Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2025

Die deutsche Autoindustrie hat viel zu lange auf ›sauberen Diesel‹ gesetzt
von Klaus Meier

Die deutsche Automobilindustrie steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Kleine Zulieferer melden fast im Wochenrhythmus Insolvenz an. Auch VW oder Ford kündigen Massenentlassungen und Werksschließungen an.

Wie konnte es soweit kommen? Am Anfang standen Überheblichkeit und Arroganz. Als chinesische und koreanische Ingenieure Anfang der 2000er Jahre begannen, Elektroautos zu entwickeln, lachten die deutschen Autobosse.

Stattdessen »verdieselten« sie ihre Fahrzeugflotten und verbreiteten das Märchen vom sauberen Diesel. VW bastelte dazu die passende Betrugssoftware.
Unterdessen rollte der Zug unaufhaltsam in Richtung Elektroauto. Die deutschen Hersteller haben sehr spät versucht, auf den Zug aufzuspringen. Doch ihre schnell gebauten E-Autos sind fettleibig und völlig überteuert. Im Vergleich dazu haben chinesische Elektroautos inzwischen einen technologischen Vorsprung von mehr als einer Generation. Die Zukunft der deutschen Autoindustrie sieht dagegen düster aus.

Batterieprojekte enden im Desaster
Insbesondere bei der Batterieentwicklung haben VW, Mercedes oder BMW buchstäblich nichts zu bieten. Sie macht aber bei E-Autos mit rund 40 Prozent einen erheblichen Teil der Wertschöpfung aus und schlägt damit voll auf die Marge durch. Im Vergleich dazu haben chinesische Autokonzerne sehr früh eine eigene Batterieproduktion aufgebaut.
Die europäischen Autokonzerne haben bisher versucht, dieses Defizit mit aus dem Boden gestampften Projekten auszugleichen. VW wollte ohne eigenes Knowhow gleich eine ganze Batteriefabrik in Salzgitter aufbauen, betrieben vom eigenen Unternehmen PowerCo, dazu sollten zwei weitere Batteriefabriken in Kanada und Spanien kommen.
In Salzgitter ließ VW eine Produktionslinie des kleineren chinesischen Batterieherstellers Gotion eins zu eins kopieren. Die dafür notwendigen Produktionsmaschinen wurden beim chinesischen Weltmarktführer Wuxi Lead eingekauft. Doch das Hochfahren der Anlage erweist sich als äußerst schwierig. Eine Vielzahl elektrischer, chemischer und mechanischer Parameter muss richtig eingestellt werden, damit die Anlage läuft. Und das erweist sich als eine komplexe Hochtechnologie, für die viele erfahrene und hochqualifizierte Beschäftigte benötigt werden.
Die hat VW auf absehbare Zeit nicht. Stattdessen arbeiten Hunderte von Fachkräften von Wuxi Lead und Gotion daran, die Bänder in Salzgitter zum Laufen zu bringen. Ein VW-Manager sagte dem Manager-Magazin, dass »ohne Chinesen … heute kein Werk in Europa mehr hochgefahren werden kann«.
Doch einfaches Kopieren löst das Problem nicht: Die Batterietechnologie entwickelt sich so schnell, dass selbst eine kopierte Produktionslinie ohne technische Anpassungen in kürzester Zeit veraltet ist und auch nicht gewartet werden kann. Ohne eigenes technologisches Knowhow geht das nicht. Im September teilte VW dann kleinlaut mit, dass in Salzgitter nur noch eine statt zwei Produktionslinien gebaut werden sollen. Ein Armutszeugnis.
Doch VW glaubte, noch einen Trumpf im Ärmel zu haben: die schwedische Batteriefirma Northvolt. Dessen eloquenter Gründer Peter Carlsson versprach allen, die es hören wollten, die Entwicklung einer europäischen Batterietechnologie auf höchstem Niveau. VW stieg mit 21 Prozent und 1,4 Milliarden Euro ein. Die Wolfsburger maßen dem Unternehmen enorme Bedeutung zu. Das Manager-Magazin zitierte einen VW-Manager: »Wir brauchen Northvolt allein schon, um eine starke Autoindustrie in Deutschland zu behalten.«
Die Batterien, die die Schweden produzierten, waren jedoch zum großen Teil Ausschuss. Selbst ein Northvolt-Manager räumte ein, dass das Unternehmen technologisch mindestens ein Jahrzehnt hinter der chinesischen Konkurrenz liege. Ende November meldete Northvolt Insolvenz an. Doch nicht nur VW, auch alle anderen europäischen Autokonzerne haben sich inzwischen an der Batterietechnik die Zähne ausgebissen.

