Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

Warum eigentlich nicht und warum nicht sofort?
von David Stein

Der Gruppenantrag im Bundestag ist kein politischer Fehler, meint David Stein
Der nachstehende Beitrag ist eine Replik auf den Kommentar von ­Angela Klein in SoZ 11/24

Der Diskussion um ein AfD-Verbotsverfahren sollen nun Taten folgen. Immer mehr Bundestagsabgeordnete, darunter Abgeordnete der Linken, unterstützen einen Gruppenantrag, der die Prüfung eines solchen Verfahrens vorsieht. Die Führung von CDU/CSU und SPD sind dagegen. Sie befürchten noch mehr Wählerunterstützung für die AfD und dürften die Illusion haben, AfD-Wähler durch ihren strammen Rechtskurs und weitere politische Anbiederung an AfD-Positionen wieder auf ihre Seite zu ziehen. Ein Trugschluss: Wer bei Themen wie Migration und Innere Sicherheit nur die Wahl zwischen Original und Kopie hat, bleibt beim Original.
Es ist kein politischer Fehler, dass die Linke nicht erst auf ihrem Parteitag im Oktober in Halle ein Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht gefordert hat und die Mehrheit der Abgeordneten nun den Gruppenantrag unterstützt.
Kritik an der Verbotsforderung kommt u.a. von der radikalen Linken (vgl. SoZ 11/2024). Die Unterstützung der Verbotsforderung bedeutet jedoch weder die Abkehr von radikaler Politik, auch gegen rechts, noch schürt sie Illusionen in den bürgerlichen Staat und seiner im Grundgesetz normierten Rechtsform.

Kampf gegen Rechtsextremismus nicht überflüssig
Die Forderung nach einem Parteiverbot wäre nur falsch, wenn jemand glaubt, dass Institutionen der dritten Gewalt und das Gewaltmonopol des Staates ausreichten, ein Erstarken des Rechtsextremismus zu verhindern und damit Massenbewegungen gegen den Neofaschismus obsolet oder gar schädlich wären. Auf das bloße Verbot der AfD und ein strafrechtliches Vorgehen gegen militante Nazis sollte man sich in der Tat nicht verlassen.
Fakt ist jedoch: Hätte dieser Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg (ohne auf das Verbot in einem langwierigen Verfahren jahrelang warten zu müssen), wären die Konsequenzen für die AfD und damit für den parteiförmigen Rechtsextremismus einschneidend. Das belegen die beiden Parteiverbote von 1952 und 1956. Ihre Strukturen würden aufgelöst, das Parteivermögen eingezogen und die Partei verlöre die Mandate in den Parlamenten. Die Gründung von Ersatzorganisationen wäre verboten und strafbar; Nachfolgeorganisationen im Parteiengewand lassen sich nicht so einfach von heute auf morgen aus dem Boden stampfen. Auch die personelle und inhaltliche Vernetzung von AfD und militanten faschistischen Frontorganisationen wie die Jungen Alternativen oder Neonazi-Terrorgruppen wie die Sächsischen Separatisten wäre empfindlich gestört, wenn das legale Deckmäntelchen des grundgesetzlichen Parteienprivilegs wegbrechen würde.
Bliebe das Verfahren aber ohne Erfolg und der legale Anstrich erhalten, ist nicht ersichtlich, warum sich hierdurch die Bedingungen und Strategien des Kampfes gegen den parteiförmigen Rechtsextremismus verschlechtern würden oder einer Kursänderung bedürften – auch wenn die AfD dies temporär als Sieg und als Reinwaschung durch das höchste deutsche Gericht verkaufen könnte.

Die Bewegung allein ist nicht stark genug
Niemand, der bei politischem Verstand ist, würde behaupten, dass ein Verbotsverfahren ein Allheilmittel gegen rechts ist. Gerade dann, wenn sich die Politik der Koalition und der CDU/CSU in Deutschland, die die Wähler in die Arme der AfD treibt, nicht ändert, Zukunftsängste im krisengeplagten Kapitalismus und die Angst vor dem sozialen Absturz als Massenphänomen weiterbestehen. Es bestreitet auch niemand, dass in erster Linie eine selbstbewusste Massenbewegung in allen gesellschaftlichen Bereichen nötig ist, dem Rechtsruck in toto erfolgreich zu begegnen und dem weiteren Erstarken der AfD in- und außerhalb der Parlamente und Institutionen Einhalt zu bieten. Man sollte aber nicht so tun, als ob diese Massenbewegung, die Anfang des Jahres noch Hunderttausende für kurze Zeit auf die Straße gebracht hat, gegenwärtig vorhanden sei.
Traurige Wahrheit ist trotz der berechtigten Anprangerung der Politik der »bürgerlichen Mitte« gegenüber der AfD und des Schleifens von Brandmauern gegenüber dieser Partei wie in Sachsen und Thüringen, dass es in erster Linie an einem linken emanzipativen Pol in relevanter Zahl und Qualität fehlt. Ein Verbotsverfahren hindert oder schmälert nicht die Notwendigkeit, dass sich ein solcher Pol bildet, der tatsächlich das Etikett »Alternative« zur Krisenpolitik der »bürgerlichen Mitte« verdient und glaubwürdige und konkrete Schritte in Abkehr vom krisenhaften Kapitalismus aufzeigen kann.
So ehrlich sollte die radikale Linke schon sein: Ein Verbot bzw. bereits die formelle Einleitung eines solchen Verfahrens nimmt Druck aus dem Kessel sich ständig verfestigender Macht- und ideologischen Einflussstrukturen des parteiförmigen Rechtsradikalismus, damit sich dieser alternative Pol überhaupt bilden und die derzeit dominierende »kulturelle Hegemonie« des Autoritarismus und Rechtsradikalismus aufbrechen kann.
Die Rechte versteht es mit ihren Krisenerklärungen perfekt es so einzurichten, dass sich die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen nicht gegen die tatsächlich Machtstrukturen richtet, sondern sich als Hass gegen das Nichtvölkische Bahn bricht, gegen Migranten, Feministinnen, Fridays for Future etc. Dem hat die radikale Linke bisher wenig entgegenzusetzen.

