Die Belegschaft beim Lokomotivenhersteller Alstom wehrt sich gegen Personalabbau
Gespräch mit Otto Schäfer, aus: Avanti2
Der Schienenfahrzeughersteller Alstom kaufte im Jahr 2021 die Bahnsparte von Bombardier. Dies hat Folgen für die Beschäftigten des Werks in Mannheim. Die Zeitschrift Avanti2 sprach im Februar mit dem Betriebsrat Otto Schäfer über die Zukunftsaussichten und Möglichkeiten der Gegenwehr.
Was ist seit dem Kauf 2021 passiert?
Zunächst ließ das Alstom-Management verlauten, dass alle Beschäftigten und alle Standorte benötigt würden. Dann kam Ende Dezember 2021, kurz vor Weihnachten, die Ankündigung, dass man rund 1400 Arbeitsplätze abbauen müsse. Zudem ist die Stromrichterentwicklung in Mannheim gefährdet, weil sich die Konzernzentrale für das französische Produkt entschieden hat.
März 2023 einigten sich IG Metall, Gesamtbetriebsrat und Alstom auf einen Personalabbau durch ein »Freiwilligenprogramm«, im Gegenzug wurde der Erhalt aller Standorte zugesichert. Außerdem sollte es einen »Arbeitnehmerbeitrag« in Form eines vorläufigen Verzichts auf das Urlaubsgeld geben, wobei dieser Verzicht im Fall von gesteigerter Produktivität, verringertem Krankenstand und guter Qualität nicht wirksam werden sollte. Die Mannheimer Mitglieder der IG Metall lehnten diesen »Zukunftstarifvertrag« ab.
In Gesprächen mit der örtlichen Geschäftsleitung haben wir Voraussetzungen für zukünftige Verhandlungen formuliert. Die Signaltechnik wird an drei Standorten hergestellt, in Mannheim, Braunschweig und Berlin. Wenn die Beschäftigten Zugeständnisse machen, wollten wir, dass in allen drei Betrieben eine Tarifbindung kommt.
Das Unternehmen hat dies zugesichert, aber nicht eingehalten. Deswegen sagten wir, wir gehen erst in Verhandlungen, wenn die Tarifbindung hergestellt worden ist. Das war auch die Vorgabe der IG-Metall-Mitglieder: Wenn wir was geben, wollen wir auch was haben.
Wie ist der aktuelle Stand?
Unverändert. Zuletzt erklärten die Unternehmensvertreter, weitere Gespräche würden keinen Sinn mehr machen. Sie drohen mit Konsequenzen für den Standort Mannheim, es würde keine Neueinstellungen mehr geben. Momentan verlassen die geburtenstarken Jahrgänge das Unternehmen. Wir haben eine Fluktuation zwischen 5 und 10 Prozent im Jahr. Wenn es in dieser Situation keine Ersatzeinstellungen mehr gibt, wird das Mannheimer Werk ausbluten.
Allerdings wurde diese Drohung von der Unternehmensleitung bisher nicht umgesetzt.
Tatsächlich befindet sich Alstom in einer leichten Schieflage. Ende 2023 ist die Aktie um etwa 40 Prozent eingebrochen, worauf die Konzernführung mit einem »Sparplan« reagierte, weltweit sollen 1500 Arbeitsplätzen abgebaut werden. Diese Ankündigung wird zur Zeit umgesetzt. Es zeichnet sich ab, dass Alstom vor allem in den indirekten Bereichen Personal abbauen will.
Düstere Wolken am Horizont! Wie wirkt sich diese Situation auf eure Arbeit im Betriebsrat und die Stimmung in der Belegschaft aus?
Wir leiden schon seit Jahrzehnten unter einer gewissen Unsicherheit. Aber wir haben nie die Hoffnung aufgegeben, weil wir hier gute Produkte herstellen. Außerdem wird der Markt wachsen, um die Verkehrswende hinzubekommen. Um die Klimaziele zu erreichen, ist es schließlich notwendig, dass wir im Schienenverkehr gute Lösungen anbieten.
Das Management hat gigantische Fehlentscheidungen gefällt. Leider können wir in den Gremien nur Vorschläge einbringen, die Entscheidungen treffen die Manager. Wir haben erleben müssen, dass sie sich durch Inkompetenz und Ignoranz hervortun.
Die Stimmung ist natürlich problematisch, das kann man nicht von der Hand weisen. Das Betriebsklima hat sich verschlechtert, weil der Druck langsam von oben bis nach ganz unten durchdringt. Wir versuchen als Betriebsrat, als Vertrauensleute, als IG Metall dagegen zu arbeiten. Auch mit der örtlichen Geschäftsleitung haben sich die Auseinandersetzungen verschärft, zusätzlich zu den normalen Interessenkonflikten.
Was ist das Besondere an den Produkten, die ihr hier herstellt?
Wir produzieren Lokomotiven, ein wirklich, sehr, sehr gutes Produkt. Wir haben außerdem den Bereich Services, nach wie vor ein starker Wachstumstreiber. Wir machen Straßenbahnen, was allerdings aufgrund von Produktentscheidungen reduziert wird. Das hat damit etwas zu tun, dass wir an einigen Ausschreibungen nicht mehr mit dem Mannheimer Produkt bzw. der Technologie beteiligt sind.
Wir waren weltweit führend in der Stromrichterentwicklung. Zum Beispiel kam der erste Drehstromrichter weltweit von hier. Mannheim ist eine Stadt für Mobilität: das erste Auto, das erste Fahrrad und einer der ersten Traktoren, außerdem bei Brown, Boveri & Cie. der erste Drehstromantrieb für Schienenverkehrsfahrzeuge wurden hier hergestellt.
