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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2024

Frauen waren das Rückgrat eines historischen Arbeitskampfes
von Ayse Tekin

Vor 40 Jahren, vom 10. bis 20.Oktober 1984, besuchten Frauen der streikenden Bergleute aus England, Kay Sutcliffe und Marie Collins, Deutschland, um hier für Solidarität mit einem spektakulären Arbeitskampf zu werben. Auf zahlreichen Veranstaltungen wurde Geld gesammelt. In Köln bildete sich eine Unterstützergruppe für die Zeche Snowdown, die von dem Arbeitskreis »Frau und Arbeit« getragen wurde. Die Gruppe sammelte Geld und Geschenke, eine Delegation aus fünf Frauen brachte sie persönlich zur Weihnachtszeit nach Aylesham/Kent.

Der Streik der britischen Bergleute 1984/85 war das zweite große Aufbäumen gegen den Neoliberalismus und endete mit einer großen Niederlage. Er knüpfte an zwei große Streiks der englischen Bergleute an, während deren jeweils der nationale Notstand ausgerufen worden war: den Streik von 1972 (er dauerte sieben Wochen) und den von 1974 (er dauerte vier Wochen). Sie brachten eine Lohnerhöhung von 35 Prozent, nachdem die konservative Regierung abgewählt worden war.
Als im März des Jahres 1984 ein erneuter Streik anfing, war der vorhergehende Erfolg noch im kollektiven Gedächtnis. Diesmal waren die Fronten jedoch so hart, dass Premierministerin Thatcher »eher sterben« wollte »als Arthur Scargill und seine Bergarbeiter siegen zu sehen«. Und die Streikenden antworteten: »Wir sammeln für ihren Sarg!«
Der Kampf hatte Symbolcharakter. Die Regierung war vorbereitet: Die Kohlelager waren gefüllt, Öl als alternativer Brennstoff wurde forciert, vier Atomkraftwerke gingen vorzeitig ans Netz, Kohleimportverträge wurden mit den USA, Australien, der BRD und Polen abgeschlossen. In dieser Situation verkündete Ian McGregors, der Vorsitzende des National Coal Board, die Schließung von 25 »unrentablen Minen« und die Vernichtung von 25000 Arbeitsplätzen. Langfristig sollten alle Subventionen für den Kohleabbau in die Förderung von Nordseeöl und die Weiterentwicklung der Atomenergie umgelenkt werden.
Thatcher half diese lange Vorbereitung dennoch nicht, dafür jedoch der sogenannte »Falklandkrieg«. Die Premierministerin, deren neoliberale Revolution zu scheitern drohte, verwandelte sich durch den Militäreinsatz vor den argentinischen Malwinen von der unbeliebten Reformerin zu einer Volksheldin. Sie rief, davon angestachelt, »zum Sturm gegen den inneren Feind« auf, wie sie die Gewerkschaften bezeichnete. Beflügelt von der konservativen Boulevardpresse wollte sie mit den, wie sie sagte, zwei Erzübeln der britischen Wirtschaft aufräumen: den Staatsbetrieben und den Gewerkschaften.
Den Streikenden wurde die finanzielle Unterstützung beschnitten, die Sozialhilfe der Familienmitglieder der Streikenden um das »fiktive« Streikgeld gekürzt, Streikposten auf maximal sechs Personen beschränkt, Sympathiestreiks weitgehend verboten. Wenn Gewerkschaften dennoch zum Sympathiestreik aufrufen, kann ihr Vermögen seitdem beschlagnahmt werden. Mit einer »Reform« des Streikgesetzes wurde vor jedem Streik eine Urabstimmung zur Pflicht gemacht.
Da die Bergarbeiter kein Streikgeld erhielten und die Regierung die Sozialhilfe kürzte, hatten die Familien Schwierigkeiten, die Versorgung sicherzustellen.
Die Streikunterstützung durch die Frauen der Bergarbeiter war aber nicht nur wegen der Versorgung wichtig, sondern auch, weil sich damit ihre Position in der Familie, in der Gewerkschaft, in den Parteien und in der Gesellschaft änderte. Sie nahmen an Streikkomitees, Streikposten, Kundgebungen und Demonstrationen teil, hielten Reden und organisierten Aktivitäten zu den Anliegen der Frauen – z.B., um die sexistische Haltung der Bergarbeiter und ihrer Gewerkschaft zu bekämpfen. Die Solidarität mit anderen Kämpfen wie mit dem Frauenfriedenslager in Greenham Common gegen die Stationierung von Cruise Missiles, war auch ein Teil ihrer Aktivitäten.