Kampf um Verfassungspositionen ist unverzichtbar
Auch ein (unterstellter) naiver Bezug der Unterstützer:innen der Verbotsforderung auf das Grundgesetz, die dort angesprochenen staatlichen Institutionen und normierten Rechte ist mit einem solchen Vorstoß nicht verbunden.
Richtig ist, dass die deutsche Verfassung bisweilen in das höhere Wesen der Zehn Gebote eingeordnet wird. Gerade jetzt zu ihrem 75jährigen Bestehen. Seither wurde aber oft genug am Grundgesetz herumgeschraubt, angefangen von den Notstandsgesetzen bis zur Schuldenbremse. In seinem Kern unterscheidet sich das Grundgesetz nicht zentral von Verfassungen unserer Nachbarländer, obwohl der Grundrechtsschutz in Deutschland verfahrensmäßig besser unterfüttert ist.
Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass die westlichen Besatzungsmächte und nicht der Souverän die Weichenstellungen für das Grundgesetz vorgaben. Mit den »Frankfurter Dokumenten« beauftragten sie die westdeutschen Ministerpräsidenten im März 1948, eine verfassungsgebende Versammlung zur Konstituierung eines Weststaats einzuberufen. Institutionalisierte Fragen, am Rande auch das Parteienverbot in Reaktion auf die Schwächen der Weimarer Verfassung, standen dabei im Vordergrund, Grundrechte erst zu einem viel späteren Zeitpunkt.
Der leider in Vergessenheit geratene linke Politikwissenschaftler und Antifaschist Wolfgang Abendroth ist nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass Verfassungsrechte und bürgerliches Recht in toto keine Ewigkeitsgarantie besitzen und einen ständigen Kampf der Arbeiterbewegung und sonstiger sozialer Bewegungen um Rechts- und Verfahrensregeln voraussetzen, weil für radikale Politik die jeweiligen Kräfteverhältnisse entscheidend sind.
Der Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, ja, selbst die Rechte der einzelnen Abgeordneten sind nämlich weder gottgegeben noch statisch für alle Zeiten mit Ewigkeitsgarantie institutionalisiert. Verfassungsrechte und deren Auslegung unterliegen immer einem sozialen Wandel. Dies gilt auch für den Inhalt der im Grundgesetz nicht näher definierten »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« (FDGO), die im Kalten Krieg im KPD-Verbotsurteil oder durch Berufsverbote Anfang der 70er Jahre als Kampfbegriff gegen links dem Grundgesetz übergestülpt worden ist.
Heute argumentiert das Bundesverfassungsgericht, etwa im ersten NPD-Verbotsverfahren, auf Grundlage der Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei den Inhalten der FDGO und des Demokratieprinzips anders und stellt zentral auf die Garantie der Menschenwürde ab.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hängen von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Es gibt nur so viel emanzipierte Verfassungswirklichkeit und Rechtsstaatlichkeit, wie sie ihre Verteidiger erkämpfen. Auch durch den Kampf gegen einen von der AfD angestrebten autoritären Ordnungsstaat mit einer Exekutive, die ohne rechtliche Rahmenbedingungen und Zwänge frei agieren kann. Alle sozialen Bewegungen, die von ihr zum Volksfeind erklärt werden, sind trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung im Visier der AfD.
Grundrechte dürfen nicht dazu genutzt werden, um die Grundrechte anderer zu bekämpfen bzw. überhaupt jeden Grundrechtsschutz auszuhebeln. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar – nicht nur die Würde derer, denen die AfD diese einräumt.
»Soziale Bewegungen bringen auch das Recht in Bewegung«, fasste 2022 die Politologin Carolina Vestena ihre Analyse der Urteile des portugiesischen Verfassungsgerichts zutreffend zusammen; sie tragen deutlich die Spuren der Antiausteritätsproteste seit 2010. Das ist ein nicht unwichtiger Fortschritt; auch wenn die Proteste es nicht vermochten, den Charakter des bürgerlichen Rechts als Stabilisator der Eigentums- und Herrschaftsordnung auf den Kopf zu stellen.

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