Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

Auszüge aus dem Interview von Pawel Dybich mit Prof. Andrzej Romanowski "Ein Leben voller Geschichte", abgedruckt in der Zeitschrift „Przeglad”

Hat Deutschland aufgehört, der ewige Feind Polens zu sein?
- Deutschland ist nie der ewige Feind Polens gewesen. Es gibt überhaupt kein Konzept eines „ewigen Feindes“.



In wie vielen Büchern, Artikeln habe ich diesen Begriff schon gelesen.

- Aber das beweist nur unsere ideologisierte Geschichtsschreibung. Ich schlage eine andere Formel für einen guten Tag vor: Die Deutschen haben den Polen das Lesen und Schreiben beigebracht.

Du gehst aber hart ran.

- Aber wahr. Schließlich waren es die Deutschen, die Europa nach Polen brachten: den Westen und das Latein. Ihnen ist es indirekt zu verdanken, dass die seltsamen Laute der slawischen Sprache in dem Alphabet niedergeschrieben wurden, das tausend Jahre zuvor von Cicero verwendet wurde. Vor tausend Jahren brachten die Deutschen die deutsche Sprache nicht nach Polen, denn sie benutzten sie nicht zum Schreiben - sie schrieben nur auf Latein. Nun, Mieszko wurde in Deutschland getauft. Es ist eine Lüge, dass er die Taufe von Böhmen erhalten hat, da das böhmische Herzogtum zu dieser Zeit kein eigenes Bistum hatte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Böhmen ein Lehen des Reiches war. Und schon ist der Satz absurd zum Quadrat: „Mieszko empfing die Taufe von Böhmen, um sie nicht von Deutschland zu empfangen“.

Seit Jahrzehnten streiten sich die Historiker darüber, wo diese Taufe tatsächlich stattgefunden hat.- Prof. Krzysztof O?óg spricht von Pozna?, Prof. Tomasz Jurek von Magdeburg oder Quedlinburg, und der verstorbene Prof. Jerzy Dowiat tippt auf Regensburg. Es könnte aber auch immer nur ein deutsches Bistum gewesen sein. Mieszko I. oder Boles?aw Chrobry kamen in ihrer Jugend nach Quedlinburg oder Merseburg, bewunderten die Backsteinkirchen und Schlösser, weil es in ihren Ländern nichts Vergleichbares gab. Sie fuhren nicht nach Frankreich oder Italien, weil das zu weit weg war - sie fuhren in die deutschen Länder. Mieszko trug den Titel „Freund des Kaisers“ (amicus imperatoris) und fiel in den Jahren 985 und 986 Schulter an Schulter mit deutschen Rittern bei den slawischen Vlachen ein. Später errichtete die Schwiegertochter des Tapferen, die Deutsche Richeza, die erste Kathedrale auf dem Wawel in Krakau: Sie prägte die Entwürfe des Kölner Doms. Sie muss einen enormen Einfluss auf die Europäisierung Polens gehabt haben - wir werden es nie ganz erfahren, denn diese wurde im 11. Jahrhundert durch die heidnische Reaktion zerstört - so lautete das Gesetz der Zeit.

Du beziehst dich auf deine Broschüre „Das ewige Gesetz und die Gerechtigkeit oder die polnische Geschichte“.
- Ja. Deshalb werde ich diese These hier nicht begründen, sondern Sie ganz unbescheiden auf diese Broschüre verweisen. Aber in meiner Phantasie stelle ich mir vor, wie Rycheza in ihrer Hochzeitsnacht mit dem Sohn des Tapferen, Fürst Mieszko, ein langes Gespräch auf Latein führt. Weil sie beide, Mieszko und Rycheza, Latein konnten, konnten sie auch Griechisch. Ihre Tochter, die Großherzogin Gertrude von Kiew, ist die erste polnische Schriftstellerin. In lateinischer Sprache, versteht sich. Denn Latein ist die Muttersprache der Polen. Ihre erste Muttersprache, die Sprache ihrer Schrift.

Und dann, am Ende des 12. Jahrhunderts, kam die deutsche Kolonisation nach Polen. Ihr verdanken wir die Gründung von Städten - zunächst in Schlesien, dann auch im übrigen Polen. Zum Beispiel in Krakau, wo deutschsprachige Kolonisten aus Schlesien den Marktplatz und die von ihm abzweigenden Straßen anlegten. Warum reden wir also nicht darüber, statt über die ewige Feindschaft?