Die Frauen der Bergarbeiter
Die Frauen bildeten das Rückgrat der ausharrenden Mehrheit. Sie versorgten die im Straßenkampf zusammengeschlagenen Männer, führten Suppenküchen, protestierten, wenn wegen unbezahlter Rechnungen Strom und Gas abgestellt werden sollten. Kaum eine Berufswelt des Industriezeitalters war so ausschließlich männlich geprägt wie der Bergbau und in der Folge die Gewerkschaft der Bergarbeiter, die NUM. Der Streik von 1984/85 brachte Frauen nun in einer so noch nicht dagewesenen Weise in eine sichtbare und relevante Rolle. Die traditionellen Geschlechterrollen veränderten sich rasant durch den Streik. Diskutiert wurde über die Einführung einer 4-Tage-Woche bzw. eine 28-Stunden-Woche. Die Frauen beschlossen, Kampagnen zu allen Fragen zu führen, besonders zum Frieden, zum Erhalt der Arbeitsplätze, Gesundheit und Bildung.
Nach einem halben Jahr Streik kamen mehrere Frauen der Bergarbeiter vom 10. bis 20.Oktober nach Deutschland, um praktische Solidarität zu organisieren. Kay Sutcliffe und Marie Collins haben in mehreren Orten für Solidarität geworben. Es wurde auf zahlreichen Veranstaltungen Geld gesammelt, das die Frauen mit nach Hause nahmen. In Köln hatte sich zu dieser Zeit bereits eine Unterstützergruppe für die Zeche Snow­down gebildet, die von dem Arbeitskreis »Frau und Arbeit« getragen wurde. Diese Gruppe sammelte für die Streikenden Geld und Geschenke, die eine Delegation aus fünf Frauen des Arbeitskreises persönlich zur Weihnachtszeit nach Aylesham/Kent brachte.

Solidarität
Die Solidarität im Land und aus dem Ausland war groß, reichte jedoch nicht aus. Die mächtige Stahlarbeitergewerkschaft verständigte sich mit der Regierung und war nicht zu Sympathiestreiks bereit. Als die Eisenbahnergewerkschaft in Solidarität mit den streikenden Bergleuten eigene Forderungen aufstellte und einen Ausstand vorbereitete und als solidarische Docker die Häfen des Landes lahmzulegen drohten, bewilligte die Regierung umstandslos alle Lohnerhöhungen. Auch der britische Gewerkschaftsdachverband TUC rief zu keinem Generalstreik auf.
Der Vorsitzende der Labour Party, Neil Kinnock, diffamierte auf dem Parteitag im Herbst die »Gewalt der Streikposten«. Nur die Linken in der Arbeiterbewegung, der Friedensbewegung, der Bewegung der Schwarzen sowie die der Lesben und Schwulen verteidigten die Streikenden. Die antimilitaristischen Frauen von Greenham Common leisteten starke Unterstützung. Dieser gesellschaftliche Druck fand im Endeffekt auch in der Labour Party und dort besonders unter den Frauen Widerhall, die Labour-Frauenkonferenz attackierte ihren Parteichef als Streikbrecher. Überall im Land mobilisierten sich hunderttausende Unterstützer:innen, doch das reichte nicht aus.
Auch im übrigen Europa war die Solidarität zu schwach. Der Vorsitzende der deutschen Bergbaugewerkschaft, Adolf Schmidt, sagte auf dem Gewerkschaftskongress im November 1984, »der Streik der britischen Bergleute wird nicht in Deutschland gewonnen«. Ein Antrag, den Kohleexport nach England zu stoppen, kam nicht durch. Andere Gewerkschaften blieben ebenfalls stumm. Solidaritätsaktionen wie die Kampagne »Ein Stundenlohn für die britischen Bergarbeiter« der IG Metall Köln und Hamburg und des DGB blieben Einzelfälle. Die IG Druck + Papier initiierte ein Solidaritätskomitee zusammen mit anderen Gewerkschafter:innen und Interessierten in Frankfurt. Sie sammelten Lebensmittel und Geld für die Streikenden.

