Der tatsächliche Anstieg der Flüchtlingszahlen war vor allem durch den Jugoslawienkrieg bedingt.

Die antirassistische Großdemonstration im Bonner Hofgarten am 3. Oktober 1992 mit über 100.000 Teilnehmenden war ein letztes Aufbäumen der alten Neuen Sozialen Bewegungen. Beim Versuch der Parlamentsblockade am "Tag X" der Grundgesetzänderung waren nur noch 3-4000 auf der Straße, vornehmlich antifaschistische Gruppen. Die Lichterketten-Kundgebungen des bürgerlichen Lagers begannen ohnehin erst, nachdem die SPD mit ihrer "Petersberger Wende" grünes Licht zur Grundgesetzänderung gegeben hatte. Sie dienten ganz ausdrücklich auch dem Ziel, das Ansehen Deutschlands in der Welt zu rehabilitieren. Organisierte Nazis haben die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl als politischen Triumph wahrgenommen. Eine ganze Generation von ihnen ist mit der Erfahrung aufgewachsen, dass rassistische Straßengewalt politisch belohnt wird – die Generation NSU.

Der moralisch hochschwingende, politisch aber unverbindliche Protest der Lichterketten wurde für die staatsnahe "Zivilgesellschaft" der Berliner Republik prägend. Während sich inzwischen fast jede Stadt mit einem "Bündnis für Demokratie und Toleranz" schmückt, werden Geflüchtete tagtäglich nach Recht und Gesetz schikaniert, ohne dass sich dagegen nennenswerter Protest erheben würde. Die Einschränkung des Asylrechts auf das Konstrukt "politisch Verfolgte" blendet aus, dass globale Ausbeutungsverhältnisse das Leben von weit mehr Menschen bedrohen als jede finstere Diktatur.

Die deutsche Drittstaatenregelung wird heute im Rahmen einer integrierten Flüchtlingsabwehr europaweit durchgesetzt. So werden Geflüchtete, die auf dem Landweg nach Deutschland eingereist sind, nach der Dublin-II-Richtlinie in ihre Transitstaaten zurückgeschoben – in die krisengeschüttelten Länder der europäischen Peripherie. Hier erwarten sie selbst nach Ansicht deutscher Gerichte menschenunwürdige Bedingungen, insbesondere in Griechenland, Italien und Ungarn.

Die Kampagne mobilisiert bundesweit zu einer antirassistischen Demonstration am 25. Mai in Berlin.
www.fightracismnow.net

 

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