Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2012

«Der Einser, der eine Null wurde…»
von Rolf Euler

Dies Jahr ist Alan-Turing-Jahr. Dem berühmten Denker und Praktiker der Computerentwicklung, der am 23 Juni 1912 geboren wurde, ist aus verschiedenen Gründen ein ganzes Jahr gewidmet.

Das Zitat aus dem englischen Turingjahr-Programm spielt mit den Ziffern der digitalen Welt «Null» und «Eins». Turing war die «Eins» in England, als er in den 1930er Jahren bahnbrechende Forschungen über mathematische Grundlagen der Informationswissenschaft trieb und veröffentlichte, und als er die Chiffriermaschine «Enigma» der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg erfolgreich entschlüsselte. Und er war die «Null», als seine Homosexualität bekannt wurde: Er war noch nicht 42 Jahre alt, als er im Juni 1954 seinem Leben ein Ende setzte. Turings Motive bleiben unklar, hängen aber wohl mit seiner Homosexualität zusammen.

Wegen «sexueller Perversion» angeklagt und verurteilt, unterwarf er sich einer brutalen Hormontherapie, die ihn depressiv machte. Seine Nebentätigkeit in der englischen Geheimdienstbehörde, die für das Entschlüsseln von Nachrichten zuständig war, musste er beenden.

Turing beschäftigte als Student das «Entscheidungsproblem» in der Mathematik, und er entwickelte zur Lösung eine Methode, einen theoretischen mechanischen Prozess: die Turing-Maschine. Sein Text von 1936 On Computable Numbers With an Application to the Entscheidungsproblem gilt immer noch als die theoretische Grundlage des Computers. Sein weiterer, ebenso wichtiger, Text Computing Machinery and Intelligence (1950) schlägt den berühmten Turing-Test vor als Test einer Maschine auf künstliche Intelligenz.

Späte Anerkennung – und Ausgrenzung

Die Idee der Turing-Maschine ist nach wie vor weltweit erfolgreich. Jeder Informatikstudent lernt sie, studiert damit Berechenbarkeitsbeweise. Turings Beiträge zur mathematischen Logik und über Künstliche Intelligenz, seine Rechenmaschine in bit-serieller Architektur haben ihn zu einer Art Übervater der Informatik gemacht, der höchste Preis auf dem Gebiet der Informatik, der «Turing Award», ist der Nobelpreis in diesem Bereich.

Sein zurückgezogenes und eigenbrötlerisches Leben verbrachte er in den Kriegsjahren im «Bletchley Park», einem geheimen Dechiffrierzentrum auf dem Lande. Er (und viele andere natürlich mit ihm) legte die mathematischen Grundlagen und baute Maschinen für die Entschlüsselung der deutschen Geheimnachrichten, die vor allem den U-Booten die Versenkung alliierter Gleitzüge ermöglichten. Als das System endlich geknackt war, konnte der Krieg im Atlantik zugunsten der Alliierten gewendet werden. Turings Leistung während seiner Geheimdienstzeit wurde aber zu seinen Lebzeiten weder bekannt noch gewürdigt – erst Anfang der 70er Jahre kam der Beitrag dieses Projektes am Sieg über Nazideutschland an die Öffentlichkeit, nach dem Krieg wurde alles vernichtet oder weggeschlossen.

Nach 1945 befasste sich Turing dann mit Rechenmaschinen auf digitaler Basis und den Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, dabei entwickelte er auch ein Schachprogramm. Er studierte biologische Probleme und beschäftigte sich mit neuronalen Netzen – alles Bereiche, in denen seitdem ständig auch zur künstlichen Intelligenz geforscht wird.

Sicher ist es diese Kombination aus mathematischem Genie, eigenbrötlerischem Verhalten, geheimdienstlichen Erfolgen und juristischer Verfolgung, die Turing inzwischen fast zu einem «Popstar» der Informationswissenschaften gemacht haben. Die Forschungsprojekte der künstlichen Intelligenz haben im übrigen immer eine militärische Seite – das gilt ebenso für Turings deutschen Gegenpol Konrad Zuse, der parallel und von ihm ungekannt ebenfalls erste Computer entwarf und baute.

Es gibt ein Zitat von Turing aus dem Jahre 1948, das seine Ansicht über den Beitrag des Einzelnen zum wissenschaftlichen Erfolg erläutert – es könnte schon fast als Kritik an so etwas wie einem «Turing-Jahr» aufgefasst werden:

«…der einzelne Mensch entwickelt keine intellektuelle Kraft. Er braucht das Umfeld anderer Menschen, deren Techniken er in den ersten zwanzig Jahren seines Lebens aufnimmt. Dann betreibt er vielleicht etwas eigene Forschung und macht ein paar Entdeckungen, die er an andere Menschen weitergibt. So gesehen ist die Suche nach neuen Techniken etwas, das von der gesamten menschlichen Gemeinschaft, nicht von Individuen, geleistet wird.»

Dies mag auch ein Meinungsbeitrag zur aktuellen Diskussion um Urheberrechte und freie Software sein.

Das Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn macht das ganze Jahr über eine Sonderausstellung zu Leben und Werk von Alan Turing («Genial – Geheim: Deutsche Turing-Ausstellung zum Alan-Turing-Jahr 2012»). Deren Besuch lohnt auf jeden Fall für diejenigen, die sich mit der Entwicklung der Informationswissenschaft beschäftigen und mehr über einen genialen Menschen erfahren wollen.

Nach wie vor empfehlenswert für das Verständnis der Ver- und Entschlüsselungmethoden ist das Buch von Simon Singh, Geheime Botschaften, aus dem Jahre 2000, in dem der Arbeit der Codeknacker um Alan Turing ein Kapitel gewidmet ist.

 

Das Turing-Jahr wird von vielen Veranstaltungen begleitet. Siehe dazu die Internetseiten: www.mathcomp.leeds.ac.uk/ turing2012.

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