Filmtipp
von Matthias Becker
Verkehrswendestadt Wolfsburg. Den automobilen Konsens aufbrechen
Deutschland 2024
Regie: John Mio Mehnert
film.verkehrswendestadt.de/
Wie ein Handvoll Aktivisten den »automobilen Konsens aufbrechen« wollte und in ein Wespennest stach
Dass Wolfsburg und Volkswagen zusammengehören wie Pommes und Ketchup, ist bekannt. Dass aber die Stadt tatsächlich sozusagen für den Konzern entstanden ist und ihren Namen Wolfsburg erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten hat, werden wohl nicht so viele wissen. Dieser Film macht unter anderem deutlich, wie dunkel die dunkle Vergangenheit tatsächlich ist. Manche Stadtbewohner würden die Porschestraße am liebsten umbenennen, weil damit ein Kriegsverbrecher geehrt werde. Bei der 85-Jahr-Feier der Stadt wird die NS-Vergangenheit unter den Tisch gekehrt.
Dies ist allerdings nur ein Nebenaspekt. Der Film beschreibt die sehr besondere Kooperation zwischen Klimaaktivist:innen und Gewerkschaftern, die eine Zukunft des VW-Konzerns abseits der Pkw-Produktion erreichen wollen. Ausgerechnet in Wolfsburg, der »Höhle des Löwen« der Automobilindustrie, wollten sie das Undenkbare denkbar machen: Die Autoindustrie wird umgerüstet und stellt keine Autos für die individuelle Mobilität mehr her, sondern öffentliche Verkehrsmittel und andere sozial und ökologisch sinnvolle Produkte.
Im August 2022 begann eine Gruppe von Verkehrswendeaktivisten, gemeinsam mit kämpferischen und ebenfalls klimabewegten VW-Arbeitern ihren Versuch, den »automobilen Konsens aufzubrechen«, mit kreativen Aktionen, zivilem Ungehorsam und lokalpolitischen Kampagnen. Sie bezogen ein Haus in der innerstädtischen Amselstraße, das fortan als Begegnungsraum und Hauptquartier diente. Ihre Parole: »VW heißt Verkehrswende«.
Der Film zeigt einige Aktionen, die zumindest medial durchaus erfolgreich waren. Etwa als ein Zug, der fabrikneue VW-Pkw transportierte, blockiert und mit einem Transparent abgedeckt wurde, das eine Straßenbahn zeigte: »Die erste in Wolfsburg gefertigte Straßenbahn verlässt das Werk!« Wir lernen die aktiven Personen kennen: Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Umland von Wolfsburg, aber auch aus ganz Deutschland, Gewerkschafter, die zum Teil seit Jahrzehnten im VW-Konzern arbeiten, aber spüren, dass es so nicht weiter gehen kann.
»Verkehrswendestadt Wolfsburg« ist professionell gestaltet und bietet viele spannende Anregungen. Die Interviews sind anspruchsvoll, eine Bebilderung wäre eigentlich nicht notwendig. Themenneulingen wird es allerdings nicht leicht gemacht. Statt die Geschichte chronologisch zu erzählen, reflektieren die Aktivsten über Erfolg und Misserfolg, in agitatorischer Absicht. Sie wollen, dass ihr Beispiel Schule macht.
Im Sommer kündigte der VW-Vorstand die bisherigen Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung. Er fordert zusätzliche Einsparungen von 5 Milliarden Euro. Betriebsbedingte Kündigungen sind zu erwarten, die Schließung ganzer Werke zumindest möglich. So ist die Grundfrage des Films noch einmal aktueller geworden: Wie kann die deutsche Automobilindustrie zukunftsfest werden, Arbeitsplätze erhalten bleiben und gleichzeitig das Klima geschützt werden? Die Beschäftigten der bedrohten VW-Werke und Gewerkschafter:innen aller Branchen muss das interessieren.
Vorführungstermine im Herbst
Vorführungspremiere war am 31.August in Grünheide
Oktober
28.9.: Marburg; 3.10.: Fulda; 5.10.: Ravensburg; 6.10.: Zürich; 7.10.: Bern; 8.10.: Basel; 10.10.: Freiburg; 13.10.: Bamberg; 14.10.: Nürnberg; 15.10.: Würzburg; 16.10.: Augsburg; 17.10.: München; 19.10.: Heilbronn; 20.10.: Stuttgart; 21.10.: Heidelberg; 22.10.: Mannheim; 23.10.: Kaiserslautern; 24.10.: Koblenz; 24.10.: Lüneburg; 28.10.: Halle; 29.10.: Chorin; 30.10.: Potsdam; 31.10.: Berlin.
November
1.11.: Hamburg; 2.11.: Heide; 3.11.: Hannover; 4.11.: Braunschweig; 5.11.: Gifhorn; 6.11.: Wolfsburg; 11.11.: Kassel; 12.11.: Münster; 16.11.: Leipzig; 20.11.: Buchholz i.d. Nordheide; 25.11.: Wien; 26.11.: Wien; 27.11.: Graz; 28.11.: Innsbruck; 29.11.: Salzburg; 30.11.: Mainz.
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