Die Kapitulation
Anfang 1985 bröckelte die bis zu 170000 Bergleute umfassende Streikbewegung. Die ausgezehrten und verarmten Kumpel sahen keine Erfolgschance mehr. Die finanzielle Situation zwang viele Bergleute, in die Minen zurückzukehren. Mehr als 50 Prozent der Bergleute waren aus Not zu Streikbrechern geworden. Im März 1985 beschloss die NUM-Führung die Rückkehr zur Arbeit.
Der einjährige Streik hat viel von den Streikenden verlangt. Es gab 20000 Verletzte und drei Tote. Knapp 10000 Streikposten wurden verhaftet, 200 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Zwischen den zur Arbeit Bereiten und den Standhaften entstanden bittere Feindschaften, die die Gemeinschaften vergifteten.
Thatcher selbst bezeichnete in ihren Erinnerungen die Ereignisse als wichtigsten Sieg ihrer Politik. Der Streik von 1984 sei das »letzte Aufbäumen des alten Gewerkschaftssystems« gewesen, seitdem habe Großbritannien keinen bedeutenden Arbeitskampf mehr erlebt.
Heute hat England seine Wirtschaft von der Industrie auf Dienstleistungen und Finanzen umgepolt. Vom britischen Kohlebergbau ist nicht viel übriggeblieben. Die Kohle macht noch 2 Prozent der Energieversorgung des Landes aus. Der Bergbau ist verschwunden, die Gemeinschaften sind zerstört. In den Coal Valleys, die sich von Thatchers Krieg nie erholten, breitete sich die Armut aus.
Trotz der Niederlage ist der Bergarbeiterstreik als Moment der kollektiven Kraft im Gedächtnis geblieben. In diesem Jahr wurde die »Durham Miners Gala 2024« dem 40.Jahrestag des Streiks gewidmet. Auch hier wurden die Minen innerhalb eines Jahrzehnts nach dem Streik geschlossen.
Das Leben danach zeigt Ken Loach in seinem jüngsten Film, The Old Oak, mit bitterem Unterton. Er beginnt mit der Ankunft von Flüchtlingsfamilien aus Syrien in den früheren Bergbaugemeinden. Sie werden in die leeren Wohnungen einquartiert und von örtlichen Frauen mit Hilfsmitteln versorgt. Das sorgt bei anderen Bewohner:innen für Argwohn. Die im letzten offenen Pub (The Old Oak) trinkenden, ehemaligen Arbeiter monieren, dass man für sie nichts tue. Die ortsansässigen und die Flüchtlingsfrauen organisieren daraufhin eine Gemeinschaftstafel und schaffen damit einen neuen Gemeinschaftssinn.
Uns sagt dieses Beispiel, dass der Kampf um Arbeitsplätze auch ein Kampf um die Umwandlung der Produktion in einer umwelt- und menschenfreundlichen Gesellschaft sein muss.

Quellen: Britische Kumpel und ihre Frauen im Kampf. Frankfurt a.M. (isp) 1985; Was tun. Sozialistische Zeitung, Nr.389, 13.9.1984; Nr.394, 23.11.1984; Nr.396, 20.12.1984.

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