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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2018
CasaPound: Von einer sozialen Bewegung zur politischen Partei
von der Redaktion

Bei den Parlamentswahlen am 4.März könnte die faschistische Rechte ins italienische Parlament einziehen.

Die Formierung einer offen faschistischen Rechten macht in Italien beängstigende Fortschritte. Kristallisationspunkt solcher Formierung ist die Bewegungspartei CasaPound. Sie hatte am 7.Januar 2018 zu einem Gedenkmarsch in Rom anlässlich des Jahrestags eines Attentats auf drei rechte Jugendliche in den 70er Jahren aufgerufen, 5000 Leute marschierten in militärischem Defilee und zeigten den «römischen Gruß» – der in Italien gesetzlich verboten ist. Im Zug wurden hinter der Trikolore die Länderfahnen Argentiniens, Portugals, Spaniens, Frankreichs, Schottlands, Irlands, Finnlands, Polens, Rumäniens, Russlands und Syriens gezeigt. Musikgruppen, die im Anschluss auftraten, kamen aus Frankreich, Kanada, der Ukraine, Bulgarien und Griechenland. Sie feierten ihre «schwarze Internationale».

Das ist nur ein Beispiel für eine wachsende Präsenz der Faschisten auch auf den Straßen und in den öffentlichen Räumen. Sie greifen Flüchtlingsunterkünfte an, machen sich in Fußballstadien breit, zettelten Schlägereien, Überfälle und Brandstiftungen an – sie morden und sitzen in Parlamenten. In den letzten Monaten etwa drangen Nazi-Skinheads in den Versammlungsraum der antirassistischen Gruppen «Como ohne Grenzen», die in der italienischen Grenzstadt zur Schweiz gestrandete Flüchtlinge unterstützt, und verlas dort vor den eingeschüchterten Mitgliedern eine an sie adressierte Feinderklärung. Anfang Dezember demonstrierten maskierte Mitglieder der rechtsextremen Partei Forza Nuova vor dem römischen Verlagshaus, das die Wochenzeitung L’Espresso und die renommierte Tageszeitung La Repubblica herausgibt. Sie forderten den Boykott der beiden Zeitungen, die für ihre kritischen Hintergrundberichte über die extreme Rechte bekannt sind.

 

Vorgeschichte

Bis in die 90er Jahre war die Hauptpartei der faschistischen Rechten die MSI (Movimento Sociale Italiano), 1995 mutierte sie zur Alleanza Nazionale (AN), die zu bürgerlicher Respektierlichkeit aufsteigen wollte und auf Landesebene in eine gemeinsame Koalition mit der rassistischen Lega Nord und der neugegründeten Forza Italia eintrat, an dessen Spitze der Milliardär Silvio Berlusconi stand, der gerade wieder ein Comeback feiert. Dutzende von Posten wurden von AN besetzt, bis hin zu Bürgermeister- und Ministerämtern.

Unter der Mitte-Rechts-Regierung verschob sich das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in Italien deutlich nach rechts, mit arbeiterfeindlichen und repressiven Verordnungen und rassistischen Gesetzen. Frauenfeindlichkeit und Sexismus, antiegalitäre Rhetorik und Taubbrüche, die den Faschismus relativieren sollten, kamen von den höchsten Würdenträgern des Staates und standen auf der medialen Tagesordnung. Heute stellt sich für viele Italiener die faschistische Diktatur Mussolini als eine Epoche unter vielen und die faschistische Ideologie als gleichwertig zu demokratischen und linken Anschauungen dar.

Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass ein Teil der Alleanza Nazionale über den Umweg des Parteienbündnisses Il Popolo della Libertà (Das Volk der Freiheit) zwischen 2009 und 2013 in Berlusconis Partei Forza Italia absorbiert wurde. Der andere Teil von AN gründete 2012 eine neue Partei mit Namen Fratelli d’Italia (so beginnt die italienische Nationalhymne), die mit dem früheren MSI-Mitglied Giorgia Meloni zu den Parlamentswahlen am 4.März antritt.

 

Das Biotop Berlusconi

Unter diesen Bedingungen konnte die extreme Rechte in Italien in den letzten 25 Jahren ungestört agieren und wachsen. Wie in anderen Ländern auch nahm sie die unterschiedlichsten Formen an: Skinheadgruppen, rechte Musikgruppen, Ultragruppen in den Stadien, aber auch Parteien wie Forza Nuova unter Roberto Fiori (gegründet 1997) oder CasaPound unter Gianluca Iannone (gegründet 2003). Sie greifen inzwischen zu offen terroristischen Formen gegen Ausländer und gegen Linke, weshalb sie mit den Schwarzhemden der 20er Jahre verglichen werden.

