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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2016

Standing Rock wird zum Symbol des Widerstands
von Dattel*

Wer in diesen Tagen auf die Berichterstattung der Medien blickt, könnte meinen, das Schicksal der Welt würde vom Ausgang der Wahlen in den USA abhängen. Für viele steht bereits fest, dass die großen Konzerne und Banken in jedem Fall die Hauptgewinner der Wahl sind. Doch abseits des Spektakels bröckelt die Vormachtstellung der USA an allen Enden.

Keinen geringen Anteil daran hat eine Welle von neuen Graswurzelbewegungen, wie Black Lives Matter oder die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders. In Cannonball im Bundesstaat North Dakota verbünden sich indigene Stämme mit Klimaaktivisten, aufständischen Anarchisten und Hollywoodschauspielerinnen gegen den Bau einer Pipeline und leisten sich einen erbitterten Kampf mit Big Oil.

Am 1.April 2016 reiten 200 indigene Aktivisten über ihr Land, neben dem bis Jahresende die North Dakota Access Pipeline (DAPL) im Schnellverfahren gebaut werden soll. Teil des Aktionstags ist die Errichtung des Sacred Stone Camps bei Standing Rock als Basislager für den Widerstand. Neben der Planung direkter Aktionen dient das Camp als spiritueller Ort, auf dem indigene Kultur wiedergelebt wird. Es gibt regelmäßig Zeremonien und Gebete für den Schutz des Landes und die Stärkung der widerständigen Gemeinschaft. Von Beginn an stellen sich die Aktiven auf einen langen Aufenthalt ein und starten Crowdfunding-Kampagnen, um die Gerichtskosten und das Camp zu finanzieren.

Ein so großes Projekt wie die Dakota-Pipeline lässt sich nicht mit einer einzigen Widerstandsaktion stoppen. Die DAPL kostet 3,8 Milliarden Dollar und soll gefracktes Öl vom Bakken-Ölfeld nach Chicago leiten – jährlich 500000 Fässer Öl. Eine bereits bestehende Pipeline leitet das Öl von dort zu den Raffinerien am Golf von Mexiko. Der Plan sieht vor, die Pipeline direkt am Sacred-Stone-Reservat vorbei zu bauen und danach den Missouri zu unterqueren. Das Wasser aus dem Fluss ist die Lebensgrundlage des Reservats, es versorgt 17 Millionen Menschen in der Umgebung.

 

Ölkrieg in den USA

Nach dem Baubeginn der Pipeline schließen sich in den folgenden Monaten Tausende Menschen dem Widerstand vor Ort an. Es bildet sich eine Allianz aus über hundert Stämmen von indigenen Amerikanern. Darunter sind viele erfahrende indigene Aktivisten aus Organisationen wie dem Indigen­ous Enviromental Network, die weltweit mit anderen Graswurzelbewegungen vernetzt sind. In den folgenden Monaten werden immer wieder Baustellen und Versorgungsstraßen blockiert. Alle Protestmittel werden ausgeschöpft –von Petitionen über Klagen bis hin zu dezentralen Demos. Anfang September wird eine Klage für den Stopp der Pipeline von einem Bundesgericht abgewiesen, obwohl die Rechte indigener Völker nicht geachtet wurden. Der Konflikt spitzt sich zu, Cannonball wird zur militarisierten Zone.

Ende Oktober wird das mittlerweile fünfte Camp direkt vor der Pipelinebaustelle aufgestellt, Barrikaden werden errichtet. Nur wenige Tage später, am 27.Oktober, entzünden Unbekannte ein Feuer auf einem Hügel unweit des neuen Camps, trotz mehrmaliger Notrufe reagieren die Behörden nicht. Am nächsten Tag erscheinen dann mehrere hundert hochgerüstete Polizisten in Begleitung von Soldaten der Nationalgarde und Sicherheitskräften der Ölfirmen. Die Räumung beginnt. Auf der einen Seite stehen unbewaffete Aktive, auf der anderen eine Reihe Soldaten mit Sturmgewehren und gepanzerten Fahrzeugen, die langsam vorrücken. Auf den Hügeln sind Scharfschützen aufgestellt. Einige Autos sind mit hochmodernen Lärmkanonen, sog. Long-Range Acoustic Device (LRAD) ausgestattet. Sie sind besonders effektiv gegen größere Menschenmengen, weil sie heftige Ohrenschmerzen verursachen, die keine Koordination mehr möglich machen. Mehr als hundert Menschen werden bei der Räumung festgenommen und in Käfige gesteckt. Viele werden durch Gummigeschosse, Taser, Schlagstöcke und Pfefferspray verletzt und traumatisiert.

Zu Anfang wird die Räumung des Camps von den größeren Medien kaum beachtet, doch über die sozialen Medien verbreiten sich Bilder und Videos mit den Hashtags #NoDAPL und #StandWithStandingRock in kurzer Zeit über die gesamte Welt. Nachdem bekannt wird, dass die Polizei Facebook-Informationen nutzt, um Aktivistinnen und Aktivisten zu lokalisieren, posten über eine Million Menschen innerhalb weniger Tage, dass sie vor Ort am Standing Rock sind, solidarisch mit dem Widerstand. Mittlerweile wurden durch Crowdfunding rund 3 Millionen Dollar eingenommen. Bei bisher 400 Festnahmen und vielen weiteren geplanten Aktionen ist das Geld gut zu gebrauchen.

