Krieg zerstört Leben – schon in der Vorbereitung
von Jörg Bergstedt und Tobi Rosswog
»Keiner will sterben, das ist doch klar: Wozu sind denn dann Kriege da?«, sangen Pascal Kravetz und Udo Lindenberg im Jahr 1985. Das ist lange her, die Frage ist aber bis heute nicht beantwortet – jedenfalls nicht aus Sicht derer, die im Krieg getötet, vertrieben, zu Witwen oder Waisen werden. Nur eine kleine Minderheit weiß genau, was sie vom Krieg hat, denn die, die ihre Macht ausdehnen können, und die, die am Ganzen verdienen, profitieren vom Gemetzel und dessen Vorbereitung.
Letztere haben heute wieder Hochkonjunktur, in der Zeitenwende schießen Aktienkurse, Dividende, Boni und Gewinnmargen durch die Vorbereitung des Massensterbens in die Höhe. Angesichts der gigantischen Geldbeträge, die der Staat in die Rüstung pumpen will, lecken sich große und kleine Firmen die Finger danach, am Billionenkuchen beteiligt zu werden.
Die große Aufrüstung wird jedoch eine Vielzahl fataler Folgen haben – von Einsparungen im sozialen Sektor über massiven Rohstoff-, Flächenverbrauch und CO2-Ausstoß bis zum Verdrängen wichtiger, ziviler Produktion.
Schon wenige Wochen nach den Beschlüssen über die Kriegskredite haben etliche Konzerne ihren Ein- oder Umstieg in die Rüstungsproduktion bekanntgegeben. Ein besonderes Symbol ist dabei eine Fabrik ganz im Osten des Landes, in der geteilten Neißestadt Görlitz (polnischer Teil: Zgorzelec).
Das Symbol Görlitz: ÖPNV statt Panzer!
Gesellschaftliche Ressourcen sind nicht beliebig vorhanden. Was in den Aufbau militärischer Infrastruktur geht, wird sich im Rückbau von sozialen, kulturellen und Umweltschutzprojekten widerspiegeln. In Görlitz wird beides in einem einzigen Projekt sichtbar – und damit thematisierbar. Denn dort wird eine Fabrik mit langer Tradition im Waggonbau, die aktuell der Firma Alstom gehört, auf Panzerbau umgerüstet – unter der Regie des aus einer deutsch-französischen Fusion hervorgegangenen Leopard-Konsortiums KNDS. Es gehen also die für Verkehrswende und Klimaschutz notwenigen Produktionskapazitäten verloren, während die für kommende Kriege ausgeweitet werden. Zeitenwende statt Verkehrswende, Produzieren für den Tod statt für das Leben, wird hier sinnbildlich.
Das ruft nun Friedens- und Umweltaktivist:innen auf den Plan, aus dieser »Konversion rückwärts« ein starkes Symbol zu machen. Sie wollen das doppelte Desaster mit kreativen Aktionen öffentlich machen, die Beschäftigten genauso wie die dort wohnenden und überhaupt alle Menschen für ein Beibehalten der Waggonproduktion gewinnen, zudem die angesichts der Dimension von Aufrüstung und Kriegsvorbereitung bedenklich leise Debatte darüber in Gang schieben. Getragen ist die Idee von der Hoffnung, am Ende eine grundsätzliche Entscheidungsfrage stellen zu können: Sollen Wirtschaften und staatliches Handeln Profit, Macht und Tod dienen – oder dem besseren Leben der Menschen?
Produktionskapazitäten erhalten!
Der bisherige Ablauf: Die zentral in der Stadt gelegene Fabrik sollte vom Betreiber Alstom aufgegeben werden – nicht, weil es keine Aufträge für Züge gäbe, sondern weil sich Ressourcen und Arbeitskräfte woanders leichter ausbeuten lassen.
Mit der Drohung der Produktionsverlagerung erpresste der zweitgrößte Bahntechnikonzern der Welt die üblichen Lohnverzichtszusagen durch die IG Metall. Ebenfalls nicht zum ersten Mal hielt sich der Konzern dann nicht an die Bestandszusagen, sondern verkaufte das Werk an den Panzerbauer KNDS. Statt solchen Zumutungen kämpferisch zu begegnen, klatschten Gewerkschaftsführung, Bundeskanzler, Sachsens Ministerpräsident und örtliche Politik artig Beifall, als der Deal um die todbringende Produktion vollzogen wurde.
Viele um ihr Gehalt bangende Arbeiter:innen, geschult im Waggonbau, bedauerten laut Presseberichten zwar das Ende ihrer bisherigen Tätigkeit, waren aber doch froh, dass ein Teil der Arbeitsplätze durch die Übernahme seitens des Rüstungskonzerns KNDS weiterbestehen bleibt.
