Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2010
Hartz IV ist verfassungswidrig.
von Angela Klein

Die Würde des Menschen
«Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … erfüllen» (Pressemitteilung des BVG vom 9.2.2010). Kurz gesagt: Hartz IV ist verfassungswidrig.

Zu einem menschenwürdigen Existenzminimum gehört laut BVG «eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst».

Doch dann überkommt das Gericht Hasenfüßigkeit: Als hätte es Angst vor der eigenen Courage bekommen, betont es im weiteren, aus Art.1 Abs.1 GG: «Die Würde des Menschen ist unantastbar» könne keine Höhe der Leistung abgeleitet werden. Es bemängelt dann nur noch das Verfahren, wie der Eckregelsatz ermittelt wurde (siehe auch Seite 6) - viele Hartz-IV-Bezieher bleiben mithin auf einem menschenunwürdigen Leben sitzen.

In einer Zeit, wo jeder siebte Bürger (14,3%) in Deutschland an oder unter der Armutsgrenze lebt, ist das nicht mehr hinnehmbar. Gibt es keine EU-weit definierte Armutsgrenze (60% des gemittelten Einkommens)?
Und läge es nicht auf der Hand, diese Grenze, so unzureichend sie definiert ist, zum absoluten Maßstab für ein «Leben in Würde» zu machen? Ein Niveau mithin, unter das kein Mensch fallen darf - weil er oder sie ein Mensch ist?

Brandsätze
Die Schwächen des Urteils hat die FDP hat sofort ausgemacht: Die Vorhaben der Bundesregierung würden dadurch nicht gefährdet, auch die geplanten Steuersenkungen nicht, befand sie auf einer Klausurtagung und sann auf geeignete Antwort auf die «sozialistischen Tendenzen» in der Diskussion über das BVG-Urteil.
Westerwelles Ausfälle sind also keine «Eselei» (Heiner Geißler) und keine «Entgleisung» (Kurt Beck), sondern politisches Kalkül der Parteispitze: Die FDP will trotz leerer Kassen Steuersenkungen durchsetzen, da kommt ein Urteil von höchster Stelle, das an die soziale Verantwortung appelliert, denkbar ungelegen.

Sie tritt nun eine Hetzkampagne gegen die Leistungsbezieher los, weil sie darauf hofft, ihnen am leichtesten das Geld dafür aus der Tasche nehmen zu können. Sie schleudert Brandsätze, um das Terrain der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu verschieben.

Keine menschenverachtende Diffamierung ist dafür zu billig: Der Chefredakteur der angeblich so respektablen Zeit setzt mit der heuchlerischen Frage «Warum kriegen Migranten häufiger Hartz IV als Deutsche?» noch eins drauf. Im Übrigen stimmt das nicht: Laut Bild sind prozentual genausoviele Türken im Leistungsbezug wie Deutsche, nämlich 19%. Nur bei den Spätaussiedlern sieht das anders aus.

Westerwelles Brandsätze sind eine Kriegserklärung an 6,7 Millionen Hartz-IV-Bezieher, aber auch an die 6,5 Millionen Niedriglöhner, die es erst seit den Hartz-Gesetzen gibt. Sie sind eine Kampfansage an jede gewerkschaftliche Bemühung um Mindestlöhne.

Jugendliche sollen zu Zwangsarbeit verdonnert werden, statt dass ihnen eine qualifizierte Ausbildung und eine berufliche Zukunft angeboten wird. Arbeitszwang ist Gewalt, ein verordnetes Leben unter der Armutsgrenze auch.

Soziale Unruhe
Westerwelle schleudert seine Brandsätze im übrigen nicht nur nach innen, auch nach außen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist er als Scharfmacher gegen den Iran aufgetreten und hat die Wirtschaft schon mal auf Sanktionen eingestimmt (siehe Seite 3). Beides gehört zusammen: Im Ausland wie im Inland beutet das deutsche Kapital Rohstoffe, Land und Arbeitskräfte aus.

Die Antwort kann nicht defensiv ausfallen, keine Rückzugsgefechte! Anknüpfen an das BVG-Urteil: Hartz IV ist mit Art.1 Abs.1 GG nicht vereinbar. Es gibt harte Kriterien für ein menschenwürdiges Leben: Die Anzahl der Kalorien, die jedem Menschen zur Verfügung stehen, ist so eins. Die offizielle Armutsgrenze ein anderes.
Der bisherige Eckregelsatz von 359 Euro reicht zum Leben für drei Wochen im Monat, nicht für vier. Deshalb fordern Hartz-IV-Beziehende die Anhebung des Eckregelsatzes auf 500 Euro - 141 Euro mehr pro Kopf und Monat. Bezogen auf 6,7 Millionen in Hartz IV wäre dies eine Mehrausgabe von 950 Mio. Euro.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, den 85% der Deutschen ablehnen, kostet in diesem Jahr über 1 Milliarde.

Soziale Unruhe braucht das Land. Es darf nicht passieren wie in 2004, dass die Gewerkschaft sich aus den Mobilisierungen für höhere Regelsätze weitgehend raushalten und nur ihre Mindestlohnkampagne im Auge behalten. Sie müssen beides miteinander verbinden.

Und wenn DIE LINKE einen Arsch in der Hose hat, dann ruft sie zur Unruhe auf und begnügt sich nicht mit Wahlplakaten wie «Hartz IV abwählen».

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