Irgendwie habe ich bei dir erst in letzter Zeit ein Interesse an den westlichen Grenzgebieten festgestellt. Du warst schon immer ganz dem Osten zugewandt.
- Ja, das stimmt. Aber mit dem Alter wird man weiser. Als ich Studenten in Grenzlandliteratur unterrichtete, habe ich gemerkt, dass es in mir ein Missverhältnis gibt. Schließlich ist das polnisch-deutsche Grenzland primär und damit das wichtigste. Nun, heute gibt es Polen innerhalb der Potsdamer Grenzen. Polen, dessen Territorium vor 80 Jahren noch zu mehr als einem Drittel zum deutschen Staat gehörte. Die Zeiten der Volksrepublik Polen waren sehr effektiv, um den Mythos der „Wiedergewonnenen Gebiete“ in unsere Köpfe zu hämmern. Und zwar so effektiv, dass wir auf der Suche nach der Wahrheit akzeptieren mussten, dass es sich dabei schlicht und ergreifend um postdeutsche Gebiete handelte.

Und dann fallen wir von der Lüge der Polnischen Volksrepublik in die Lüge der Dritten Republik. Denn Schlesien, das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von Polen abfiel, gehörte zunächst zur der Krone des hl. Wenzel, also zu Böhmen, dann zur Habsburger Monarchie und erst von Mitte des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu Preußen. Das andere ist, dass es besonders eng mit Preußen zusammengewachsen ist. Aber für uns, das heißt für die polnische Kultur, hat es nie an Bedeutung verloren.

Vor allem dieses Volk von Schlesien.
- Die Menschen in Schlesien sprachen verschiedene Dialekte. Nördlich von Breslau, in der Nähe von Großpolen, war der polnische Dialekt vorherrschend, in Südschlesien - gemischte polnisch-tschechische Sprachen. Im Gegensatz dazu waren die mittleren ... vor allem die Städte deutsch. Das war allerdings keine Ausnahme, denn die gleiche Situation herrschte vor Jahrhunderten auch in Posen oder Krakau. Ich spreche hier nicht von der Polnizität Schlesiens, sondern von der dauerhaften Verbundenheit der Region mit Polen. Und diese Verbundenheit ist manchmal überraschend, ja sogar rührend, denn zum Beispiel die erste polnische Druckschrift... was glauben Sie, wo sie veröffentlicht wurde?

In Krakau?
- Eben nicht, denn in Wroc?aw. Der lateinische Druck von Kasper Elyan aus dem Jahr 1475 enthält drei Gebete auf Polnisch: „Otcze nasz“ (Vater unser), ‚Zdrawa Maryja‘ (Gegrüßet sei Maria)und ‚Wierz?‘ (Ich glaube). Auf die ersten polnischen Drucke in Polen - und zwar in Krakau - mussten wir mehr als 30 Jahre warten. Sie wurden natürlich von Deutschen herausgegeben, die die einzigen waren, die zu drucken wussten.

Zweitens herrschte die Piasten-Dynastie in Schlesien. Sie wurde recht schnell germanisiert, aber für die einheimischen deutschen Schlesier hörte sie nicht auf, eine eigene Dynastie zu sein, eine einheimische Dynastie. Ihre Untertanen schrieben sogar Werke - in lateinischer oder deutscher Sprache - für diese Dynastie, um den polnischen Thron zu besteigen. Und dieses schlesische Bewusstsein überlebte bis ins 20. Die ostdeutsche Schriftstellerin Ursula Höntsch schrieb über ihre Heimatstadt Legnica und erinnerte an ihren Herrscher, Heinrich den Frommen, der 1241 im Kampf gegen die Tataren fiel. Wie auch immer, die deutschsprachigen Schlesier haben sich nicht immer als Deutsche, sondern als Schlesier verstanden. Auch ihre deutsche Sprache war ausgeprägt - man kann sie in vielen Dramen von Gerhart Hauptmann sehen.

die gemeinsame deutsch – polnische Geschichte nimmt einen breiten Raum ein. Die Übersetzung geht in der neueren Geschichte weiter

War die Existenz der DDR eine Erlösung?