CasaPound ist mit Abstand die erfolgreichste dieser Gruppen. Sie hat im vergangenen Jahre mehrere Massenaufmärsche organisiert, in den meisten Fällen allein, also nur ihre engere Anhängerschaft mobilisiert: so etwa am 25.März in L’Aquila (5000), am 29.April in Mailand (2000), am 24.Juni in Rom gegen das Ius Soli (5000), am 28.Oktober anlässlich des 95.Geburtstags von Mussolinis «Marsch auf Rom» in Predappio, Mussolinis Geburtsort (2500).

Von Interesse ist der Weg, wie CasaPound zu dieser Kraft emporgestiegen ist. Die Gruppe tritt erst seit fünf Jahren als Partei an (2013). Vorher gerierte sie sich als soziale Bewegung, sie entstand 2003 aus einer Hausbesetzung heraus und hat sich überhaupt viel von den Aktionsformen der radikalen Linken abgeschaut.

Bis 2008 war sie eng verbunden mit der MSI, also dem Teil von ihr, die die Umbenennung in Alleanza Nazionale nicht hatte mitmachen wollen. Der heutige Chef von CasaPound, Iannone, trat 2008 als Kandidat für ein Wahlbündnis der MSI mit einer anderen rechtsextremen Partei an. Aus Gründen innerparteilicher Rivalitäten gründete Iannone dann einen Sozialverband für die Bewegung CasaPound. Ende 2012 erhielt die Organisation Parteienstatus und nimmt sei 2013 an den Wahlen teil.

In den letzten Jahren hat CasaPound seine Infrastruktur kontinuierlich ausgebaut. Seit 2013 eröffnet die Partei fast jeden Monat einen neue Parteisitz, allein im vergangenen Jahr 17 Sitze, vorzugsweise in kleineren Städten; die Partei breitet sich gezielt in ländlichen und strukturschwachen Regionen aus.

Sie verfügt über eine Schüler- und Studentenorganisation, den Blocco Studentesco, der in den letzten zwei Jahren seine Ergebnisse bei den Wahlen zur Schülervertretung verdoppeln konnte. Die Mitgliederzahl der Partei soll sich im selben Zeitraum verdreifacht haben. Sie unterhält ein Online-Portal, «Il Primato Nazionale», das es seit Oktober 2017 auch als Papierausgabe gibt, Auflage: 20000.

 

Wahlerfolge

Mitte letzten Jahres sind viele lokale und regionale Parlamente in die Hände der Rechten und extremen Rechten gefallen. So auch in Genua, das 42 Jahre links regiert worden war und wo 2001 ein Student, Carlo Giuliani, auf einer Demonstration gegen den G8-Gipfel ermordet wurde. Dort explodiert gerade die faschistische Gewalt. Am 3.Februar hat CasaPound dort ein Büro eingerichtet. Dagegen organisierte das Bündnis «Genova Antifascista» eine große Demonstration, die landesweit Beachtung fand. Im Vorfeld der Demonstration hatte es am 12.Januar einen Naziangriff auf Antifaschisten gegeben, die für die Demonstration plakatierten. Die etwa 30 Angreifer können der CasaPound zugeordnet werden. Ein Antifaschist wurde dabei niedergestochen und überlebte schwer verletzt.

Bei den kommenden Wahlen werden CasaPound Chancen ausgerechnet, ins Parlament einzuziehen. Sie profitiert von der Wahlreform Renzis 2015, die u.a. die Sperrklausel von 4 auf 3 Prozent gesenkt hat. Am 10.Januar handelte eine Umfrage die Partei bei knapp über 2 Prozent.

Vorangegangen sind Kommunalwahlen, bei denen in einigen Fällen CasaPound in den Stadtrat kam: so 2016 in Bozen (6,7 Prozent), in Grosseto und zwei weiteren Kommunen, 2017 in Lucca (8 Prozent), in Toxi und Ostia (9 Prozent). Es gab auch Überläufer von anderen Parteien (u.a. von der Lega Nord in Verona). Insgesamt verfügt die Partei über ein gutes Dutzend Kommunalsitze und «viele gute Freunde» in lokalen und regionalen Parlamenten.

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