von Michael Heldt
Zwei Mobilisierungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten
Innerhalb weniger Tage haben Menschen in Deutschland versucht, eine linke Perspektive auf die kriegerischen Entwicklungen dieser Welt aufzuzeigen. Alle Beteiligten brannten für ihre Sache - dass diese Sache aber keine gemeinsame ist, wurde schmerzlich deutlich. Auf absehbare Zeit scheint sicher zu sein, das niemand um ihre Kriegsrofite fürchten zu muss.
Die Welt braucht es…
Wir leben in einer Zeit, in der selbst ehemalige Vaterlandsverräter:innen zu strammen Militarist:innen mutieren, in der der Kampf gegen „den Russen“ salonfähig und der Kampf gegen „den Islam“ ein Aushängeschild geworden ist, in der auch sonst besonnene kleinbürgerliche Intellektuelle von Feuereifer ergriffen werden, ihre Ersparnisse zur „Verteidigung des Abendlandes gegen die Barbarei“ in Rüstungsaktien anzulegen. Die deutsche Linke insgesamt kommt hier ebenso wenig auf einen gemeinsamen Nenner wie ihre einzelnen Formationen, Organisationen, Parteien und Bewegungen.
Jetzt gilt es …
Gleichzeitig spürt jeder, nicht nur die Organisierten, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben. Noch streiten die Genoss:innen, ob es in Richtung Faschismus, Atomtod, Flächenbrand oder Weltkrieg gehen soll - aber dieser Streit scheint mehr von sportlicher Begeisterung, getrieben von identitärem Selbstbezug, aber selten von einer nüchternen, materialistischen Analyse der Ereignisse, Dynamiken und Tendenzen getragen zu sein. Dabei ist klar: Es muss etwas geschehen.
Es gibt nichts Gutes…
Seit einigen Jahren basteln die alten Hasen der so genannten „alten Friedensbewegung“ und einige, die dazu gekommen sind, an einem jährlichen Höhepunkt: Am 3. Oktober wird in Berlin für den Frieden marschiert. Begrenzt und widersprüchlich, aber pünktlich - die Haltung der verschiedenen Fraktionen der deutschen Linken schwankt zwischen den Positionierungen, ein wohliges Gefühl des Miteinanders will sich angesichts der führenden und prägenden Medienpersönlichkeiten wie Wagenknecht oder im ersten Jahr auch Alice Schwarzer nicht so recht einstellen. Gemeinsam für das unbestreitbar Richtige auf der Straße gesehen zu werden, scheint notwendig, aber in dieser Gemengelage in der gesellschaftlichen Wirkung mäßig folgenreich.
In diesem Jahr war das etwas anders - z.B. haben sich im Gegensatz zu den Vorjahren Verbände der LINKEN an der Mobilisierung beteiligt, durften sogar sprechen, auch wenn sie in der Berichterstattung keine größere Beachtung fanden - wohl gerade weil eine einfache, klare und eindeutige Positionierung fehlte.
Komm mit, mach weiter…
Nicht nur an diesem Beispiel wird das Problem derer deutlich, die in der BRD gegen Aufrüstung und Militarisierung kämpfen wollen. Das ist kein neues Phänomen, die Antikriegsbewegungen der letzten Jahrzehnte waren immer ein Jahrmarkt der unterschiedlichsten Interpretationen, Ziele und Methoden - damit müssen wir leben. In dieser Bewegung einerseits bündnisfähig zu bleiben, aber gegen plumpen Pazifismus zu argumentieren, für das Selbstverteidigungsrecht der Arbeiter:innen, für ein Milizsystem im großen Maßstab, als Gegenentwurf zu imperialistischen und nationalistischen Armeen einzutreten, stößt hier momentan auf wenig Verständnis (siehe SoZ-Beitrag).
Es geht auch anders…
Eine ganz andere Art der Mobilisierung gegen Krieg und Vernichtung erlebten wir am 7. Oktober - dem Tag, der, egal wie er interpretiert wird, wohl als Anfang vom Ende der israelisch-zionistischen Besatzung in die Geschichtsbücher eingehen wird - oder als Beginn der Vernichtung der arabischen Identität in Westasien. Mit allen Licht- und Schattenseiten wird hier das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverteidigung gegen Kolonialismus und imperiale Großmachtträume verteidigt.Und auch hier gingen in der ganzen Republik tausende auf die Straßen und protestierten gegen Krieg, Waffenlieferungen und drohende Vernichtung.
Aber ganz anders hier, trotz der beachtlichen Beteiligung von Tausenden von Menschen, die es gewagt haben, an diesem Tag auf die Straße zu gehen, war das Spektrum der Haltungen, Hoffnungen und Perspektiven viel einheitlicher. Der Mut, sich dem herrschenden Narrativ von Staatsräson und bedingungsloser Liebe zu Israel, der Zuspitzung der Herrschenden im Land zu widersetzen, führt bei der großen Mehrheit derer, die es wagen, sich dagegen aufzulehnen, zu einer grundsätzlichen Einigkeit, von der die Antikriegsbewegung noch lange träumen wird. Wer es wagt, am 7. Oktober auf die Straße zu gehen, stellt sich parteiisch auf die Seite der Unterdrückten, spricht ihnen weder das Recht auf Widerstand gegen den Zionismus ab, noch glaubt er der Erzählung vom Kulturkampf der schillernden Zivilisation im Existenzkampf gegen die mittelalterlichen Barbaren.
Licht und Schatten
So sehr es der einen Bewegung an Klarheit fehlt, so sehr fehlt es der anderen an dem Willen zu einer politischen Strategie, die aus Gegner:innen Zweifler:innen, aus Zweiflern:innen Kritiker:innen aus Kritiker:innen Mitstreiter:innen werden lässt. Die Aufgaben der Linken liegen damit auf dem Tisch: realistische und rebellische Analysen, die überzeugen auf der einen Seite, eine Strategie, die die Situation nutzt und die Kräfteverhältnisse zu verschieben versteht, ohne die radikal andere Erzählung aufzugeben.
Was sich durchsetzt, was gewonnen, was verloren wird, hängt letztlich von der Fähigkeit ab, sich der radikal veränderten Welt zu stellen - egal, ob am Ende Faschismus, Atomtod oder Weltkrieg stehen - wir hätten verloren und es nicht verstanden, den Gegner in seinen schwachen Momenten, in denen er die Hüllen fallen lässt, zu schlagen.
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