Wie man es dreht und wendet – das E-Auto ist nicht grün
von Heidemarie Schroeder
Die deutsche Automobilindustrie steckt in der Krise. Der Absatz insbesondere für batterieelektrische Automobile ist in der jüngsten Vergangenheit stark eingebrochen. Der Autokonzern Volkswagen will, um Kosten zu sparen, die über Jahrzehnte bestehende Beschäftigungsgarantie für seine Beschäftigten kündigen, gar von Werksschließungen ist die Rede.
Um die Probleme und mögliche Maßnahmen zur Ankurbelung der Nachfrage insbesondere nach BEV (Batterieelektrischen Fahrzeugen) zu erörtern, lud Wirtschaftsminister Habeck Vertreter der Autobranche wie auch der Industriegewerkschaft Metall zu einem virtuellen Autogipfel am 24.September ein. Im Anschluss erklärte er, die Politik wolle »klare verlässliche Signale für den Markt« setzen. Als solche sieht er neben den bereits bestehenden noch weitere Steuervergünstigungen und Anreize durch ein Bonus-Malus-System, das konventionelle Fahrzeuge benachteiligen und BEV weiter bevorzugen soll.
Die geplanten Maßnahmen haben zwei Ziele: Zum einen sollen sie durch die Ankurbelung der Nachfrage nach BEV die Umsätze der Autohersteller erhöhen und damit die Arbeitsplätze in der Autobranche sichern. Zum anderen sollen sie die Transformation des Verkehrssektors weg von fossilen Energieträgern beschleunigen und damit den Klimawandel ausbremsen.
Da der Erhalt von Arbeitsplätzen aber kein Selbstzweck sein kann, sollte das Produkt, nämlich das batteriegetriebene Elektroauto, seinen Zweck, nämlich den des Klimaschutzes durch die Einsparung von Treibhausgasen, dringend erfüllen. Und? Tut es dies? Leider kann diese Frage nur mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden, und dies aus zwei Gründen:
Der eine Grund ist, dass eine CO2-Ersparnis durch BEV nur dann zustande kommt, wenn nicht nur der laufende Fahrzeugbetrieb, sondern auch die Erzeugung der Autobatterie und das Recycling bzw. die Entsorgung der Fahrzeugbestandteile insgesamt positiv bilanziert werden. Dies ist nicht der Fall.
Der zweite Grund ist, dass der Umstieg auf den Elektroantrieb tragischerweise die Entwicklung zu kleinen und sparsamen Autos, wie sie vor einigen Jahrzehnten begonnen hatte – Stichwort 3-Liter-Auto – total ausgebremst und in ihr Gegenteil verkehrt hat.
›E‹ für SUVs, nicht für Smarts
Schauen wir uns beide Entwicklungen etwas genauer an. In den vergangenen zwei Jahrzehnten (2000–2022) ist der Anteil von SUVs bei Neukäufen von nur 3 Prozent auf 50 Prozent gestiegen. Während Stadtgeländewagen unter den Verbrennern zunehmend eine moralische Ächtung erfuhren, sind sie durch den bloßen Antriebswechsel wieder hoffähig geworden. Der Reichweitenangst, die ein Argument gegen die Anschaffung eines E-Autos sein könnte, wird durch den Einbau immer leistungsstärkerer Batterien begegnet.
Batterien mit einer Leistung von 100 und mehr Kilowattstunden wiegen um die 600 Kilogramm und benötigen viel Platz. Um dem zu genügen, müssen die Radabstände vergrößert werden, was eine proportionale Anpassung aller anderen Fahrzeugmaße zur Folge hat. Aus Sicherheitsgründen verlangen die Batterien eine starke Ummantelung, was die Fahrzeuge wuchtiger werden lässt.
Die Hitliste der meist verkauften E-Autos wird von solchen großen Fahrzeugtypen angeführt: Nach dem Tesla 3 folgen der Volvo XC 40, der Audi Q4 e-tron und der Škoda Enyaq. Sie alle wiegen zwei Tonnen und mehr.
Nun könnte man meinen, Kunden, die einen Bogen um diese Fettwanste machen, besonders dann, wenn sie das E-Auto nur zur Bewältigung kurzer Strecken und als Zweit- oder Drittwagen nutzen, könnte E-Autos mit kürzerer Reichweite und kleineren, leichteren Batterien bevorzugen. Versucht man jedoch, batterieelektrische Kleinwagen zu erwerben, sind sie entweder aktuell gerade nicht lieferbar oder ihre Produktion wurde gänzlich eingestellt. Der VW e-up, der BMW i3, die A-Klasse von Daimler, der Smart Fortwo, der Mitsubishi i-MiEV, der Seat Mii Electric, der Škoda Citigo und neuerdings auch das kleinste E-Modell der Firma Honda: Sie alle sind vom Markt verschwunden.
Der Grund dafür ist, dass sich mit ihnen bei den hohen Entwicklungskosten kaum Gewinn erzielen lässt und sie daher aus dem Portefeuille der Hersteller gestrichen wurden. Elektro-SUVs verstopfen aber genau wie große Verbrenner unsere Städte, sie beanspruchen ebenso viel Parkraum, der Abrieb ihrer breiten Reifen erzeugt sogar besonders viel Feinstaub, auch wenn er zu Null »gerechnet« wird, und sie gefährden, besonders weil sie geräuschlos daherkommen, nicht weniger als Verbrenner-SUVs andere Verkehrsteilnehmer.
Der Kasseler Verkehrsforscher Helmut Holzapfel warnte jüngst vor den Folgen des Größenrauschs für die Verkehrsinfrastruktur: Ein zwei Tonnen schwerer Pkw verursacht auf dem Asphalt etwa 16mal soviel Schäden wie ein Fahrzeug, das nur eine Tonne wiegt.