Erlösung wäre zu viel gesagt. Der Staat wurde kaum anerkannt, allerdings gab es den ersten Grenzvertrag – das Görlitzer Abkommen von 1950, das wenigstens von dieser Seite den Bestand der Oder und Neiße als Grenze garantierte. Wenn wir auch dazu neigen dies nicht so ernst zu nehmen, aber schließlich hat ein Teil der deutschen Öffentlichkeit diese Grenze als endgültig angesehen.

Unter dem Druck Moskaus

Im Internationalen Recht hat es keine Relevanz. Die DDR hat anerkannt. Aber im Grunde genommen war die DDR kein den Polen freundschaftlicher Nachbar. Dies zeigte sich in Zeiten der Krisen in Polen, bei denen die DDR oft eigene Interessen voran stellte. Ihre Existenz war allerdings für uns insofern günstig, weil wie es de Gaulle sagte: er würde so sehr Deutschland lieben, dass er gern zwei davon hätte. Es sei daran erinnert, dass die deutsche Gesellschaft über einen langen Zeitraum nicht die Folgen des Krieges anerkennen und die Verantwortung dafür übernehmen wollte.

Erst in den sechziger Jahren nach den Prozessen gegen die Verantwortlichen für Auschwitz in Frankfurt/Main, begann es sich zu verändern. Die Frage ist, ob sich nun wieder etwas umkehren kann. Immerhin gibt es die Alternative für Deutschland… Deshalb sollten wir Deutschland gegenüber vorsichtig aber freundlich sein und uns darüber freuen wie es jetzt ist und nicht neue künstliche Konfliktherde schaffen.

Allerdings wollen wir Reparationen. 2022 haben wir sie auf 6,22 Billionen PLN beziffert

Aber man kann auch sagen, dass die Deutschen schon bezahlt haben in der Gestalt von 20% ihre Gebietes aus der zeit vor dem Krieg. Wenn wir weiter diese Reparationen ins Feld führen, werden die Deutschen dies Argument aus der Tasche ziehen.

In Deutschland könnte folgende Idee entstehen: OK, lasst uns eine Friedenskonferenz organisieren, lasst uns aufstellen was wir zu zahlen haben und ihr gebt uns unsere Ostgebiete zurück.

Dies erscheint heute als unmöglich, aber solche Unmöglichkeiten hat die Welt schon erlebt. Die PiS spielte mit dem Feuer.

Etwas verwundert bin ich über Deine Aussage, dass es den Polen in der UdSSR nach 1945 besser ging, als den Deutschen in Polen in den ersten Nachkriegsjahren.

Aber so war es schließlich. Bis in die sechziger Jahre war es in Schlesien verboten in der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen. In der UdSSR verblieben einige Mitglieder der polnischen Intelligenz – und diese Leute waren nicht isoliert oder ausgeschlossen: sie arbeiteten weiter als Wissenschaftler in Lemberg… Natürlich könnte man darüber nachdenken, ob diese Leute etwas mit dem NKWD zu tun hatten – ich neige dazu, dass es so war. Aber dies alles kann nicht mit dem Los der vertriebenen Deutschen verglichen werden. Und wenn jemand hier blieb, dass hatte er kein recht in der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen. Diese Diskriminierung dauerte 20 Jahre. In der UdSSR gab es ab 1956 eine polnische Presse. Ich weiß nicht s über eine deutsche Presse in Schlesien, Pommern, den Masuren oder Danzig, außer vielleicht regionalen Ankündigungen

Pawe? Dybicz - Publizist, Absolvent der Universität Warschau - Fakultät für: Geschichte und Journalismus und Politikwissenschaft. Journalist bei „Sztandar M?odych“, ab 1995 bei „Przegl?d Tygodniowy“ und später bei „Przegl?d“, wo er der erste stellvertretende Chefredakteur ist.

Im Gespräch mit

Prof. Andrzej Romanowski (geboren am 20. August 1951 in Krakau) - polnischer Literaturwissenschaftler, Publizist und Hochschullehrer, Professor für Geisteswissenschaften, ordentlicher Professor an der Jagiellonen-Universität, seit 2003 Chefredakteur des Polski S?ownik Biograficzny.

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