Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015

 

Hüben wie drüben: Einwanderer als Sündenböcke

von Manuel Kellner

Die beeindruckende Massenmobilisierung in Paris unter der Parole «Je suis Charlie» (Ich bin Charlie) hat nicht nur den Willen zur Verteidigung der Pressefreiheit zum Ausdruck gebracht. Immer wieder beteuerten die Demonstrierenden auch, Einwanderer, Muslime und Jihadisten dürften nicht in einen Topf geworfen werden, und betonten ihren Willen zum friedlichen Zusammenleben unabhängig von Herkunft und religiösem Bekenntnis.Doch die rechtsextreme FN, die sich mit rechtskonservativen Kräften wie Nicolas Sarkozy durchaus in vielem einig weiß, redet den «Krieg mit den Muslimen» herbei. Keine 48 Stunden nach dem Attentat auf Charlie Hebdo gab es ein Dutzend Anschläge auf Moscheen: Schießereien, Brandstiftung, Hakenkreuzschmierereien, an die Tür genagelte Schweinsköpfe, Graffiti mit Schriften wie «Araber raus!», Sprengstoffversuche; Schüler aus dem Maghreb wurden nach der staatlich verordneten Schweigeminute am Tag nach dem Attentat tätlich angegriffen.

Falsche «Einheit»

Die Hetze der Rechtsextremen stützt sich nicht auf Tatsachen, sondern auf Wahnvorstellungen, sie stecken «Einwanderer», «Ausländer», «Muslime», Jihadisten in einen Sack, um ein einfaches Feindbild zu schaffen, das als Blitzableiter dient. Die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Frankreich hat nichts mit dem Salafismus zu tun, und auch die überwiegende Mehrheit der Salafisten besteht nicht aus gewaltbereiten Islamisten, die stellen vielmehr eine winzige Minderheit dar. Die überwiegende Mehrheit der Muslime verurteilt die Attentate. Zehntausende von Einwanderern aus dem arabischen Raum, vor allem aus Nordafrika, haben sich an den Demonstrationen vom 10. und 11.Januar, zu denen in ganz Frankreich 5 Millionen Menschen zusammenkamen, beteiligt.

Die hier regierungsseitig zur Schau gestellte union sacrée (Heilige Allianz, ein Begriff aus dem Ersten Weltkrieg, der den Burgfrieden zwischen Kapital und Arbeit bezeichnete) befremdet gleichwohl – ganz ähnlich wie das XXL-Bündnis bei der Demonstration gegen Kögida am 7.Januar in Köln, wo die gesamte etablierte Politik samt der Industrie- und Handelskammer und der katholischen Hierarchie in einer gemeinsamen Front mit Antifaschisten zu stehen schien.

Die «heilige Allianz» wird jedoch auf die Dauer weder gegen rechtsextreme noch gegen islamistische Radikalisierung etwas ausrichten. Diese Radikalisierungen, wenn sie auch reaktionär ausschlagen, wachsen auf dem Boden, den die offizielle Politik selbst bereitet.

Das gilt auch für das in Deutschland sich ausbreitende Gefühl, sich in diesem Land «nicht mehr wohl zu fühlen» und bei der Politik «gegen eine Wand zu fahren», das Pegida derzeit aufgreift – allerdings mit der Stoßrichtung, die Migranten dafür verantwortlich zu machen. Hartz IV zeigt verheerende Folgen, nicht nur wegen der damit in Gang gesetzten Lohndrückerei, der sich ausbreitenden Altersarmut und der Zersetzung der Beschäftigungsverhältnisse, sondern auch – vielleicht sogar vor allem –, weil es in den oberen Einkommensschichten und in solchen Milieus, die zu ihnen dazugehören wollen, die Mentalität befördert, dass die Armen an ihrem Elend selber schuld sind und dafür gesellschaftliche Verachtung und Ausgrenzung verdienen. Pegida wiederholt nur etwas zugespitzt (und, fürs erste, auf Asylbewerber eingeengt) die Leier von den «Sozialschmarotzern», die von der Regierung Schröder aufgelegt wurde. Sie hält damit den Verantwortlichen für die staatliche Ausgrenzungspolitik, die in erster Linie Asylbewerber und Flüchtlinge trifft, ihren eigenen Spiegel vor.

