40% stimmten auf der Delegiertenkonferenz für eine Linksregierung mit KKE und ANTARSYA
von Paul Michel
Die griechische «Koalition der radikalen Linken» (SYRIZA) rückte hierzulande ins mediale Scheinwerferlicht, als sie in zwei aufeinanderfolgenden Parlamentswahlen innerhalb von drei Jahren ihren Stimmenanteil von knapp 4,6% auf 26,9% steigerte und den Wahlsieg 2012 nur knapp verfehlte. Mit einem Mal schien eine linke Alternative zu den griechischen politischen Statthaltern der Troika und der von ihnen forcierten brutalen Sparpolitik zum Greifen nahe.
Seitdem haben sich viele Menschen SYRIZA angeschlossen, die sich keiner der das Bündnis bildenden Organisation zugehörig fühlen. SYRIZA hat daher beschlossen, von einem Organisationsbündnis zu einer Mitgliederorganisation zu werden. Die Neugründung von SYRIZA als Mitgliederorganisation soll im Frühjahr 2013 vollzogen werden.
Als erster Schritt auf diesem Weg fand vom 30.November bis 2.Dezember 2012 eine Delegiertenkonferenz von SYRIZA statt. Von ihren inzwischen rund 30.000 Mitgliedern nahmen 3000 als Delegierte an der Konferenz teil. Dort wurde ein Entwurf für eine politische Erklärung vorgestellt, der in den rund 500 Organisationseinheiten von SYRIZA diskutiert werden soll. Getragen wurde der Text von einer Plattform namens «Einheitsliste». In diesem Zusammenschluss findet sich die Mehrheitsströmung von Synaspismos, die auch die gegenwärtige SYRIZA-Spitze mit Alexis Tsipras stellt. Hinzu kommen die maoistische Kommunististische Organisation Griechenlands (KOE), die eurokommunistische AKOA, die libertäre «Gruppe der radikalen Linken» (ROZA) und einige Gruppen von übergetretenen PASOK-Mitgliedern.
Der Entwurf der «Einheitsliste» war sehr breit und in Teilen recht unbestimmt angelegt, was beim Spektrum des Trägerkreises nicht überrascht. Der «Linken Plattform», einem Zusammenschluss von SYRIZA-Linken, war er zu vage. Sie sehen die Gefahr, dass unverbindliche Allgemeinplätze im Mehrheitsentwurf das Tor öffnen für eine ohnehin bei SYRIZA feststellbare Tendenz: Je mehr eine Regierungsübernahme in greifbare Nähe rückt, desto stärker wird der Druck hin zu «moderateren» Positionen. Insbesondere aus der Führungscrew von Synaspismos, so die linken Kritiker, gebe es viele Anzeichen für einen Richtungsschwenk.
Nach Darstellung von Panos Petrou, einem führenden Mitglied der DEA, einer Organisation, die die «Linke Plattform» unterstützt, hat diese folgende Positionen gemeinsam:
SYRIZA muss eine «Linksregierung» anstreben und sucht für dieses Projekt die Zusammenarbeit mit der KKE und mit Antarsya.
SYRIZA muss eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien in einer möglichen Koalitionsregierung ablehnen.
SYRIZA muss unter allen Umständen für eine Abkehr von der Sparpolitik stehen und Arbeiterinteressen einen höheren Stellenwert einräumen als angeblich «realistischen» Vorschlägen, die den Anforderungen des Kapitals entgegenkommen.
Ein linker Pol
Auf der Delegiertenkonferenz gelang es der Führung von SYRIZA, eine offene Aussprache über die kontroversen Fragen abzubiegen. Die unterschiedlichen Standpunkte wurden nur bei der Abstimmung über Ergänzungen zum vorgeschlagenen Resolutionstext deutlich. Bei einer Abstimmung erhielt die «Einheitsliste» 75%, die «Linke Plattform» 25%.
Trotzdem schätzt Panos Petrou die Herausbildung der «linken Plattform» als wichtigen Schritt ein. Es sei gelungen, in SYRIZA das Recht auf offene Diskussion unterschiedlicher Positionen zu praktizieren – und das, obwohl es im Vorfeld durchaus andere Tendenzen gegeben hatte. Der «linken Plattform» sei es gelungen, unmissverständlich die Botschaft auszusenden, dass eine realpolitische «Mäßigung» der Positionen von SYRIZA auf ernsthaften Widerstand innerhalb der Partei treffen werde.