Wir machen Signaltechnik, vor allem im Bereich OnBoard. Die Zugsicherungssysteme und die Signaltechnik werden immer mehr von der Fahrstrecke auf die Fahrzeuge verlagert. Da sind wir sehr gut im Markt und haben auch gute Wachstumsaussichten. Dann produzieren wir das Train Control & Management System (TCMS), also die Elektronik und Software, mit der das Fahrzeug gesteuert wird. Schließlich haben wir noch eine kleine Restproduktion für Stromrichter, mit den Schwerpunkten Umrüstung und Reparatur.
Wir haben etwa tausend Beschäftigte, einschließlich der Monteure, die in Deutschland und teilweise weltweit unterwegs sind. Unsere größte Befürchtung ist, dass sich aufgrund der Unsicherheit unsere Elektroingenieure der Fachrichtung Antriebstechnik anderswo umschauen. Wenn es keine berufliche Perspektive mehr gibt, wird es schwierig, Fachkräfte zu halten und neue zu gewinnen. Das wäre fatal. Da arbeiten wir klar dagegen und wenden viel Phantasie, Engagement und Ideen auf. Weil wir wissen, wir sind unverzichtbar, und wir sind gut.
Vor dem Hintergrund der Verkehrswende, der notwendigen Verlagerung von der Straße auf die Schiene, ist das doch eine völlig groteske Situation. Abhängig Beschäftigte können einen transnational agierenden Konzern nur beeinflussen, wenn sich Belegschaften überörtlich zusammenschließen und Widerstand organisieren. Gibt es solche Bestrebungen?
Das ist ein sehr schwieriges Terrain, weil innerhalb dieses großen Konzerns die Unternehmensleitung das Konkurrenzdenken massiv schürt. Das gipfelt darin, dass einer der wichtigen Punkte im »Zukunftstarifvertrags« lautet: Einzelne Regionen, Länder oder Standorte müssen gegeneinander antreten und sich um einen Auftrag bewerben. So entsteht unweigerlich eine Konkurrenzsituation. Jeder muss sich so gut wie möglich darstellen und vor allen Dingen so profitabel wie möglich operieren.
Wie reagiert die Politik auf diese Entwicklung? Offiziell verkündet die Bundesregierung: Verkehrswende heißt Förderung des Schienenverkehrs. Da müsste doch die Politik alarmiert sein!
Es gibt immer einen Unterschied zwischen Ankündigungen und Wirklichkeit. Fakt ist: Um die Verkehrswende zu schaffen und die Klimaziele zu erreichen, bedarf es einer Menge von Investitionen. Wie gesagt, wir haben Lösungen. Wir können z.B. durch intelligente Lösungen die begrenzten Gleiskapazitäten wesentlich besser nutzen und mehr Verkehr auf die Schiene bringen, indem wir die Abstände zwischen zwei Fahrzeugen verringern und damit im Prinzip eine erhöhte Frequenz schaffen, um mehr Personen oder Güter transportieren zu können. Da gibt es wirklich gute und intelligente Lösungen. Nur braucht es halt Investitionen.
Für den Schienenverkehr?
Für den Schienenverkehr, ja. Die Zulassung von Schienenfahrzeugen muss schneller und weniger aufwändig werden. Außerdem sollten Projekte nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Schließlich werden Steuermittel für den öffentlichen Personennahverkehr ausgegeben, dann sollen die bitte schön auch an tarifgebundene Unternehmen gehen. Aber die Politik ist noch nicht so weit.
Wie können wir Gegenmacht verstärken? Vielleicht durch einen betriebs- und branchenübergreifenden Kampf gegen solche Abbaupläne von internationalen Konzernen und ? in Anlehnung an Artikel 14 Grundgesetz ? für ein Verbot von Entlassungen, wie das der Betriebsrat und die IGM-Vertrauenskörperleitung von Alstom Power in ihrem Mannheimer Appell getan haben? Der Artikel 14 besagt, dass Eigentum eine Sozialbindung hat. Aber das interessiert einen Konzern wie Alstom einen feuchten Kehricht. Wäre es nicht eine Überlegung wert, an Bündnispartner, auch außerhalb der IG Metall, heranzutreten, z.B. an die Klimagerechtigkeitsbewegung oder an die Beschäftigten bei der Deutsche Bahn AG?
Also die Situation kann ich leider nicht schönreden, das Konkurrenzdenken ist vorhanden. Wir suchen Bündnispartner, aber das ist ein aufreibender Prozess. Es gibt Bestrebungen mit Gruppen dieser Gesellschaft, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, gemeinsam etwas zu machen, aber das steckt zurzeit noch in den Anfängen.
Die sog. Branchenkonferenz der IG Metall liegt uns wirklich am Herzen. Damit können wir ausprobieren, wie wir mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Schienenfahrzeughersteller an einem Strang ziehen können.
Und zur Frage der Sozialbindung des Eigentums: Wir sind ein multinationaler Konzern, und Alstom ist erst einmal seinen Aktionären verpflichtet. Die Unternehmenszahlen zeigen, dass das Unternehmen in einigen Bereichen nicht in einer guten Position ist. Aber wir haben immer noch den Glauben daran, dass wir ein gutes Produkt herstellen und am Markt erfolgreich sein können. Das mit der Gegenwehr ist ein schwieriges Feld, wie du weißt.
Aber ein unersetzbares.
Unersetzbar, klar.
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