Das übersieht aber: Die Firma darf nicht geschlossen werden. Die Fertigungskapazitäten für Züge und Straßenbahnen müssen erhalten, wenn nicht ausgebaut werden. Die meisten Städte im Westen Deutschlands haben keine Straßenbahn (mehr). Dort müssen sie wieder eingeführt und überall dort, wo sie wie in Görlitz noch existieren, hinsichtlich Takt und Linienführung deutlich ausgebaut werden. Busse reichen aus Komfort- und Kapazitätsgründen für eine echte Verkehrswende nicht.
Doch die nötigen Loks, Waggons und Trams lassen sich nicht herbeizaubern. Ohne Fabriken, die Züge bauen können, wird die Verkehrswende nicht gelingen. Autofabriken können und sollten auf Straßenbahnbau umstellen, aber auf keinen Fall dürfen bestehende Bahnbaufabriken verloren gehen.
Was ist geplant?
Bundesweit und lokal in Görlitz haben sich Menschen aus linken, Friedens- und aktivistischen Strömungen zusammengefunden, die sich der Umwandlung ziviler in militärische Strukturen widersetzen wollen. Das Waggonwerk in Görlitz soll dabei zum besonderen Symbol werden. Einige der Aktivist:innen haben Erfahrungen aus Waldbesetzungen, Verkehrswendeaktionen und antifaschistischen Kämpfen. All das soll in starke Aktionen münden, den militärischen Alltag stören und vor allem Signale aussenden, um den nationalen Taumel pro Kriegstüchtigkeit in eine klare Position für Abrüstung, Klimaschutz und Menschenrechte zu drehen.
Rund um den 1. Mai soll es mit Aktionen in der Görlitzer Innenstadt und vor dem Werkstor losgehen. Die dienen zunächst vor allem dem Ziel, die Arbeiter:innen im Waggonbau und die Görlitzer Bevölkerung dafür zu gewinnen, die Kinderwünsche Wirklichkeit werden zu lassen, die immer noch vor dem Fabriktor ausgehängt sind: »Waggonbau Görlitz muss bleiben«, steht da.
Weitere Aktionen sollen folgen. »Wir wollen keine Begleitfolklore des Unabwendbaren sein«, heißt es aus der Runde der Aktivist:innen. »Einer solchen Mordmaschine entgegenzutreten, braucht kluges Vorgehen, starke Inhalte, aber auch etliche spektakuläre Aktionen, die aufregen und zum Denken anregen.«
Friedenspopulismus entzaubern
Tino Chrupalla war hier Direktkandidat der AfD bei der zurückliegenden Bundestagswahl – und räumte die Sache mit satten 48,9 Prozent der gültigen Stimmen ab. Nur die CDU schaffte es noch in den zweistelligen Bereich, alle anderen blieben unter »ferner liefen«.
Die riesigen Plakate Chrupallas dominierten das Stadtbild mit nur einem Thema: Frieden jetzt! In Thüringen warb Rechtsaußen Höcke sogar mit »Frieden schaffen ohne Waffen«. Ein BSW-Landtagsabgeordneter sprach sich für die Panzerfabrik aus, aber bitte ohne Lieferungen an die Ukraine.
Die Aktivist:innen und Görlitzer Politgruppen, die jetzt planen, das Waggonwerk zum Symbol zu machen, wollen solch falsche Friedensfreunde gleich mit entzaubern. Schließlich sei das Wahlprogramm der AfD voller Kriegspropaganda. So soll die Bundeswehr materiell aufgerüstet, Deutschland zum starken Weltplayer und die Wehrpflicht wieder eingeführt werden.
Geradezu erschaudern lassen einen die Formulierungen, die Bundeswehr solle zukünftig »einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen. Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit. Die Bundeswehr muss die besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte leben.«
Eine Partei, aus der heraus Schusswaffeneinsatz an den Grenzen vorgeschlagen wird, ist kein Friedensakteur, heißt es aus den Aktivenkreisen. Derzeit werden Grundsatzpositionen entwickelt, die eine zusätzliche Abgrenzung nach rechts überflüssig machen. Eine herrschaftskritische, antimilitaristische Grundhaltung hat keine Ähnlichkeit mit den populistischen Friedensslogans rechter Gruppen.
Mehr Infos: https://panzerfabrik.siehe.website; lokale Vernetzung: Signalgruppe »Kein Bock auf Panzerbude!«; überregionale Vernetzung: Signalgruppe »ÖPNVstattPanzer«.
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