Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2017

Im «System VW» muss sich auch auf Belegschaftsebene einiges ändern
von Mirko Düsterdieck*

Die Einbindung der Belegschaft in das Unternehmensinteresse verhindert, dass kritische Gedanken aufkommen können.

Als die Führung des Automobilbauers VW Ende November 2016 den Abbau von 23000 Stellen im Inland bis zum Jahr 2025 verkündete, ging auch in Nordhessen die Angst um.

Das nordhessische VW-Werk in Baunatal beschäftigt aktuell etwa 17000 Menschen, darunter noch 700 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. In Baunatal werden Fahrzeugkomponenten wie z.B. Karosserieteile, Abgasanlagen und allen voran verschiedene Getriebearten produziert. Des weiteren befindet sich dort das weltweit größte Ersatzteillager.

Nachdem die Meldung über den Stellenabbau öffentlich wurde, bemühte sich der Betriebsratsvorsitzende Carsten Bätzold eilig, die Menschen in und um Kassel zu beschwichtigen: Er versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen, indem er die Zukunft des Werks in Baunatal rosa-rot malte wegen der geplanten massenhaften Produktion von E-Motoren, die allen voran in Baunatal stattfinden soll. Tatsächlich wurden jetzt zum Jahreswechsel die Verträge von 394 Leiharbeitern verlängert. VW besitzt mit der Autovision GmbH eine eigene Leiharbeitsfirma, über die sie neuerdings auch andere Firmen in der Metall- und Elektroindustrie bedient.

 

Sackgasse Korporatismus

Das Volkswagen Werk in Baunatal wurde 1958 auf den Trümmern der Fieseler Werke aufgebaut, die während der Nazizeit verschiedene Flugzeuge für die Luftwaffe produzierten. Die damalige SPD-geführte hessische Landesregierung machte sich in Wolfsburg dafür stark, dass am Rande von Kassel ein VW-Standort entstand. Ausschlaggebend für den Zuschlag aus Wolfsburg war dann die sogenannte «Zonenrandförderung», die die Bundesregierung bis 1990 an sämtliche westdeutschen Kommunen an der innerdeutschen Grenze zahlte und die den Zuzug der Wirtschaft in diese Gebiete großzügig belohnte.

Von Anfang an waren die Verflechtungen von Volkswagen mit der lokalen Politik in Nordhessen ein quasi ungeschriebenes Gesetz. Nutznießer war zum größten Teil der SPD-Unterbezirk Nordhessen.

Dieser Unterbezirk wird von jeher vom rechten Seeheimer Kreis in der SPD dominiert. Wer in Kassel und Umland politisch etwas werden will, muss sich mit dem Wolfsburger Konzern und dessen Werksmanagement in Baunatal gut stellen.

Wie weit diese Verflechtungen gingen, zeigt das Beispiel des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Karl-Heinz Mihr. Er war natürlich SPD-Mitglied und als BR-Vorsitzender von 1972 bis 1994 tätig. In dieser Zeit war er auch Mitglied des Konzernbetriebsrats und Mitglied im Volkswagen-Aufsichtsrat. Von 1984 bis 1994 gehörte er dem Europäischen Parlament an und war sdamit einer der Cheflobbyisten für VW in Brüssel und Straßburg. Wenn die Zeit zwischen den Sitzungen drängte, hat er auch schon mal einen Hubschrauber ab Werk gechartert. Seine Nachfolger waren ebenfalls Mitglieder der SPD bzw. bis Ende 1989 der DKP.

Das Tragische an dieser Konstellation ist, dass differenzierte Meinungen oder gar offene Kritik in- und außerhalb des VW-Werks so gut wie totgeschwiegen werden. Wer es wagt, VW zu kritisieren – etwa wenn es um die Bordellaffäre von und mit Peter Hartz und dem Konzernbetriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert oder – wie jetzt – um die Abgasaffäre geht, legt sich gleichzeitig mit der Betriebsratsfraktion der IG Metall an.

 

Quo vadis Widerstand?

Aber auch für die IG-Metall-Betriebsräte in Baunatal kommen die Einschläge näher. Bei der letzten Betriebsratswahl im März 2014 bekam die IG Metall wieder 42 von 44 Sitzen. Allerdings erreichte die Wahlbeteiligung mit 62% ein historisches Tief – was der nordhessischen Öffentlichkeit geflissentlich vorenthalten wurde. Der Unmut der Kolleginnen und Kollegen nimmt zu. Viele haben schlicht die Schnauze voll von Mehrarbeit und Überstunden und wie die Betriebsräte das Thema «Lean Production» schönreden. Andere wiederum resignieren und denken: «Augen zu und durch».

Bei Volkswagen gibt es mittlerweile bezogen auf die Beschäftigungsverhältnisse eine Drei-Klassen-Gesellschaft: Stammwerker – Zeitwerker – Leihwerker. Dass die VW-Manager in Wolfsburg aus dem Diesel- und CO2-Betrug Konsequenzen gezogen haben, die eine verschärfte Disziplinierung der Belegschaft beinhalten, ist der Gipfel des Zynismus. Die 23000 Stellen, die zur Disposition stehen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem restriktiveren betrieblichen Regime führen. Kolleginnen und Kollegen, die in der Vergangenheit «Fehlzeiten» durch Krankheit angehäuft haben, werden dann vor die Wahl gestellt…

Es ist auch damit zu rechnen, dass Beschäftigtenen, die geringfügige Vergehen gegen die interne Arbeitsordnung begangen haben (sollen), statt mit einer Abmahnung sofort mit der Kündigung oder einem sogenannten Aufhebungsvertrag gedroht wird.

Parallel dazu versucht das Konzernmanagement, den Identifikationsfaktor mit dem Unternehmen innerhalb der Belegschaft zu erhöhen. Eine interne Propagandakampagne, die auch über die sozialen Medien geführt wird, trägt ihre Früchte. Die Zahl von VW-Beschäftigten die einen Facebook-Account haben und als Profilbild das VW-Emblem benutzen, wächst kontinuierlich. Aber solange die heilige Kuh Volkswagen in Nordhessen nicht endlich und nachhaltig geschlachtet wird und Widerstand ausgerechnet von den «Arbeitnehmervertretern» im Keim erstickt wird, müssen die Kolleginnen und Kollegen mit unsicheren Zeiten rechnen.

 

* Der Autor ist Stadtverordneter der LINKEN in Kassel.

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