von Ingo Schmidt
Das konjunkturelle Zwischenhoch im vergangenen Jahr hat für einen selbsttragenden Aufschwung nicht gereicht. Die Hoffnungen auf eine neue Exportoffensive könnten einen Dämpfer erhalten, wenn die USA selber auf Exportkurs gehen. Der Konflikt mit China ist programmiert.
Im Herbst 2008 stürzte die Weltwirtschaft in eine Rezession, im Frühjahr 2009 wurde der Absturz gebremst. Seither verzeichnen einige Länder wieder positive Wachstumsraten, während sich der Abschwung andernorts mit verlangsamter Geschwindigkeit fortsetzt oder in eine Stagnation übergegangen ist.
Die meisten Konjunkturforscher weisen darauf hin, dass zwei Faktoren dafür verantwortlich sind: Staatsausgaben und die Auffüllung von Lagerbeständen, die im Zuge des Zusammenbruchs von Absatz und Produktion im Winter 2008/09 auf ein extrem niedriges Niveau gesunken waren. Die zur gleichen Zeit aufgelegten Konjunkturprogramme laufen spätestens im Sommer dieses Jahres aus und Lager werden bald wieder aufgefüllt sein. Um einen Rückfall in die Rezession zu verhindern, müsste es daher im Jahresverlauf zu einem Anstieg von privaten Investitionen, Konsumausgaben und/oder Exporten kommen.
Die Auslastung bestehender Produktionskapazitäten ist allerdings so niedrig, dass Unternehmen sich auf längere Zeit mit Investitionen zurückhalten werden. Zudem sind es die ältesten und am meisten verschlissenen Maschinen, die zuerst stillgelegt werden.
Die insgesamt verringerte Produktionsleistung wird mit den neuesten und modernsten Anlagen erbracht. Per saldo heißt das, die Produktivität steigt rapide, der Ausstoß nimmt aber nur mäßig zu oder stagniert völlig. Selbst wenn ein weiterer Rezessionsschub verhindert werden kann, wird die Arbeitslosigkeit deshalb weiter steigen.
Arbeitslosigkeit und die Angst davor führen dazu, dass sich Haushalte mit ihren Konsumausgaben zurückhalten. Als einzige Hoffnung für eine weitere Stabilisierung der Konjunktur bleibt somit der Export. In Deutschland hat das Tradition. Dass US-Präsident Obama jüngst für eine amerikanische Exportoffensive geworben hat, sollte jedoch aufhorchen lassen.
USA auf Exportkurs
Nahezu drei Jahrzehnte waren die USA die internationale Konjunkturlokomotive. Dabei sind riesige Handels- und Leistungsbilanzdefizite entstanden, weil sich andere Länder mehr auf Exporte in die USA als auf das Wachstum der Binnennachfrage samt den damit verbundenen Importen aus den USA konzentriert haben.
Im Geiste David Ricardos klassischer Außenhandelstheorie erzogen, wiesen Ökonomen zwar immer wieder darauf hin, dass die US-Defizite dauerhaft nicht finanzierbar seien; den Geschäftsgeist praktizierender Kapitalisten und ihrer Regierungen hat dies jedoch wenig gestört. Die US-Bourgeoisie war froh, dass der Rest der Welt ihren subalternen Klassen kreditfinanzierte Konsumausgaben ermöglichte. Dadurch konnte sie auch über stagnierende oder sinkende Reallöhne hinwegtäuschen.
In anderen Ländern waren die Herrschenden hingegen bestrebt, durch Exportüberschüsse Arbeitsplätze zu erhalten, die, wären sie ausschließlich auf ihre Binnennachfrage angewiesen, längst dem Rotstift zum Opfer gefallen wären.
Eine Änderung dieses Arrangements würde den Druck auf den US-Arbeitsmarkt verringern und dürfte deshalb in Amerika Zustimmung finden. Vom kreditfinanzierten Konsum mussten sich viele Haushalte im Laufe der Finanzkrise ohnehin schon verabschieden. Weniger begeistert dürfte die Wall Street sein.
Immerhin machten die Defizite in der US-Leistungsbilanz einen permanenten, zur Finanzierung dieser Defizite notwendigen Kapitalzustrom erforderlich, der dem US-Finanzsektor Rekordumsätze und -gewinne eingebracht hat. Davon will sich Wall Street keinesfalls verabschieden.
Wenig Begeisterung wird, so sie denn tatsächlich kommt, eine amerikanische Exportoffensive auch in jenen Ländern auslösen, deren Wirtschaft an Außenhandelsüberschüsse gewöhnt sind, allen voran Deutschland, Japan und natürlich China. Politische Versuche, die Ungleichgewichte zwischen Überschuss- und Defizitländern auszugleichen werden, angesichts dieser Interessengegensätze zwischen einzelnen Staaten und Klassen innerhalb dieser Staaten nicht konfliktfrei ablaufen.
