Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

›Eine starke Linke ist für mich die einzige Option‹
Gespräch mit Jakoba-Frey Zink

Jakoba-Frey Zink ist seit wenigen Wochen Mitglied der Linken. Sie ist 28 Jahre alt, queer und lebt in Köln. Die ausgebildete Zahntechnikerin hat ein Jahr in ihrem Beruf gearbeitet und bezieht seit wenigen Monaten Bürgergeld. Sie bereitet derzeit ihre Bewerbung für ein Studium der Sozialen Arbeit vor. Mit ihr sprach Gerhard Klas.

Du bist Anfang 2025 Mitglied der Linken geworden und hast dich gleich im Haustürwahlkampf engagiert. Was hat dich dazu veranlasst?

Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, mich politisch zu engagieren. Aber zeitlich war mir das vorher nicht möglich. Der Rechtsruck in der Gesellschaft war dann schließlich der Auslöser, mich bei der Linken zu engagieren. Ich könnte es nicht vor mir rechtfertigen, nichts dagegen zu tun. Eine starke Linke stellt für mich derzeit die einzige Option dar, eine düstere Zukunft noch abwenden zu können.

Würdest du dich als typisch für deine Generation betrachten – oder doch eher als Ausnahme? Und warum?

Ich fühle mich eher als Ausnahme. Vielleicht auch weil ich in eine Familie hineingeboren wurde, die von rechtem bis rechtsextremem Gedankengut geprägt war und ist. Meine Eltern waren Nichtwähler, haben auf die Politik geflucht, ohne sie zu verstehen. Meine Mutter war Verkäuferin und ist in der DDR aufgewachsen. Wenige Tage vor dem Mauerfall flüchtete sie in den Westen. Mein Vater war Lkw-Fahrer, kam aus Zell an der Mosel, einer sehr konservativen Region, und hat sich früh von meiner Mutter getrennt. Beide sind tot.
Die meisten meiner fünf Geschwister teilen das Gedankengut, das wir zu Hause vermittelt bekommen haben. So etwas wie Liebe und Fürsorge gab es in meiner Familie nicht. Ich wurde gehänselt, weil ich zu dick sei, und meine Mutter hätte lieber einen weiteren Sohn gehabt.
Als ich 14 war, sind wir weg von der Mosel nach Köln-Kalk gezogen, einen eher armen, aber lebendigen Stadtteil. Meine Mutter ging dort in Dönerbuden essen. Das hielt sie nicht davon ab zu behaupten, alle »Ausländer« wären faul. Sie hat es sogar fertiggebracht, Frauen auf der Straße anzupöbeln, nur weil sie ein Kopftuch trugen. Ich habe dieses Verhalten meiner Mutter nie verstanden.
In Köln habe ich mich in eine Frau verliebt, mit der ich sieben Jahre zusammen war. Dafür bin ich von meiner Mutter richtig fertig gemacht worden, sie hat mir sogar mit einem Rausschmiss gedroht. Sie hat uns Kindern immer erzählt, wie stolz sie sei, dass wir alle »auf der richtigen Seite« stehen würden. Sie war dann furchtbar enttäuscht, dass ich nicht hetero geworden bin.
Um das alles zu bewältigen, musste ich später eine Traumatherapie machen, die mir sehr geholfen hat. Die Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend haben mich jedenfalls für die Ungerechtigkeiten in dieser Welt empfindsam gemacht, ich kann sie nicht einfach ausblenden.

Welche Rolle spielt das Bedürfnis nach Gemeinschaft bei deinem Engagement in der Linken?

Eine große Rolle. Ich war zwar anders als viele andere kaum von den Isolierungsmaßnahmen während der Pandemie betroffen, habe Kurzarbeit im Labor gemacht. Aber schon ziemlich früh in meinem Leben hing ich viel am Handy und am Bildschirm, an der Mosel hatte ich vor allem Online-Freundschaften. Gerade finde ich es sehr schön, in der Partei Menschen mit einem ähnlichen Mindset anzutreffen. Weder auf der Arbeit noch bei meinem Fachabitur gab es solche Menschen. Tragende soziale Kontakte habe ich dort nicht aufgebaut.
Die Kolleg:innen und Studierenden waren zwar mehrheitlich nicht rechtsextrem, aber eher auf sich bedacht und wenig daran interessiert, warum die Welt so ist, wie sie ist. Bei der Linken kann ich mir vorstellen, auch soziale Kontakte aufzubauen. Hier gibt es viele, die nach Dingen suchen, die verbinden.

Wie war deine erste Begegnung mit der Partei?