Und was ist mit dem «Krieg gegen den Terror», der unzählige unschuldige Opfer kostet, das konfessionelle Sektierertum befördert, den Nahen Osten destabilisiert und die Prozesse von Flucht und Vertreibung erst richtig in Gang gebracht hat – um nur ein Beispiel der unseligen Früchte imperialistischer Außenpolitik zu nennen?

Ohnmacht der Herrschenden vor Pegida

In Deutschland heißt es, «die Sorgen der Menschen» müssten «ernst genommen» werden. Der Dresdner Oberbürgermeister, aber auch der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und Veteranen der Bürgerbewegung von 1989 bieten Pegida «den Dialog» an. Die Dresdener Pegida-Sprecherin, Kathrin Oertel, konnte sich bei Günther Jauch in der Talkrunde weitgehend unwidersprochen ausbreiten und die Pegida-Bewegung als ganz normale Sache verharmlosen. Kontra bekam sie nicht einmal von Thierse, der doch einmal Bundestagspräsident war. Ein wirklicher Gegner ihrer Position war nicht eingeladen, nur solche, die um Einfluss bei Pegida buhlen. Jens Spahn, Mitglied des CDU-Präsidiums, verkündete, die meisten Forderungen von Pegida seien «verhandelbar», und unterstützte ausdrücklich die schnellere Abschiebung von abgelehnten Asylsuchenden.

Während Pegida in Dresden ein Zuwanderungsgesetz nach Schweizer Vorbild forderte, wurde in derselben Stadt der 20jährige Khaled Idris Bahray aus Eritrea abgestochen. Es dauerte Tage, bis die Polizei zugeben wollte, dass es sich überhaupt um Mord handelte, die Spurensicherung kam erst nach 30 Stunden. Und mal wieder wurden zunächst ausschließlich Khaleds Mitbewohner und Freunde verhört, nicht die Nazis, die deren Türen mit Hakenkreuzen und Drohungen beschmiert hatten. Augenscheinlich will man aus dem NSU nichts lernen...

Verkehrte Welt

Was sind das für «Sorgen», die da «ernst genommen werden müssen»? Erwerbslosigkeit etwa, Armut, Kaputtsparen der öffentlichen Haushalte? Nein, sondern die «Angst vor Überfremdung» und «Islamisierung». Ein Einwanderungsgesetz ist im Gespräch, das noch abgefeimter unterscheidet zwischen «guten», den hochqualifizierten, ökonomisch verwertbaren Flüchtlingen, und den «schlechten», um die sich der Arbeitsmarkt weniger reißt.

In den letzten drei Jahren haben die Anschläge auf Moscheen deutlich zugenommen. Waren es zwischen 2001 und 2011 durchschnittlich 22 Anschläge pro Jahr, gab es zwischen Januar 2012 und Frühjahr 2014 bereits 78 solcher Fälle – allein von Mitte August bis Mitte September 2014 fünf neue Anschläge: in Berlin, Bielefeld, Oldenburg und Mölln. Eine politische Reaktion der Bundesregierung gab es darauf nicht. Und die Leute, die das gemacht haben, werden jetzt bei Pegida mitgelaufen sein.

Der Schutz des deutschen Staates für die muslimischen Mitbürger, selbst solche mit deutschem Pass, ist mehr als dürftig. Für «geduldete» Flüchtlinge gilt offiziell das «Integrationsverbot», aber rund um die Stammtische wird ihnen vorgehalten, sie wollten sich nicht «integrieren». Die Skandale um die Misshandlung der Flüchtlinge häufen sich, aber bis auf wenige Ausnahmen sind sie von den Titelseiten der Zeitungen schnell wieder verschwunden.

Gründe für eine gesellschaftliche und politische Radikalisierung gibt es leider genug, die Frage ist, welche Gestalt sie annimmt und in welches Fahrwasser sie abdriftet. Linke sind gut beraten, nicht nur für eine möglichst breite Einheit der antifaschistischen Mobilisierung zu sorgen, sondern auch klar erkennbar als der Teil der Kräfte aufzutreten, die sich gegen das Bestehende auflehnen und internationale Solidarität praktizieren.

Mobilisierung gegen rechts muss die offizielle Flüchtlingspolitik aufs Korn nehmen. Und sie muss weitaus stärker als bisher den alltäglichen praktischen Brückenschlag zu den Migranten aus den Ländern des Südens suchen – auch zu denen, die schon seit Jahrzehnten hier leben.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.