Die Annexion des Westjordanlands beginnt
von Abdullah Ma’ruf
Die israelische Knesset hat vor kurzem in erster Lesung einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der es Israelis ermöglicht, Land im Westjordanland zu besitzen, ohne dass eine Genehmigung der Armee erforderlich ist. Diese wichtige Entwicklung blieb weitgehend unbemerkt, da sie von anderen Ereignissen überschattet wird, wie etwa von der dritten Welle des Gefangenenaustauschs im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens für den Gazastreifen.
Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird es erhebliche Auswirkungen auf den Rechtsstatus der Gebiete im Westjordanland haben und den Weg für dessen vollständige Annexion ebnen, wie dies bereits mit den Golanhöhen und Ostjerusalem geschehen ist.
Um die Tragweite zu verstehen, müssen wir auf die jordanische Herrschaft im Westjordanland vor der Besetzung 1967 zurückblicken. Nach der Vereinigung des Westjordanlands und Ostjerusalems mit Jordanien im Jahr 1950 erließ Jordanien 1953 ein Gesetz, das als »Gesetz über die Verpachtung und den Verkauf von Grundstücken an Ausländer« bekannt wurde. Dieses Gesetz verbot den Verkauf von Grundstücken an Nichtjordanier oder Nichtaraber und diente dem Schutz des Staatsgebiets.
Nach der israelischen Besetzung dieser Gebiete im Jahr 1967 übernahm das israelische Militär die Kontrolle über das Westjordanland und behandelte es als besetztes Land. Kein Land erkannte Israels Anspruch auf diese Gebiete an, das ist auch heute noch der Fall.
Infolgedessen blieb das für die besetzten Gebiete geltende jordanische Gesetz bestehen Es regelte weiterhin Landverkäufe im Westjordanland und verhinderte den Verkauf von Land an Siedler. Die 1994 gegründete Palästinensische Autonomiebehörde hielt daran fest und Israel erhob keine Einwände, da die Osloer Abkommen der Autonomiebehörde die Kontrolle über die Gebiete A und B im Westjordanland gewährten.
In Bezug auf das Gebiet C, das gemäß dem Oslo-Abkommen vollständig unter seiner Kontrolle steht, traf Israel keine Entscheidungen. Da es Siedlungen im Westjordanland bauen und gleichzeitig sein »legales« Image wahren wollte, umging es das jordanische Recht, indem es bestimmte Gebiete aus Sicherheitsgründen zu Militärzonen erklärte und darin Siedlungen baute. Außerdem erklärte es einige öffentliche Gebiete zu »staatlichem Eigentum« unter israelischer Militärkontrolle.
Israel richtete eine dem israelischen Militär unterstellte Zivilverwaltung ein, die für die Genehmigung von Siedlungsaktivitäten und die Registrierung von Siedlungen auf den Namen von Institutionen und Unternehmen zuständig ist.
Die Anwesenheit des israelischen Militärs war für die Regierung immer unverzichtbar, weil die Gebiete, die nicht zu Israel gehörten, damit als besetzt galten. Gleichzeitigwandte Israel hier für seine Bürger das Zivilrecht an, weil es die Westbank als ihm zugehöriges Land betrachtete.
All diese Winkelzüge ermöglichten es Israel, sich der internationalen Gemeinschaft als ein Staat zu präsentieren, der sich an das Völkerrecht hält und die UN-Resolutionen zu den besetzten Gebieten respektiert.
Wider jede Rechtsstaatlichkeit
Der neue Gesetzesentwurf hebt nun das jordanische Gesetz von 1953 auf, das den Verkauf von Grundstücken im Westjordanland an Siedler untersagt, und beseitigt die Notwendigkeit für Siedler, von der israelischen Armee zugelassene Unternehmen oder Institutionen zu gründen, um Land auf ihren Namen einzutragen. Wenn das Gesetz verabschiedet wird, können Siedler im Westjordanland direkt Land kaufen, genau wie in Tel Aviv, Haifa oder in den anderen 1948 besetzten Gebieten, die von der Welt als Teil Israels anerkannt werden. Das Gesetz hebt die Autorität des israelischen Militärs über das Westjordanland auf und behandelt es als Teil Israels, genau wie die Gebiete von 1948.
Die Gefahr besteht, dass Israel sich nicht mehr um das Völkerrecht oder sein Ansehen in der Welt kümmert. Das ist ein Wandel in seiner Strategie im Umgang mit internationalen Institutionen. Es ist Teil eines umfassenderen Ansatzes, den die israelische Regierung schon während des Gazakriegs verfolgte – etwa mit der Entscheidung, das UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen) nicht mehr anzuerkennen.
Israel präsentiert sich jetzt als »starker« Staat, der nicht an Rechtsstaatlichkeit gebunden ist. Es kann tun und lassen, was es will, und dabei das Völkerrecht ignorieren, da es sich mit der neuen Administration Trump, die mit der religiös-zionistischen Bewegung verbündet ist, vor einer Rechenschaftspflicht sicher weiß.
Es kann dann alle roten Linien überschreiten. Die wichtigste ist die Annexion des Westjordanlands und der Versuch, es definitiv von seiner palästinensischen Bevölkerung zu säubern.
Die Endlösung der Palästinafrage
Jordanien wird als erstes darunter leiden und sich einem beispiellosen Sturm der Empörung ausgesetzt sehen, der das Land völlig destabilisieren könnte. Denn es steht, ebenso wie Ägypten, unter Druck, auch die Palästinenser der Westbank bei sich aufzunehmen. So will Trump die Palästinafrage ein für allemal »lösen« – diesen Plan hat er mit der israelischen extremen Rechten abgestimmt.
Die Verabschiedung des Gesetzes kann nur im Zusammenhang mit der Liquidierung der palästinensischen Sache verstanden werden. Indem es dem israelischen Militär die Kontrolle über die besetzten Gebiete im Westjordanland entzieht, signalisiert Israel seine klare Absicht, das Westjordanland zu annektieren.
Die Palästinenser, die arabischen Länder, insbesondere die Nachbarländer Palästinas, und die arabischen und islamischen Regime, insbesondere Jordanien, müssen sich der Gefahren dieser rasend schnellen Entwicklung bewusst sein. Die israelische extreme Rechte ist nicht nur eine weitere Partei in der Knesset, sie ist jetzt der eigentliche israelische Staat. Denn nun genießt sie die Unterstützung eines echten Verbündeten, der ihre ideologische Haltung teilt: die neue US-Regierung.
Wir sollten die Äußerung von US-Senator Lindsey Graham bei seinem Besuch in Jerusalem am 27.November nicht vergessen: »Das Römische Statut gilt nicht für Israel, die USA, Frankreich, Deutschland oder Großbritannien, weil es nicht für uns konzipiert wurde.« [Das Römische Statut ist die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs.]
8.2.2025
Quelle: www.palestinechronicle.com/israels-alarming-move-the-annexation-of-the-west-bank-begins/.
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