Ein noch weitgehend uneingelöstes Bündnis
von Hermann Nehls
Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg. Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung. Hrsg. Ulrike Eifler. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2024. 183 S., 20 Euro
Wer eine Idee davon bekommen will, welche Rolle Gewerkschaften vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit einnehmen können, dem sei die Lektüre des Sammelbands der Rosa-Luxemburg-Stiftung empfohlen. Akteurinnen und Akteure der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung stellen ihre Beiträge zu inhaltlichen und strategischen Aspekten der aktuellen Herausforderungen der Friedensbewegung dar, zu der natürlich auch die Gewerkschaften gehören.
Der Band enthält 14 Beiträge der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der IG Metall Hanau-Fulda im Januar 2023 organisierten Konferenz »Gewerkschaften und Frieden«, die von ihrer Relevanz nichts eingebüßt haben, im Gegenteil. Sie diskutieren Ursachen und Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, den Zusammenhang zwischen sozialer Frage, Friedens- und Klimafragen und zwischen der zunehmenden Militarisierung und dem Erstarken der Rechten.
Der Band ist auch ein wichtiger Beitrag zur leider nur unzureichend geführten Diskussion über Krieg und Frieden in den Gewerkschaften. Andreas Zumach, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte und bis 2020 UN-Korrespondent der Taz, weist auf die Auswirkungen des Kriegs auf die ukrainische Bevölkerung hin. Und wenn es zu der befürchteten Explosion oder anderen Unfällen rund um das Atomkraftwerk von Saporischija kommt, wird das Folgen nicht nur für die ukrainische Zivilbevölkerung haben. Darüber hinaus weist er, wie viele andere Beiträge auch, auf die dramatische Erhöhung des Militärhaushalts in den Mitgliedstaaten von NATO und EU hin.
Ingar Solti diskutiert den Krieg in der Ukraine im Kontext der aktuellen Krise des Kapitalismus. Für Solti heißt das, wir müssen über den Kapitalismus sprechen, über das System, in dem Krieg zum Mittel der Fortsetzung der Politik wird. Er entwickelt ein sechsdimensionales Krisenmodell, das geeignet erscheint, nicht in einfache und verkürzte Erklärungsmuster des Ukrainekriegs zu verfallen.
Der Krieg um die Ukraine ist ein Kampf um globale Hegemonie zwischen imperialistischen Interessen, der auf dem Boden der Ukraine ausgetragen wird. So die These von Özlem Demirel – hier müsste ergänzt werden, dass es auch um massive materielle Interessen, vor allem im Hinblick auf wichtige Mineralien in der Ukraine geht.
Die Autorinnen und Autoren des Sammelbands lassen keinen Zweifel daran, dass der Einmarsch der russischen Truppen am 24.Februar 2022 ein Angriffskrieg war, der klar und deutlich verurteilt werden muss. Jeremy Corbyn, der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour Party, stellt klar: Die russische Invasion muss aufs schärfste verurteilt werden, nichts rechtfertigt diesen Krieg. Und die Menschen, die in ihm sterben, haben Besseres verdient. Valentina Orazini, die in der italienischen Gewerkschaft der Metallarbeiter:innen zuständig für Internationalismus ist, sieht Gewerkschaften in einer Schlüsselrolle, wenn es um Frieden geht: »Auch wenn es schwierig ist, diese Position konsequent zu vertreten, dürfen wir den Konflikt nicht scheuen, sondern müssen den Streit konstruktiv führen.« Sie kritisiert, dass der öffentliche Diskurs bellizistisch geworden und von Doppelstandards geprägt ist. Dazu zählt sie bspw. Doppelstandards gegenüber Geflüchteten. Solidarität dürfe nicht nur für ukrainische Geflüchtete gelten, auch aus dem Sudan, aus Libyen, aus dem Jemen und dem Iran fliehen Menschen, auch ihnen müssen wir unsere Solidarität zukommen lassen.
Der Band stellt für Gewerkschaften wichtige Zusammenhänge zwischen Kriegsgefahr und Verteilungsgerechtigkeit her. Gewerkschaften müssen sich gegen die sozialen Folgen des Krieges stellen. Inflation und steigende Preise haben auch zu einer tiefen Krise der Lebenshaltungskosten geführt. Valentina Orazini stellt heraus, wie wichtig es ist, den Kampf für industriepolitische Impulse, den Kampf für bezahlbare Mieten, Stromkosten oder Lebensmittel und den Kampf gegen die gigantische Aufrüstung miteinander zu verbinden. All das sind Kämpfe um Umverteilung, so Orazini.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat im Juni 2024 zusammen mit dem Ver.di-Bezirk Stuttgart eine weitere friedenspolitische Gewerkschaftskonferenz organisiert. Es ist zu hoffen, dass auch hierzu ein Band erscheint, der die Beiträge dokumentiert. Die Resonanz auf diese Konferenz zeigt, wie groß das Interesse ist, an den Wurzeln der friedenspolitischen Ausrichtung der Gewerkschaften festzuhalten.
Kriege können beendet werden. Allerdings brauchen wir dafür gesellschaftliche Gegenmacht. Gewerkschaften müssen sich ihrer Rolle besinnen und alles dafür tun, dass es gar nicht erst zu Kriegen kommt.
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