Digitalisierung verschlafen
VW hat eine weitere offene Baustelle: Der Konzern hat die Digitalisierung und Zentralisierung der Fahrzeugsteuerung völlig verschlafen. Bislang setzen die Wolfsburger auf eine veraltete Softwarearchitektur mit verstreuten Steuergeräten im Fahrzeug. Deren Anpassung und Wartung ist teuer, ein Softwareupdate »over the air« nicht möglich.
Die Entwicklung einer modernen VW-eigenen Steuerung wurde 2020 dem neu gegründeten Softwareunternehmen Cariad mit 6000 Beschäftigten übertragen. Doch alle Softwarearbeiten waren fehlerbehaftet und wurden immer wieder verspätet ausgeliefert.
Diese Entwicklungsstrategie gilt heute als völlig gescheitert und war einer der Gründe für die Ablösung von Herbert Diess als VW-Chef. Die Lage wurde immer aussichtsloser, da die chinesischen Hersteller und auch Tesla einen technologischen Vorsprung von mehreren Jahren haben.
Um eine völlige technologische Abkoppelung zu verhindern, musste der einst stolze VW-Konzern schließlich demütig die Hilfe des chinesischen Start-up-Unternehmens XPeng in Anspruch nehmen. Für die westliche Welt holten sich die Wolfsburger Hilfe vom US-Elektroautobauer Rivian. Es wurde ein neues Joint Venture namens Rivian Volkswagen Group Technologies mit tausend Beschäftigten gegründet. Die Mehrheit von ihnen kommt von Rivian.
Die ersten Autos mit Rivian-Steuerungssoftware sollen 2027 auf den Markt kommen. Alle VW-Fahrzeuge vom Kleinwagen bis zur Luxuslimousine werden sie am Ende erhalten. Allein für diese Kooperation musste VW 5,8 Milliarden US-Dollar an Rivian zahlen. Ob sich die Wolfsburger damit langfristig eine eigene Softwarekompetenz aufbauen können, ist aber keineswegs sicher.

Das Ende der Globalisierung
Die technologischen Defizite und der holprige Übergang zur Elektromobilität dürften nicht das Ende der Fahnenstange sein, die Konkurrenz um den weltweiten Automobilabsatz wird sich weiter verschärfen. In China, dem größten Automarkt der Welt, verliert VW bereits unaufhaltsam Marktanteile.
Auch in Deutschland werden im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten fast 1,5 Millionen Autos weniger produziert. Die Folge sind heute nicht ausgelastete Produktionshallen. Gleichzeitig drängen chinesische Hersteller auf den europäischen Automarkt. Schon 2025 wird BYD in Ungarn Autos produzieren.
Hinzu kommt, dass die Epoche der Globalisierung zu Ende geht und die Welt in konfrontative kapitalistische Blöcke zerfällt. Die deutschen Autokonzerne gehören zu den ersten, die das zu spüren bekommen.
Noch im vergangenen Jahr exportierten VW, BMW und Mercedes rund 400.000 Autos aus Deutschland in die USA. Ob das unter dem neuen Präsidenten Trump noch möglich ist, darf bezweifelt werden. Gleiches gilt für die mehr als 500.000 Autos, die aus deutschen Produktionsstätten in Mexiko in die USA geliefert werden.

Alternative Jobs schaffen
Die deutsche Automobil­industrie befindet sich in ­einem dramatischen Schrumpfungsprozess. Am Ende wird sie nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe sein. Doch welche Lösungen gibt es für die Arbeitsplätze?
Die Antwort, die zunehmend diskutiert wird, ist die Nutzung der von Schließung bedrohten Autoproduktionsstätten für den Aufbau eines ökologischen Verkehrssystems, für Bahn- und auch Bussysteme. Die Produktionsaufgaben sind technologisch sehr ähnlich, egal ob Züge oder Autos gebaut werden. In beiden Fällen geht es um Mobilitätssysteme aus Blech und Glas mit Antrieben und Steuerungen.
All dieses Wissen ist in der Automobilindustrie vorhanden und könnte relativ einfach auf die Produktion von Zügen samt Zubehör übertragen werden. Zehntausende Arbeitsplätze könnten so gerettet werden.
Die Nachfrage ist auch da. Das hat die kurze Zeit des 9-Euro-Tickets gezeigt. Das gilt erst recht bei einem Ausbau des ÖPNV. Nach einer Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) könnten rund 5500 Kilometer stillgelegte Bahn­strecken schnell wieder in Betrieb genommen werden, weil sie noch nicht entwidmet sind. Damit könnten Hunderte von Gemeinden mit rund 4 Millionen Einwohnern wieder an das Schienennetz angeschlossen werden. Die Kosten wären mit rund 24 Milliarden Euro überschaubar.
Um eine annähernde Alternative zum heutigen Autoverkehr zu schaffen, müsste man noch einen Schritt weiter gehen und komplett neue Bahnstrecken bauen. Rechnerisch käme man dann auf eine Verdreifachung der bestehenden Schienennetze. Das kann die heutige Bahnindustrie mit ihren 50.000 Beschäftigten nicht leisten, weil sie viel zu klein ist.
Schon heute, wo es nur um Ersatzbestellungen für veraltete und verschlissene Zugsysteme geht, kommen die Bahnhersteller mit den Aufträgen kaum hinterher. So wartet die Landesnahverkehrsgesellschaft Nordwestdeutschland auf 34 Doppelstockzüge, die sie bei Alstom bestellt hat. Der Liefertermin wurde vom Hersteller bereits dreimal über mehrere Jahre verschoben.
Noch schlimmer sieht es bei der Produktion von Straßenbahnen aus, deren Auslieferung von der Bahn­industrie überall um Jahre verzögert wird.
Es ist also möglich, Zehntausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu retten und gleichzeitig eine ökologische Verkehrswende einzuleiten. Gestartet werden könnte die Finanzierung mit einem Sonderfonds von 100 Milliarden Euro für die Schiene statt für die Rüstung.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren