Das Wirken der ukrainischen Nationalisten im Weltkrieg
von Norbert Kollenda
Franziska Bruder: Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben! Die Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929–1948. Berlin: Metropol, 2007. 280 S., 19 Euro
Gerade jetzt ist das Thema in Polen aktuell: Es geht um die Massaker, die die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) an der polnischen Bevölkerung – teils an der Seite der deutschen Nazis – im Zweiten Weltkrieg verübt hat.
Die Ukraine erlaubt den Polen nicht, ihre Landsleute zu exhumieren, um ihnen eine würdige Ruhestätte zu geben – sie verlangt dies sogar im Gegenzug auch für ihre Banditen in Polen. Dabei stellt sich für viele Polen die Frage, ob man Opfer und Täter gleichsetzen kann.
Die Bevölkerung in Polen kann die Haltung der Ukrainer nicht verstehen, hat sie die Ukrainer doch nach dem Überfall durch Russland mit offenen Armen aufgenommen. Selenskyj kam bei seinem letzten Besuch den Polen keinen Schritt entgegen. Der ehemalige ukrainische Botschafter in der BRD, Andrij Melnyk, verehrt den Kriegsverbrecher Stepan Bandera als Helden und hatte bei seinem Amtsantritt nicht besseres zu tun als dessen Grab in München zu besuchen.
Die sehr wechselvolle Geschichte der Ukraine ist für uns Außenstehende schwer durchschaubar. Die Ukraine musste ständig darum kämpfen, ihren Staat zu bilden und zu konsolidieren. Zwischen den beiden Weltkriegen rieb sich die Ukraine sowohl an der Sowjetunion wie auch an Polen. Hatte Lenin noch eine gewisse Eigenständigkeit zugelassen, kam unter Stalin alles unter den Hammer. So wurde der Widerstand und der Kampf für eine ukrainische Nation immer stärker.
Fanatischer Nationalismus
Franziska Bruder beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Geschichte der Ukrainischen Nationalisten von 1929 bis 1948. Im Programm der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) heißt es »Den ukrainischen Staat erkämpfen oder im Kampf für ihn sterben!«
Auf 280 Seiten fasst Bruder zusammen, was sie beim Studieren der vielen Quellen herausgefunden hat: Quellen aus Deutschland, in Bundesarchiven, auch solchen des Militärs und des Auswärtigen Amts; aus Polen, von verschiedenen Behörden und Instituten, die sich mit der Geschichte der Juden und der polnischen Ostgebiete beschäftigen; aus der Ukraine, von staatlichen Stellen und der UPA und OUN selbst. Sodann »Beutedokumente« und andere Schriften von sowjetischen Behörden, die in der Ukraine auffindbar waren; schließlich Memoiren vieler Beteiligter – auch von Stepan Bandera, einem der bekanntesten Führer der UPA, dem in Städten der westlichen Ukraine gewaltige Denkmäler gewidmet sind.
Die Autorin beschreibt die Entwicklung der OUN seit ihrer Gründung 1929, während des Zweiten Weltkriegs und nach dem Krieg bis 1948.
Die OUN polarisierte die Gesellschaft in der Westukraine, vertrieb und mordete. Dabei traf es nicht nur Polen und Juden, sondern auch ukrainische Familien, die verdächtigt wurden, den Zielen der OUN-UPA nicht vorbehaltlos zuzustimmen.
Ähnlich wie Mussolini in Italien wollten sie eine rein ukrainische Nation, neben Sprache und Geschichte spielte die Religion eine große Rolle und nahm sogar fanatische Züge an.
In Polen wiederum wird gern verschwiegen, dass die OUN-UPA auch gegen die Sowjetunion gekämpft hat. Für die einen sind das Nationalhelden, für die anderen Faschisten. (Für den Westen waren sie vor allem Antikommunisten.)
Im Sommer 1941 gingen die deutschen Nazis auf Distanz zur OUN, 1943 auch zur UPA. Dabei sahen die ukrainischen Nationalisten in der Sowjetunion ihren Erzfeind und in allen anderen – Polen, Juden, ihren eigenen Landsleuten – Kollaborateure der jeweils Herrschenden, Feinde der ukrainischen Nation.
Im Sommer 1943 vertrieb die UPA die deutschen Besatzer und ermordete Polen, um befreite Gebiete zu schaffen. Sie musste handeln, denn sowjetische Partisanen waren dabei, gegen die deutschen Besatzer zu kämpfen, ihnen wollten sie nicht das Feld überlassen.
Doch die Bündnispolitik der OUN war von 1929 bis 1948 unverändert. Immer war die Rede davon, sie würden sich »auf die eigenen Kräfte« verlassen. Faktisch aber waren sie auf der internationalen Ebene zu schwach, und so war Deutschland ein wichtiger Bündnispartner. Seit den 1920er Jahren half ihnen Deutschland, vor allem die deutsche Abwehr, beim Aufbau militärischer Gruppen und deren Ausbildung.
Nach dem Krieg fanden dann Splittergruppen in Bayern eine Heimat und eigneten sich hier übergangslos für Spionage gegen den Osten.
Die Autorin erklärt, mit ihrer Arbeit all jenen eine Stimme geben zu wollen, die während des Zweiten Weltkriegs von der OUN-UPA an den Rand gedrängt, getötet, vertrieben oder mundtot gemacht wurden. Damit sind vor allem die vielen Juden gemeint, die meisten von ihnen wurden ermordet. Viele Westukrainer mussten unter ihren fanatischen Landsleuten leiden. Polen, die dort lebten, hatten unter Deutschen, der UPA und dann der Sowjetunion zu leiden und wurden vertrieben. Durch die OUN wurde die Bevölkerung in der Westukraine gespalten, und das wirkt nach Ansicht der Autorin bis heute fort.
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