So viel zu dem reinen Größenproblem, das durch die Antriebswende nicht kleiner, sondern größer geworden ist.
Der Rucksack ist zu groß
Das zweite Problem betrifft das gänzliche Verfehlen einer Ersparnis von CO2, welche ja die eigentliche Daseinsberechtigung der E-Autos ist. Bevor ein E-Auto seine Jungfernfahrt antritt, wurden für die Produktion seiner Batterie grosse Energiemengen sowohl in Form von Öl und Gas als auch von Strom verbraucht. Zu etwa der Hälfte sind fossile Brennstoffe für den Bergbau, die Extraktion, die Zerkleinerung und die Konditionierung der Ausgangsstoffe mit hohen Temperaturen von teilweise über 1000 Grad erforderlich, zur anderen Hälfte Strom für die Hightechprozesse sowie für Wärme und die Trocknung der Produktionsräume.
Um während des Fahrbetriebes, der beim Stromer um etwa ein Drittel weniger CO2 erzeugt als ein Verbrenner, den »ökologischen Rucksack« in Form von Treibhausgasen, den die Batterieproduktion gefüllt hat, möglichst schnell zu leeren, ist es essentiell, dass der verwendete Strom aus Erneuerbaren Energien stammt. Handelt es sich zu 100 Prozent um Solarstrom, ist die CO2-Last nach 65000 Fahrkilometern abgetragen. Verwendet man den heute in Deutschland anzutreffenden Strommix, erreicht man den CO2-Nullpunkt erst nach 90000 Kilometern. Aktuell werden die Batterien für E-Autos jedoch in China produziert – im Jahr 2023 zu 73 Prozent – wo der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung im gleichen Jahr weniger als ein Drittel, nämlich 28,7 Prozent betrug. Damit braucht es 200000 Fahrkilometer, ehe die bei der Batterieproduktion angefallenen Treibhausgase durch die ökologischere Fahrweise kompensiert worden sind.
Eine solche Strecke wird nach durchschnittlich fünfzehn Jahren eines Fahrzeuglebens erreicht. Laut Statistik des Fahrzeugbundesamtes erreichen nur etwa 12 Prozent der Fahrzeuge ein Lebensalter von 15 bis 19 Jahren, noch älter ist kaum ein Auto. Das Gros der Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen ist zwischen fünf und neun Jahre alt. Eine etwa gleiche Lebensdauer vorausgesetzt bedeutet dies, dass nur weniger als ein Fünftel der E-Autos so lange gefahren wird, dass ein Wechsel auf die klimanützliche Überholspur stattfindet kann.
Die meisten Hersteller geben für die Batterien ihrer E-Autos eine Lebensdauergarantie von 160000 gefahrenen Kilometern. Wenn dann eine neue Batterie gekauft werden muss, liegt noch CO2 im Rucksack der alten, bevor dem Fahrzeug mit der neuen Batterie auch ein neuer CO2-Rucksack übergestülpt wird.
Das Wort der Ingenieure
Wie kommt es nun, dass die Forderung der Politik nach E-Autos und deren massive steuerliche Förderung diese pessimistischen Zahlen einfach ausblendet? Die Ursache hierfür bildet eine faustdicke Lüge, oder nennen wir es eine unerlaubte Schönfärberei.
Die erstmalige Berücksichtigung der CO2-Last, die während der Batterieproduktion anfällt, führte im Jahr 2017 das renommierte Schwedische Umweltinstitut IVL durch und kam dabei auf die 200000 Fahrkilometer, die gefahren werden müssen, um mit der Einsparung des ersten CO2-Moleküls zu beginnen. Die Vorstellung dieser Werte geschah auf dem Nachhaltigkeitsdialog des Autoherstellers Mercedes-Benz im November 2017. Alle Welt ging damals davon aus, dass damit das Todesglöckchen der E-Mobilität geschlagen hätte.
Nach nur eineinhalb Jahren revidierte das IVL seine Werte jedoch und die E-Auto-Branche konnte aufatmen. Die Schweden hätten sich verrechnet, wurde schadenfroh verkündet. Wirklich? Mitnichten! Sie hatten nur völlig unbegründet eine Annahme verändert, nämlich die, dass auch in China Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen würde. Leicht schamhaft wurde angefügt: »…which is not common yet, but likely will be in the future«. Bis heute ist in China diese Zukunft nicht angebrochen.
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), der im Dezember 2023 eine komplexe Studie mit dem Titel »Wann wird Autofahren grün?« vorlegte, bestätigt, dass E-Auto-Fahren erst dann grün werden kann, wenn auch die Batterien grün produziert werden, was aus Kostengründen aber in absehbarer Zeit nicht erfolgen wird. Der Verband, der über 130.000 Ingenieure und Naturwissenschaftler zu seinen Mitgliedern zählt, beschäftigt sich in seiner Initiative »Zukunft Deutschland 2050« damit, wie sich die Deutsche Industrie in den kommenden Jahrzehnten sowohl klimafreundlich, als auch profitabel aufstellen kann. Der VDI behauptet von sich, dazu besser in der Lage zu sein, als Politik und Parteien und auch als die Vorstände großer Unternehmen. Erstere dächten nur in Legislaturperioden, die Gehälter letzterer aber sind zu 80 Prozent an kurzfristige wirtschaftliche Erfolge der Unternehmen gebunden. Also nicht daran, wie Deutschlands Industrie im Jahre 2050 aufgestellt sein wird.
Die Autorin ist Mitglied der Bürgerinitiative Grünheide und der Wassertafel Berlin Brandenburg sowie der Grünen Liga und des Vereins für Natur und Landschaft in Brandenburg.
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