Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2016

USA 2015, Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson
von Angela Huemer

Dichte Wolken, die Sonne dringt leicht durch. All das von einem Flugzeugfenster aus gesehen. Dann sehen wir, wie ein Mann eben dies vom Flugzeugfenster aus betrachtet und werden daran erinnert, dass dies ein Animationsfilm ist. Trotzdem «fühlt» sich der Film von Anfang an eigenartig real an. Das liegt daran, dass es keine Computeranimation ist, sondern Stop-Motion-Technik, also mit realen Puppen in real wirkenden Umgebungen Einstellung für Einstellung gedreht wurde. Verglichen mit Computeranimation, so ein Guardian-Kritiker, ist das so, als wenn man seine E-Mails mit Kreuzstich schreibt.
Michael Stone, die Hauptfigur, landet gerade in Cincinnati. Wir hören die Anweisung, doch bitte die Sicherheitsregeln zu beachten; dann bewegt sich Stone, etwas von seinen Mitmenschen genervt, auf dem Beförderungsband im Flughafen Richtung Ausgang, nimmt seinen iPod aus der Tasche, stopselt sich die kleinen Kopfhörer ins Ohr, macht Musik an und fühlt sich kurzzeitig besser. Das Wohlgefühl zerfällt wieder, als er im Taxi zum Hotel fährt und Smalltalk mit dem Fahrer versucht. Dieser preist ihm fast stereotyp seine Stadt an, redet mit ihm über das Wetter und darüber, dass Michael Stone ursprünglich aus England kommt. (Anm.: Ich habe den Film im Original gesehen, was ich stets empfehle und bevorzuge, ganz besonders aber in diesem Fall.)
Ziemlich rasch zieht uns der Film hinein und wir denken gar nicht mehr darüber nach, ob das nun Animation ist oder nicht. Stone ist nach Cincinnati gekommen, um einen Vortrag zu halten über sein Fachgebiet, «Customer Service», wie man am besten mit Kunden umgeht. Er checkt in ein gutes, aber stereotypes Hotel ein und hat einen eher einsamen Abend vor sich. Spätestens als er seine Frau Donna anruft merken wir, dass es irgendwas mit den Stimmen auf sich hat, sie klingen alle irgendwie gleich. In der Tat, Tom Noonan spricht (fast) alle Rollen, ob Mann oder Frau, vom Taxifahrer über den Rezeptionisten bis hin zu Frau und Sohn von Michael Stone.
Nachdem er sein Abendessen beim Roomservice bestellt hat, fasst er sich ein Herz und meldet sich bei einer alten Liebe, Bella, die er vor Jahren abrupt verlassen hat. Zwischendurch übt er seinen Vortrag, den er am nächsten Tag halten soll. Michael wirkt nicht glücklich, ein wenig so, als würde er dem Rest der Welt skeptisch gegenüberstehen. Wir fühlen mit ihm mit, alle Menschen die er trifft, sehen einander ähnlich. Das ist nicht zufällig, die Animateure haben tatsächlich sozusagen ein «allgemeines» Gesicht entwickelt, indem sie per Computerprogramm die Fotos von vielen Menschen miteinander zusammengeführt haben, daraus entstanden per 3D-Drucker die Gesichter für die Nebendarsteller.
Erst später am Abend trifft Michael auf Lisa. Sie sieht nicht nur anders aus als alle anderen, vor allem ihre Stimme ist eine andere (diese gehört der Schauspielerin Jennifer Jason Leigh). Kein Wunder, dass Michael sich von ihr angezogen fühlt.
Mehr sei nicht verraten vom Inhalt. Doch nachdem man das Kino verlassen hat, lohnt es sich, darüber nachzudenken, dass an einem Tag durchschnittlich zwei Sekunden Film entstanden, in einer guten Woche rund zehn Sekunden. Es braucht 24 Einzelbilder, um eine Filmsekunde herzustellen. Wie genau gearbeitet wird, merkt man, wenn Dan Driscoll, der die Aufsicht über die Animateure hatte, erzählt, dass beispielsweise selbst eine Matratze einen eigenen Mechanismus haben muss – wenn sich jemand drauf setzt, sinkt sie nämlich ein. Nicht so, wenn eine der Puppen drauf sitzt, denn diese sind zu leicht. Deswegen muss auch die Matratze, ein eigentlich lebloser Gegenstand, animiert werden. Dazu kommt, dass aufgrund der vielen, vielen Male, in denen die Puppen bewegt werden, deren Kleidung darunter leidet. Einmal, so Driscoll, ging ihnen der Stoff für Michaels Hemd aus und es dauerte eine ganze Woche, den exakt gleichen wiederzufinden.
Gut, dass all das vollkommen am Zuseher vorbeigeht und der Film uns zutiefst berührt. Denn es geht im Kern um etwas ganz Menschliches: dass man sich vom Rest der Welt seltsam entfremdet empfindet.

PS.: Charlie Kaufmans erster großer Erfolg war 1999 der Film Being John Malkovich; die Anstoßfinanzierung für Anomalisa erfolgte über eine Internetplattform, Kickstarter.

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