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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2024

Ein nützliches Plädoyer
von Thies Gleiss

Bernd Riexinger, Raul Zelik: Was ist Sozialismus heute? Warum wir den Kapitalismus überwinden müssen. Hrsg. Rosa-Luxemburg-Stiftung. August 2024, 40 S. Kostenlos bestellbar über die RLS

Der frühere Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, und der Schriftsteller, Mitarbeiter des Neuen Deutschland und früheres Mitglied des Parteivorstands der Linken, Raul Zelik, haben gemeinsam einen kleinen Text erarbeitet, in dem sie die Aktualität des Sozialismus für Programm und Praxis der Linken begründen.

Beim allgemeinen Trend vieler Linker, sich entweder einer reformerischen Tagespolitik, mit immer bescheideneren Ergebnissen, oder sogar dem politischen Mainstream der nationalistischen kapitalistischen Standortverwaltung zu unterwerfen, ist ein solcher Aufschlag erfrischend und wichtig. Die Lektüre wird empfohlen.

Schon die Ahnherren der Kritik am Kapitalismus, Marx und Engels, kamen in ihren Analysen der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der Aufstandsbewegungen gegen diese ungerechte Ordnung zum Schluss, dass ihre Überwindung bewusstes Handeln der großen Gesellschaftsklasse der ökonomisch Ausgebeuteten erfordert, dessen Ziel – im Gegensatz zu früheren, revolutionären Umbrüchen in der Menschheitsgeschichte – in einem Prozess der politischen Bewusstwerdung in den Köpfen der Handelnden vorweggenommen werden muss.
Dieses Bewusstsein erwächst nicht automatisch aus den Abläufen der alten Gesellschaft, sondern setzt eine unabhängige politische Organisierung der Arbeiter:innenklasse für ein eigenes Programm voraus, das die Konturen der neuen Gesellschaft und die Prinzipien neuer solidarischer Beziehungen der Menschen umreißt.
Deshalb braucht die Überwindung des Kapitalismus ein solches politisches Ziel, einen Kompass, an dem sich die zahlreichen Kräfte, die sich täglich gegen den Kapitalismus zur Wehr setzen, bündeln und ausrichten können. Der Sozialismus als umfassend gesellschaftliche Alternative ist so aktuell wie nie und muss mit Tagespolitik verknüpft werden.
Die Tatsache, dass die diversen Bewegungen für den Sozialismus und die Versuche, ihn in der gesellschaftlichen Praxis umzusetzen, bisher nicht erfolgreich waren, dass der Sozialismus nach den Erfahrungen von Stalinismus, Diktatur einer Parteibürokratie und auch der vielen Verbrechen im Namen des Sozialismus ein Loser-Image hat, dass die wissenschaftliche sozialistisch-programmatische Kritik am Kapitalismus immer wieder zu einer schlechten, interessengeleiteten Ideologie verhunzt wird, spricht nicht gegen die Notwendigkeit einer lebendigen sozialistischen Perspektive für die Kämpfe unserer Tage, sondern unterstreicht diese umso mehr.

Der ›Sozialismus des 21.Jahrhunderts‹
Im Mittelpunkt des Sozialismus steht nach Riexinger/Zelik eine neue Eigentumsordnung. Die großen und entscheidenden Produktionsmittel dürfen nicht im Privatbesitz bleiben, sondern müssen in demokratische Gemeinwirtschaft überführt werden. Sozialisierung der Produktionsmittel steht im Mittelpunkt – deshalb das Beharren auf dem Begriff »Sozialismus«. Das unterscheidet den Ansatz von Riexinger/Zelik von sozialdemokratischen »Sozialist:innen«, die nur noch einen moralischen Wertesozialismus im Kopf haben, der irgendwie mit staatlicher Umverteilungspolitik erreicht werden soll.
Aber auch Riexinger/Zelik verraten leider nicht, wie diese radikale Änderung der Eigentumsverhältnisse erreicht werden kann. Für Marx und Engels war nur ein revolutionärer Bruch und die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter:innenklasse vorstellbar.
Der Kapitalismus ist eine ununterbrochene Geschichte von Enteignung – beginnend mit der großen »ursprünglichen Akkumulation« und Enteignung ganzer Kontinente, über die Verwandlung ehemals freier Produzen­t:innen in Lohnarbeiter:innen bis hin zur täglichen Aneignung des von der Lohnarbeit erzeugten Mehrwerts. Dieser Enteignung muss ein Prozess der Wiederaneignung entgegengebracht werden, der systematisch durch Formen von gesellschaftlicher Gegenmacht abgesichert werden muss, wie sie in Streikkomitees, Arbeiter:innenräten, Arbeiter:innenkontrolle und Aufbau einer neuen Staatsverwaltung im Interesse der Arbeiter:innenklasse in der Geschichte immer wieder hervorgebracht wurden.
Umso mehr betonen Riexinger/Zelik die inhaltlichen Alternativen, die ein neuer Anlauf verwirklichen muss. Und sie liegen völlig richtig damit:
– Der Sozialismus muss umfassend soziale und persönliche Freiheit der Menschen sicherstellen, größere als der Kapitalismus je bieten kann.
– Der Sozialismus muss weltweit eine materielle Grundversorgung aller Menschen sicherstellen.
– Der Sozialismus muss sämtliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse überwinden. Rassische, sexuelle, ethnische und alle anderen Mechanismen der Ausgrenzung und Ungleichheit müssen aufgehoben werden.
– Der Sozialismus muss weltweit soziale Rechte garantieren und ein völlig neues, nachhaltiges Verhältnis zur Natur entwickeln. Das »gute Leben für alle« und Schonung der natürlichen Ressourcen müssen im Mittelpunkt stehen.
Offen bleibt bei Riexinger/Zelik, wie die Eigentumsformen konkret ausgestaltet sein sollen. Sie deuten an, dass der Sozialismus eine Mischung verschiedener Eigentumsformen – Markt und Planung – zulassen wird. Dazu hätten wir gerne etwas mehr gehört.

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