Radio Nordpol will linke Diskurse hör- und sichtbar machen
von Mr. Pinguin
Der Ausgangspunkt für Radio Nordpol war das schlagartige Auftauchen einer neuen Realität, eines Lebens mit dem Virus. Wir sind im Frühjahr 2020 mit dem Radio Nordpol gestartet, um während Corona für das Ruhrgebiet und NRW eine kritische Öffentlichkeit zu ermöglichen, damit in den Zeiten der Zwangspause der (Sub-)Kultur- und Politikbetrieb weiterhin agil bleibt. Deshalb haben wir dezentrale Aufnahmemöglichkeiten an die uns nahestehenden kritischen Milieus herangetragen.
Der anfängliche Schock, die Paranoia & Panik, sind mittlerweile einer trügerischen »neuen Normalität« gewichen. »Es geht um eine Hör- und Sichtbarmachung von linken Diskursen, Erfahrungen und Reflexionen, die ansonsten in ihren eigenen Bereichsöffentlichkeiten verblieben wären«, heißt es in unserem Selbstverständnis, »um einen lebendigen Möglichkeitsraum für kritische, pluralistische Debatten und wechselseitige, solidarische Bezugnahmen zu erhalten.« Schwerpunkte unseres Programms sind Antifaschismus, Antirassismus, Feminismus, Gesundheits- und Sozialpolitik, Kunst & Kultur sowie ein Kinderprogramm.
Begleitung im Handgemenge
Radio Nordpol begleitet soziale Bewegungen im Handgemenge zum Beispiel mit Liveberichterstattungen wie bei den Demonstrationen gegen das neue »Versammlungsgesetz« in NRW oder die Räumung von Lützerath. Seit Dezember 2023 berichten wir ausführlich über den Prozess gegen fünf Polizist:innen im Fall der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund. Am 8.August 2022 wurde der 16jährige Mouhamed Lamine Dramé von der Dortmunder Polizei mit einer Maschinenpistole erschossen.
Wir hören aus vielen Ecken der Bundesrepublik, dass die abolitionistische und antirassistische Bewegung unsere aktuellen Zusammenfassungen des Prozessgeschehens und die einordnenden Interviews mit dem Solidaritätskreis Mouhamed, dem Grundrechtekomitee, NSU Watch und vielen weiteren Akteuren mit großem Interesse verfolgt.
Jede Sendung ist damit Gegenöffentlichkeit und zugleich eine kontinuierliche Hörbarmachung der Diskussionen innerhalb der Bewegungen.
Eigene Medien schaffen
Unser Anspruch, eine autonome Infrastruktur aufzubauen, eigene Medien zu schaffen, steht in direkter Tradition der Freien Radios und ihrem Aufkommen in den 70er Jahren.
Wir bauen nicht mehr selbst illegale Radiosender, sondern haben es in Zeiten digitaler Medien etwas bequemer: Hardware und Software sind relativ günstig und relativ gut verfügbar. Sendelizenzen sind in NRW aufgrund der Struktur des Bürgerfunks weiterhin nicht zu bekommen – das Erbe dieser Hegemonie bürgerlicher Öffentlichkeit lebt bis in die Gegenwart nach.
Repression ist ebenso wenig verschwunden, wie gerade wieder die Kriminalisierung der Strukturen von Radio Dreyeckland zeigt. Im Januar 2023 wurden die Redaktionsräume und zwei Mitarbeiterwohnungen des alternativen Senders in Freiburg von Ermittlern durchsucht. Einem Redakteur wurde vorgeworfen, in einem Artikel über die vom Staat unterdrückte linke Plattform linksunten. indymedia das Archiv der Plattform verlinkt zu haben. Inzwischen endete der Prozess mit einem Freispruch für den Journalisten. Nichtsdestotrotz bleibt die Einordnung des Schauprozesses gegen Radio Dreyeckland vom linken Journalisten Matthias M. in der Zeitung Neues Deutschland treffend: »Vor dem Landgericht in Karlsruhe werden die Konturen eines Polizeistaats sichtbar, der linkem Journalismus Schranken setzen will.«
Jenseits der ›Filterblase‹
Die Bedingungen des Widerstands haben sich durch die radikale Veränderung der Situation bei den Medien sehr verschoben. Heute ist es relativ einfach möglich, dezentrale Aufnahme- und Sendeinfrastruktur selbst aufzubauen. Gleichzeitig sichern sich insbesondere digitale Medienplattformen Marktmacht mittels der Ideologie, jede:r könne selbst Produzent:in werden, einen eigenen Podcast, einen eigenen Videoblog vermarkten. Die alten Institutionen der bürgerlichen Öffentlichkeit, das lässt sich nicht mehr verschleiern, sind ziemlich abhängig von Massenmedien und Popkultur.
Wir wollen solidarische Perspektiven entwickeln und für die gemeinsame Suche nach einem Weg aus der Krisenverwaltung und dem Kapitalismus lokale und globale Prozesse zusammendenken.
Die vielleicht entscheidende Differenz zur Entstehungssituation der Freien Radios, die in den Widerstand gegen eine staatlich abgesicherte mediale Hegemonie treten mussten, ist die zeitgenössische unendliche Trennung von Öffentlichkeiten und damit einhergehend die weitere Abspaltung von Erfahrung, die mit der hilflosen und überstrapazierten Metapher der »Filterblase« beschrieben wird.
Als Radio Nordpol sind wir bei der Verbreitung der Beiträge ebenfalls noch auf Social-Media-Plattformen angewiesen, diskutieren aber kontinuierlich, wie eine Verringerung der Abhängigkeit bei der Verbreitung ermöglicht werden kann. Denn X, Instagram, Youtube versprechen zwar schnelle Teilöffentlichkeiten, jedoch ebenso schnelle Erschöpfung von Aufmerksamkeiten.
Über unsere vernetzten Produktionen hingegen gelingen Austausch und Diskussion zwischen uns Medienproduzent:innen und sozialen Bewegungen besser. Unseren Anspruch, dass der Schritt von der Zuhörer:in zur Produzent:in ein kleiner ist, indem wir eine offene Struktur bleiben und Interessierte zu eigenen Produktionen befähigen, wollen wir dabei kontinuierlich ausbauen.
Denn emanzipatorische soziale Bewegungen sind auch heute auf eine autonome Medienpolitik angewiesen, die nicht in den digitalmedialen Geschäftsmodellen von Tik Tok, Instagram und X vereinsamen will.
https://radio.nrdpl.org
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