 

Rohstoffboom als Krisenlösung

Der Energiebedarf der USA ist gigantisch, vor allem um den verschwenderischen Lebensstil einer privilegierten Schicht zu ermöglichen. China hat die USA zwar im Gesamtverbrauch überholt, das liegt aber hauptsächlich daran, dass die energieintensive Warenproduktion dorthin verlagert wurde. Nach dem Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase 2007 und der nachfolgenden Wirtschaftskrise brauchte der Staat ein Wunder, um den großen Energiebedarf der USA weiterhin zu stillen. Denn zu diesem Zeitpunkt war auch die Strategie der Ölkriege im Mittleren Osten gescheitert und weitere große Kriegseinsätze nicht finanzierbar. Die neuen Methoden der Gas- und Ölförderung durch Fracking kamen genau zum richtigen Zeitpunkt und erzeugten innerhalb kürzester Zeit einen Boom, weil nun neue Öl-und Gasfelder erschlossen werden konnten.

Die Großmacht USA ist heute wieder Öl-und Gasexporteur. Im Zentrum dieses Extraktivismus, also dem Entnehmen von Rohstoffen, steht schon seit dem Eintreffen der europäischen Siedler auf dem amerikanischen Kontinent der rassistische Krieg gegen indigene Völker, die von ihrem rohstoffreichen und fruchtbaren Land vertrieben wurden. Nicht weit von Standing Rock befindet sich Wounded Knee, bei dem 1890 über 150 wehrlose Sioux von der Armee niedergemetzelt wurden. Die Bilder von aufgereihten uniformierten Soldaten gegen amerikanische Ureinwohner damals und heute sind fast identisch. Genau wie damals ist der Ölrausch allerdings nur ein kurzer Traum – die Ausbeute durch Fracking gering ist und die Vorkommen schnell erschöpft. Das spielt aber keine Rolle, solange die Illusion eines funktionierenden Systems aufrechterhalten werden kann.

Der Preis für die immer zerstörerischen Methoden der Energiegewinnung wird zunehmend spürbar. Seit 2000 gab es 75 Ölkatastrophen in den USA. Auch die negativen Auswirkungen des Klimawandels sind heute besonders in Nordamerika zu beobachten. Indigene Völker sind fast immer die Hauptbetroffenen von Rohstoffausbeutung und Klimawandel weltweit, weil sie in unerschlossenen Gebieten leben und Subsistenzwirtschaft eine größere Rolle spielt. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, dass viele Indigene, besonders Aktivisten, mittlerweile einen westlicheren Lebensstil pflegen. Eine kontinuierliche globale Vernetzung und Organisierung mit anderen indigenen Völkern und linken Bewegungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat einen neuen kollektiven Bewusstseinsprozess der Selbstermächtigung und Selbstbestimmung ausgelöst. Das Resultat ist ein Wideraufleben ihrer kulturellen Werte, die nicht kapitalistisch sind, und eine spirituelle Verbundenheit mit der Welt. Indigene Bewegungen bilden heute die vorderste Front im globalen Kampf um Klimagerechtigkeit und ein gutes Leben für alle. Durch Authentizität, gestiegenes Selbstbewusstsein und die Nutzung von aktionistischen und medialen Werkzeugen schaffen sie es, sehr viele Menschen zu erreichen, die von linksradikalen Botschaften nicht angesprochen werden.

 

Der Bau geht weiter…

Just am Tag der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen kündigte En­ergy Transfer Partners, die Firma, die den Bau der Pipeline managt, an, binnen zwei Wochen werde die letzte Bauphase beginnen – obwohl verlangt wurde, einen Baustopp einzulegen, die noch amtierende Regierung alternative Routen prüfen möchte und Präsident Obama klargestellt hatte, das Problem solle auf eine Art und Weise gelöst werden die den indigenen Völkern Nordamerikas gerecht wird. Die Sprecherin der Firma meinte in der britischen Tageszeitung Guardian dazu, sie wüsste nichts von einer geplanten neuen Route, die Firma gehe davon aus, dass sie die nötigen Genehmigungen zeitnah erhält.

Darüber hinaus überlegt die Regierung von North Dakota, Schritte gegen die Pipeline-Bauer einzuleiten, weil Funde von Artefakten der US-Ureinwohner nicht bekannt gegeben wurden. Die Pipeline-Firma will einen Tunnel unter den Lake Oahe bohren, das ist ein Wasserreservoir beim Missouri nahe dem Protestlager und dem Reservat der Native Americans.

 

… der Protest ebenso

Kurz vor Redaktionsschluss, am 20./21.November, wurden rund 400 Protestierende, die eine schon lang blockierte Brücke überwinden wollten, von der Polizei mit Wasser, Tränengas und Gummigeschossen attackiert. Wegen der eiskalten Temperaturen mussten mindestens 17 der Protestierenden ins Krankenhaus gebracht werden. Die Behörden rechtfertigten den Einsatz von Wasserkaskaden (laut Polizei sind es einfache Feuerwehrschläuche) mit den Feuern, die die Protestierenden gelegt hatten.
* Der Artikel erscheint zeitgleich in der Zeitschrift Contraste.

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