Anfang Januar bin ich zu einer Kundgebung mit Heidi Reichinnek, der Spitzenkandidatin, ins vollbesetzte Bürgerzentrum im Kölner Stadtteil Mülheim. Das war nicht leicht für mich, ich hatte ziemlich viel Angst, unter so viele Menschen zu gehen. Aber nach wenigen Minuten hat sie sich gelegt. Ich hatte nicht das Gefühl, mich hier für irgendwas schämen zu müssen. Oder beleidigt und ausgegrenzt zu werden. Ich habe mich ziemlich wohlgefühlt.
Und der Auftritt von Heidi hat mich völlig mitgenommen. Ich kannte sie ja schon von ihren Auftritten in den Sozialen Medien, aber live war sie noch beeindruckender. Ich liebe diese Frau. Zwei Wochen später war ich wieder dort. Junge Leute von »Aktive Linke« haben mich ermutigt, bei ihnen mitzumachen.
Und ja, dann bin ich in die Telegram-Gruppe rein, darüber laufen die Informationen für Veranstaltungen und Aktionen. Dann hat es nicht mehr lange gedauert, bis ich selbst mitgelaufen bin, mich sogar an der Vorbereitung für den Haustürwahlkampf beteiligt habe.

Warum hast du 2021 deinen Job als Zahntechnikerin gekündigt?

Wegen der Arbeitsbedingungen und dem Lohn. In der Theorie gab es sehr hohe Ansprüche an Optik und Funktionalität der Prothesen, die meine Kolleg:innen und ich herstellten. Aber schon während der Ausbildung wurde ich darauf getrimmt, möglichst schnell zu arbeiten. Da passieren natürlich auch eher mal Fehler.
Nach der Ausbildung, also als fertige Zahntechnikerin, habe ich 1800 Euro brutto im Monat bekommen, Überstunden eingerechnet, von denen ich verdammt viele gemacht habe. Es hieß immer, dass wir termingerecht fertig werden müssen, damit unsere Kunden, die Zahnärzte, nicht zur Konkurrenz wechseln.

Bei den Wahlen 2024 haben überproportional viele Jungwähler:innen die AfD gewählt. Wie erklärst du dir das?

Die AfD ist schon sehr präsent in den Sozialen Medien, vor allem auf TikTok, was von der heutigen Jugend sehr stark genutzt wird. Ein wichtiger Punkt ist sicher auch die familiäre Sozialisation. Wenn Mama und Papa dir immer wieder erzählen, dass »Ausländer« schlecht sind, dann ist es nicht leicht, dagegen zu halten, sich von den Vorgaben der Eltern abzugrenzen.
Ich finde es auch gefährlich, dass sie mit Alice Weidel eine lesbische Spitzenkandidatin haben, die mit einer Frau aus Sri Lanka in einer eingetragenen Partnerschaft lebt. Ich habe schon mit Homosexuellen- und trans Menschen gesprochen, die genau das als Beleg dafür heranziehen, warum die AfD für sie gar nicht gefährlich werden kann. Die Hetze von Weidel gegen queere Menschen und »Gendergaga« blenden die völlig aus.

Vor vier Jahren war die Klimaerhitzung das Topthema, heute nur noch Randthema. Wie kommt das?

Bei der letzten Wahl habe ich auch schon die Linke gewählt, auch wegen des Klimawandels. Denn wenn die soziale Ungleichheit geringer ist, stehen die Chancen besser. Überhaupt sollten wir aufmerksamer mit unserer Umwelt umgehen: den Menschen und der Natur. Je mehr wir uns untereinander bekriegen, umso mehr missachten wir auch die Natur.

Die Menschen, auf die du bei der Linken gestoßen bist – hatten die eher einen bürgerlichen oder proletarischen Hintergrund?

Ich habe einige getroffen, die auch in prekären Verhältnissen leben. Bei den Haustürbefragungen klagten fast alle Befragten über die teuren Mieten, die hier in Köln verlangt werden. Viele von uns bei der Linken engagieren sich nicht nur gegen die Wuchermieten, sie leiden auch selbst darunter.
Wenn ich mir die Politiker:innen anderer Parteien angucke, habe ich oft das Gefühl, dass sie gar keine Ahnung von den Nöten haben, mit denen sich so viele herumschlagen müssen. Ich war bei mehreren Dutzend Haustürbefragungen dabei. Die meisten haben über hohe Lebenshaltungskosten geklagt und hatten Angst vor dem politischen Rechtsruck. Wir haben die Befragung in einem Stadtteil mit hohem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund gemacht. Migration hat da uns gegenüber niemand als Problem bezeichnet.

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