von Elfriede Müller und Hermann Nehls
Der Freundeskreis der IV. Internationale und die ISO haben in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg- Stiftung am 24. Januar 2025 in Berlin eine Veranstaltung mit Olivier Besancenot (NPA) zur Neuen Volksfront in Frankreich organisiert. Zu den 100 Teilnehmenden gehörten auch Vertreterinnen der LFI, La France insoumise.
Eine zentrale Frage lautete, ob die Neue Volksfront ein Modell für europäischen Antifaschismus sein könnte. Die Antwort von Olivier fiel eindeutig aus: Nein, es gibt keine allgemeingültigen Modelle, sondern jedes Land und jede historische Situation bedarf neuer, eigener Antworten. Was von der Neuen Volksfront (NFP) gelernt werden könnte und vielleicht auch auf andere Situationen übertragbar wäre, ist die Einheit einer international geschwächten Linken und die Radikalität der gemeinsam gestellten Forderungen. Denn wir leben in einer Periode, in der nur noch radikale Maßnahmen vor der Barbarei schützen können.
Olivier erläuterte die historische Referenz der Neuen Volksfront. Die Volksfront von 1936, eine Regierung zwischen linken und einer bürgerlichen Partei mit Unterstützung aller linken Kräfte und Bewegungen, führte bahnbrechende Reformen durch wie die vierzig Stunden Woche und bezahlten Urlaub. Sie gab Lohnabhängigen Hoffnung und Vertrauen. Leider war sie ein letztes Aufbäumen vor dem Faschismus.
Der im Jahr 2024 gegründeten Neue Volksfront gelang es in kürzester Zeit Menschen, die jahre- vielleicht jahrzehntelang nicht gewählt hatten, zu überzeugen es zu tun und noch wichtiger, diese Menschen zu versammeln, zu mobilisieren und zu einen. Bei den Parlamentswahlen erlangte sie die Mehrheit, gleichwohl wurde sie vom Staatspräsidenten Macron eiskalt abserviert, nicht an der Regierung beteiligt und statt einer Vertreter:in der NFP als Premierministerin der Rechtsaußen Barnier ernannt und nachfolgend Bayrou. Dieser politischen Niederlage nach dem Wahlsieg folgte eine gewisse Ernüchterung der Basis.
Auf die Frage, ob soziale Reformen der Schlüssel zum Antifaschismus sind, antwortete Olivier mit einem deutlichen Ja, dies sei an der Forderung für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 2000 Euro klar geworden. Damit grenze sich die Linke auch vom Rassemblement National ab, die sich wie alle faschistischen Parteien als Vertretung der unteren Klassen gerieren, ohne ihre Interessen zu vertreten, sondern im Gegenteil eine neoliberale Agenda verfolgen. Ein Grund für die Stärkung der extremen Rechten sei auch die internationale Klassenkonstellation: die Schwäche der institutionellen Linken – allen voran die Sozialdemokratie. Auch die radikale Linke war nirgendwo stark genug, um der extremen Rechten etwas Schlagkräftiges entgegensetzen zu können.
Aufgrund des komplizierten autoritären französischen Wahlsystems stellte sich auch die Frage nach einer neuen Verfassung und die Forderung eines Teils der NFP (vor allem der) nach einer VI. Republik. Die V. Republik wurde im Ausnahmezustand des Algerienkrieges 1958 von De Gaulle gegründet und ähnelt einem „permanenten Staatsstreich“ (François Mitterrand), ohne dass sie bisher grundlegend in Frage gestellt worden wäre. Die Forderung nach einer VI. Republik und einer neuen Verfassung stellt damit auch die soziale Demokratie und Teilhabe in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Thema der anschließenden Diskussion war vor allem die Perspektive der Neuen Volksfront angesichts der festgefahrenen Situation und des Versuchs des neuen Premierministers Bayrou, das schwächste Glied aus der Neuen Volksfront für seine Politik zu gewinnen: die sozialistische Partei (PS), der er Gespräche zur Überarbeitung der Rentenreform angeboten hatte. Allerdings haben sich die Kompromisse, zu denen Bayrou bereit war, wie z. B. die Entlassungen im Bildungsbereich zurückzunehmen, in Luft aufgelöst, da das Rassemblement National dagegen gestimmt hat. Ein Auseinanderbrechen der Neuen Volksfront wurde dadurch verhindert.
In seinem hoffnungsvollen Schlusswort betonte Olivier Besancenot, dass es nun darauf ankomme, die Einheit der Neuen Volksfront bis zu den nächsten Wahlen zu wahren und durch Mobilisierungen auf der Straße zu begleiten - immer mit dem Wissen und mit der bitteren Erfahrung, dass wir auch scheitern können.
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