Solche Konflikte schaffen Unsicherheiten, die viele Investoren, denen der Rezessionsschock ohnehin noch in den Gliedern steckt, von langfristigen Investitionen abhalten werden. Eine Investitionskonjunktur wird somit von zwei Faktoren behindert: Überkapazitäten und Unsicherheit.
Insbesondere das Verhältnis zwischen den stagnierenden «Altmetropolen» und dem Aufsteiger China verursacht bei Investoren eine spannungsgeladene Mischung aus wilden Profitträumen und Ängsten vor einem Machtverlust des Westens.
Wettrennen mit China
Westliche Konsumenten begegnen der chinesischen Wirtschaft im Kaufhaus. Konsumgüter Made in China sind allgegenwärtig. Leser von Nachrichtenmagazinen wissen, dass diese Konsumgüterexporte eine ernstzunehmende Konkurrenz für den Exportweltmeister Deutschland darstellen. Deutsche Exporteure und ihre Kollegen aus anderen Ländern wissen mehr: China stellt, Leistungsbilanzüberschuss hin oder her, einen riesigen Absatzmarkt dar. Wachstumsraten um die 8% wecken Begehrlichkeiten.
Nach den Triebkräften und der Stabilität dieses Wachstums fragt der um Absatz ringende Exporteur nicht lange. Gelegentliche Warnungen in der Wirtschaftspresse, dass die Wachstumszentren entlang der chinesischen Küste einen spekulativen Immobilienboom erleben und einer Krise entgegengehen, werden allzu gern überlesen.
Dass der chinesische Wirtschaftsboom seit Jahren durch Investitionen angetrieben wird, zu denen deutsche Maschinenbauer einen Teil der «Hardware» liefern, wird erst recht verdrängt. Die Investitionen von heute sind schließlich die zusätzlichen Produktionskapazitäten von morgen. Nicht auszudenken, wie weit sich Angebot und Nachfrage auseinander entwickeln, wenn die Besitzer dieser neuen Anlagen einmal voll in das Rennen um die Kaufkraft einsteigen. Genauer sollte man vielleicht sagen: Das Rennen hat bereits begonnen.
Die Weltwirtschaftskrise 2008/09 ist auch an China nicht spurlos vorübergegangen und hat dort zu empfindlichen Exporteinbrüchen geführt. Auch der Aufsteiger China hat darauf mit staatlichen Konjunkturprogrammen reagiert. Dadurch konnte das Wachstum zumindest vorübergehend auf Vorkrisen-Niveau gebracht werden.
Ob die im Vergleich zu Nordamerika und Westeuropa traumhaften Wachstumsraten ausreichen, das durch Binnenwanderung stark wachsende Arbeitskräftepotential zu beschäftigen, ist zweifelhaft. Schon vor Ausbruch der Wirtschaftskrise begannen Unternehmen in China, den Aufbau zusätzlicher Anlagen mit der Einführung produktivitätssteigernder Technologien zu kombinieren. Jobless Growth – bislang ein Gespenst westlicher Gewerkschafter – ist auch hier angekommen.
Ende der Konjunkturprogramme?
Angesichts der akuten Krise im Winter 2008/09 einigten sich Politiker und Konzernchefs auf einen keynesianisch-monetaristischen Kompromiss: Steigende Staatsausgaben waren ebenso willkommen wie eine großzügige Geldversorgung und Steuersubventionen an den Bankensektor. Auf diese Weise konnten ein vollständiger Zusammenbruch der Konjunktur und die Entwertung von Finanzvermögen verhindert werden.
Jetzt geht der Streit um den Ausstieg aus der Krisenpolitik. Als hätte es weder Krise noch Staatshilfen gegeben, pochen die Finanzkapitalisten wieder auf neoliberale Prinzipien. Staatsschulden und Geldmenge würden sonst aus dem Ruder laufen, zu Inflation führen und die Investitionsneigung der Unternehmer untergraben.
Es drohe somit eine politisch verursachte Stagnation, die nur durch den energischen Tritt auf die Ausgaben- und Kreditbremse verhindert werden könne. Sie wissen sehr gut, dass ein solcher Schritt zu einer neuerlichen Rezession und dem sprunghaftem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird. Sie wissen aber auch, weshalb sie dies nicht in die Welt hinaus posaunen.
In seltener Übereinstimmung mit der Konjunkturforschung geben viele Politiker zu bedenken, dass sich die «selbsttragenden Aufschwungskräfte» noch nicht gegenüber den Rezessionstendenzen durchgesetzt haben. Wer genau hinhört, wird feststellen, dass die Überwindung der Krise damit an Banker und Unternehmer zurückverwiesen wird, sind es doch die Investitionsentscheidungen letzterer, die über Aufschwung, Stagnation oder Krise entscheiden.
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