Von der Schutztruppe zum NATO-Einsatz
von Klaus Engert
George Bernard Shaw war ein kluger Mann und ein Pazifist. Was er zum Krieg vor beinahe hundert Jahren sagte, ist heute so wahr wie damals: «Es gehört zum Wesen des Krieges, dass seine wirklichen Gründe und Ziele nicht dem entsprechen, was als casus belli proklamiert wird.»
Deutsche Militärpräsenz in Afrika hat eine Geschichte mit Unterbrechungen: Die Schutztruppen und Polizeiverbände in den Kolonien Deutsch-Südwest-, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo wurden 1919 aufgelöst. Erst im sog. Afrikafeldzug von 1941 bis 1943 trat das deutsche Militär wieder auf den Plan – diesmal im Norden des Kontinents. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Übernahme der DDR durch die BRD war es vorwiegend erstere, die über Waffenlieferungen hinaus auch massive Ausbildungshilfe für Militärpersonal aus afrikanischen Staaten leistete, so u.a. für Libyen, Tansania und insbesondere Äthiopien. Allerdings wurde (teils verdeckte) Ausbildung auch von der Bundeswehr geleistet.
Der einzige tatsächliche Einsatz deutscher Truppen in Afrika, an dem, neben zahllosen anderen Staaten, BRD und DDR gleichzeitig beteiligt waren, war die «Unterstützungseinheit der Vereinten Nationen für die Übergangszeit», UNTAG, in Namibia 1988/89.
Erst seit der Wiedervereinigung gibt es auch wieder verstärkte physische Präsenz deutscher Truppen (sieht man einmal von einzelnen Katastropheneinsätzen wie z.B. nach dem Erdbeben von Agadir 1960 ab). Richtig los ging es mit dem Einsatz in Somalia 1993–1994, es folgten die Marinepräsenz am Horn von Afrika und eine Logistikbasis in Djibouti 2002–2010 im Rahmen des Irakkriegs. 2006 fand der Bundeswehreinsatz im Kongo (mit einer «Reserve» in Gabun) zum «Schutz der Wahlen» statt, mit immerhin bis zu 780 Soldaten. Dazu kamen verschiedene Unterstützungsleistungen für die UN und die Afrikanische Union (AU), etwa für die Versorgung der Truppen im Kongo 2003 oder Truppenverlegungen der AU in den Sudan 2004–2007.
Die derzeitigen Einsätze
Derzeit laufen eine ganze Reihe von Einsätzen in Afrika, an denen in der einen oder anderen Form die Bundeswehr beteiligt ist: Seit 2008 die UNAMID in Darfur/Sudan, seit dem gleichen Jahr die EUNAVFOR in Somalia, seit 2010 die EUTM Somalia, zunächst in Uganda angesiedelt, jetzt in Somalia, seit 2011 die UNMISS im Südsudan, seit 2012 die EUCAP Nestor vor Somalia, seit 2013 die MINURSO in der Westsahara. Der größte Einsatz findet aber seit 2013 in Mali statt. Dort sind es gleich drei unterschiedliche «Missionen»: Die Operation Serval, eine Intervention der französischen Armee mit Billigung der UN, sowie die UN-Missionen MINUSMA und die der Streitkräfteausbildung dienende EUTM Mali.
Alle diese verschiedenen Einsätze des deutschen Militärs weisen Gemeinsamkeiten auf:
–?es sind UN-Einsätze oder zumindest von der UN gebilligte;
–?die Bundeswehr leistet fast ausschließlich logistische Unterstützung oder bildet aus.
Auf den ersten Blick scheint es also, dass die deutschen Streitkräfte nur die Rolle spielen sollen, die ihnen die Bundesregierung in ihrem «Afrikakonzept» von 2017 zugedacht hat: Unterstützung und Ausbildung der afrikanischen Streitkräfte, damit diese die Drecksarbeit in Zukunft weitgehend selbst erledigen (können), wie in der jüngsten Vergangenheit bereits in Liberia, Sierra Leone, Lesotho, auf den Komoren, Guinea-Bissau und in Nordnigeria/Tschad, wo jeweils Truppen der AU bzw. der Regionalorganisationen im Einsatz waren. Bezahlt wurden diese Einsätze zum Teil aus EU-Mitteln, aber in einigen Fällen mussten wegen Erfolglosigkeit letztendlich doch die großen Brüder selbst zur Flinte greifen, wie Frankreich in Mali und Großbritannien in Sierra Leone.
NATO-Strategie
Nach den eher trüben Erfahrungen der ausländischen Mächte mit direkten Interventionen, z.B. in Somalia oder in Libyen, scheint die Strategie derzeit die einer «Afrikanisierung» der Konflikte zu sein. Aber das gilt (siehe Mali) immer nur so lange, wie das Ergebnis den Interessen der entsprechenden Paten entspricht. Und da wären wir wieder beim eingangs zitierten G.B.Shaw: Gewährleistet bleiben muss der Zugriff auf die Ressourcen des Kontinents, und da findet ein intensiver Wettlauf statt.
China zum Beispiel hat zum ersten Mal in seiner Geschichte Truppen nach Afrika entsandt, und zwar im Rahmen der o.g. UN-Mission in den Sudan, aus dem es den größten Teil seines Öls bezieht, und es verhandelt unabhängig davon über eine Militärbasis in Djibouti. Das ist angesichts der zunehmenden ökonomischen Dominanz Chinas in Afrika (siehe den obigen Artikel zur Ökonomie Afrikas) nur konsequent.
Deutschland allein ist derzeit aus mehrerlei Gründen nicht in der Lage, auf dem afrikanischen Kontinent als Militärmacht aufzutreten – auch wenn die Verteidigungsministerin emsig an einem Ausbau der Streitmächte arbeitet. Es setzt deshalb auf Kooperation, d.h. auf Militärbündnisse. Solange es keine eigene EU-Armee gibt, ist das konkret die NATO. Wie für die Zukunft geplant wird, zeigte sich 2015: Da fand eines der größten NATO-Manöver der letzten Jahrzehnte statt, genannt TRIDENT JUNCTURE. 36000 Soldaten aus mehr als 30 Ländern nahmen daran teil, 20000 davon in Spanien. Das fiktive sog. SOROTAN-Szenario bestand aus einem Konflikt um das Wasser zwischen den Staaten Kamon und Lakuta, gelegen in der unter Wüstenbildung leidenden Region Cerasia. Der Kommandeur dieses Manövers, der deutsche General Hans-Lothar Domröse, sagte dazu: «Es handelt sich um ein künstliches fiktives Szenario, das in SOROTAN stattfindet, und das ist so eine Art von Teilen Afrikas.»
Der Kontinent kann einem wirklich leid tun…