Diese Botschaft wurde an ganz verschiedene Ohren adressiert:
an jene Führungskader von Synaspismos, die eine realpolitische Mäßigung des SYRIZA-Programms im Sinn haben;
– an die Kräfte innerhalb der herrschenden Klasse, die auf eine «Zähmung» von SYRIZA setzen;
an die Adresse von KKE und ANTARSYA, denen gezeigt wird, dass es eine sichtbare, starke linke Opposition innerhalb von SYRIZA gegen eine wie auch immer geartete Rechtswende von SYRIZA gibt – die sie durch ihren Beitritt zu SYRIZA stärken könnten.
Der rechte Flügel ist nicht geschlossen
Die 25% für die Linke Plattform sind ein sehr guter Ausgangspunkt für die weitere Diskussion über den Kurs von SYRIZA, meint Panos Petrou. Man müsse berücksichtigen, dass die 75% für die «Einheitsliste» keinen homogenen Block bilden. Während die Linke Plattform das Bedürfnis nach einem sichtbar wahrnehmbaren linken Flügel von SYRIZA verkörpert, bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass die 75% für die «Einheitsliste» alle eine Unterstützung für den rechten Flügel wären.
Das Spektrum der Kräfte, die die «Einheitsliste» unterstützten, ist sehr breit. Es reicht von den gemäßigten Kräften, die das SYRIZA-Programm in Richtung «Realpolitik» verschieben wollen, über solche, für die der Anschein von Geschlossenheit und «Einheit» oberste Priorität hat, bis hin zu wirklich linken Kräften, die wohl geglaubt haben, die beste Art, SYRIZA voranzubringen, wäre, ihre Positionen im Rahmen der Mehrheitsplattform vorzutragen.
Die Verfechter der Mehrheitsposition nutzten das Bedürfnis an der Basis nach Einheit und nach einem positiven Signal von der Konferenz nach außen, um die «Linke Plattform» als «Spalter» zu denunzieren, die Kritik um der Kritik willen üben.
Dass die 75% für die «Einheitsliste» keinen geschlossenen rechten Block bilden, zeigte sich an der Abstimmung über Änderungsanträge. Zwei Änderungsvorschläge, die die «Linke Plattform» eingebracht hatte, wurden zwar abgewiesen, aber mit einer Unterstützung von deutlich über 25%. Der Antrag, eine «Linksregierung» mit der KKE und ANTARSYA anzustreben, bekam 40% der Stimmen. Ein anderer, der sich auf die Schuldenfrage und die Eurozone bezog, verfehlte nur knapp die Mehrheit – und das, obwohl es eine ziemlich aggressive Stimmungsmache gegen die «Spalter» gab. Panos Petrou geht davon aus, dass in wesentlichen Sachfragen die politische Unterstützung für die «Linke Plattform» weit über 25% hinausgeht.
Positive Bilanz
Insgesamt fällt für Panos Petrou die Bilanz der Delegiertenkonferenz positiv aus. Seiner Meinung nach ist die Zukunft von SYRIZA weiter offen. In einer stärker vereinheitlichten Organisation konnten einige grundlegende Regeln für das Zusammenwirken unterschiedlicher Strömungen und Tendenzen aufgestellt werden – insbesondere das Recht auf Kritik an der Leitung und das Recht, die unterschiedlichen politischen Positionen öffentlich zu diskutieren. Die «Linke Plattform» hat auf der Delegiertenkonferenz auch klargestellt, dass ein möglicher Rechtsschwenk von SYRIZA auf den Widerstand eines organisierten linken Gegenpols treffen wird.
Nun muss die auf der Konferenz begonnene Debatte in der Mitgliedschaft vor Ort fortgeführt werden. Diese Debatte wird vorrangig geprägt von den real existierenden sozialen Auseinandersetzungen und von der Rolle, die SYRIZA-Mitglieder in ihnen spielen:
«Der lebendige Geist der Widerstandsbewegung ist der wichtigste Verbündete, den wir in der Auseinandersetzung um den künftigen Weg von SYRIZA haben … Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, diese Kräfte zu organisieren, mit ihnen gemeinsam die sozialen Kämpfe zu führen und sie dahingehend zu koordinieren, dass sie eine politische Stimme haben. Das kann unser wichtigster Beitrag dazu sein, dass wir die Träume gewisser Medienzaren von einer SYRIZA, die sich künftig zu einem Kurs in Richtung Realpolitik läutert, zum Platzen bringen.»
Quelle: Panos Petrou: «Where is SYRIZA headed?», http://socialistworker.org/2012/12/19/
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