Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

Oligarchen oder Pionierunternehmer?
von Ingo Schmidt

Seiner Wählerschaft verspricht er gut bezahlte Jobs in der Industrie. Mit einer aggressiven Außenpolitik präsentiert er sich als Interessenvertreter des amerikanischen Volkes. Daheim bleibt er unter seinesgleichen.

Die Reichsten der Reichen machten ihm, der unter den Milliardären etwa so mittellos ist wie Donald im Vergleich zu Dagobert Duck, bei seiner Amtseinführung die Aufwartung. An der Verfassung vorbei hat er dem Allerreichsten, Elon Musk, das Amt für Regierungseffizienz übertragen. Sein Kabinett wird von Finanzunternehmern dominiert. Dazu kommen ein paar Anwälte, unter anderem Vizepräsident JD Vance, und Politiker, die ihr gesamtes Berufsleben in Partei- und Staatsapparaten verbracht haben, ideologischer Selbstverpflichtung auf freie Wirtschaft und privates Unternehmertum zum Trotz. Mit Initiative und Innovationskraft ist es allerdings auch bei den Mitgliedern in Trumps Milliardärsklub nicht so weit her, selbst wenn die sich gern in die Pose von Pionierunternehmern oder gar kapitalistischen Revolutionären werfen.
Mögen sie in jüngeren Jahren, mit ausreichend Startkapital und guten Beziehungen ausgestattet, neue Produkte oder Arbeitsprozesse geschaffen und damit ordentlich Extramehrwert verdient haben: Mittlerweile ruhen sie sich gern auf den Monopolprofiten aus, die ihre marktbeherrschenden Firmen abwerfen. Zur Absicherung ihrer Monopolstellung wollen sie den Staatsapparat nach ihrem Ebenbild umbauen.
Wenn ihnen das gelingt, kommt ein Umbau des Staates zum Abschluss, der in den 90er Jahren begann. Der Zeit als Paypal, Nvidia und Amazon gegründet, das WorldWideWeb geschaffen wurde und im Weißen Haus der Demokrat Bill Clinton regierte.

Selbstdarstellungen
In jener Zeit war Joe Biden Senator des Bundesstaats Delaware, ein Befürworter des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA und des NATO-Angriffs auf Jugoslawien. In seiner Abschiedsrede als Präsident warnte er vor einer Oligarchie, die mittels eines »tech-industriellen Komplexes« Macht und Herrschaft in den USA usurpiere. Eine deutliche Anspielung auf Dwight D. Eisenhowers bei dessen Auszug aus dem Weißen Haus 1961 abgegebene Warnung vor der Herrschaft eines »militärisch-industriellen Komplexes«. Über seine eigene Rolle beim Aufstieg und der Konsolidierung dieser Komplexe schwieg sich Eisenhower ebenso wie Biden aus.
Ohne sie namentlich zu nennen, hatte Biden sicherlich IT-Chefs wie Amazons Jeff Bezos, Facebooks Marc Zuckerberg und natürlich SpaceX-, Starlink- und xAI-Chef Musk im Kopf, als er vor einer amerikanischen Oligarchie warnte. Ideologisch starker Tobak. War das Oligarchen-Label bis vor kurzem, gerade in Kreisen der Demokraten, neureichen Putin-Unterstützern in Russland vorbehalten.
Noch dazu klingt es nach unverdientem Reichtum. Und steht damit in krassem Gegensatz zur Selbstdarstellung der so Genannten als Selfmade Men. Als Pionierunternehmer, die die Menschheit mit ihren Erfindungen bereichern. Mit ihren Start-Ups haben sie Konzerne wie IBM, einst der größte Büromaschinenhersteller der Welt, an den Rand gedrängt und mit ihren Technologien, vom PC zu Cloud Computing und Künstlicher Intelligenz, verkrustete Unternehmenshierarchien aufgesprengt. Mit solch einem Prozess der »schöpferischen Zerstörung«, wie der österreichisch-amerikanische Ökonomen Joseph Schumpeter es nannte, wollen sie den Staat aus den Klauen internationaler Organisationen befreien.
Staaten konkurrieren wie Unternehmen. Um in diesem Kampf Staat gegen Staat zu bestehen, müssen sie die mit internationalen Verträgen verbundenen Selbstbeschränkungen abschütteln. Amerika gegen den Rest der Welt. Nicht zuletzt, um ihren in den USA beheimateten Unternehmen neue Märkte zu sichern.
Was immer Biden sich mit seiner Anspielung auf den militärisch-industriellen Komplex zu Eisenhowers Zeiten gedacht hat, er hat damit auf jeden Fall einen Bezugspunkt geschaffen, um die Selbstdarstellung der IT-Chefs an der Realität zu messen. Fast zwei Jahrzehnte vor Eisenhowers Warnungen hatte Schumpeter resigniert festgestellt, die innovative Funktion privater Unternehmen werde durch die Standardisierung und Bürokratisierung von Forschung und Entwicklung erdrosselt. Damit werde auch die Kapitalakkumulation erlahmen, die bislang von der unternehmerischen Jagd nach Pioniergewinnen vorangetrieben wurde.
Als Eisenhower aus dem Amt schied, war Schumpeters These der Standardisierung und Bürokratisierung innovativer Tätigkeiten empirisch belegt. Seine Schlussfolgerung, Stagnation sei die Folge, war dagegen klar widerlegt. US- und Weltwirtschaft erlebten gerade den längsten Aufschwung in der Geschichte des Kapitalismus.
Als dieser in den 70er Jahren zu Ende ging, wurden Schumpeters Überlegungen, dass Innovationen private Initiative, nicht staatsmonopolistische Komplexe bräuchten, zu einem Kernbestandteil des aufkommenden Neoliberalismus. Aber es dauerte noch zwei weitere Jahrzehnte, bis die »Markt-statt-Staat«-Politik triumphierte und eine New Economy, angetrieben von Innovationen in Informationstechnik und Finanzmanagement, verkündet werden konnte.

Kinder des militärisch-industriellen Komplexes
Die Microsoft- bzw. Apple-Gründer Bill Gates und Steve Jobs wurden zu Vorzeigeunternehmern. Bezos, Zuckerberg & Co. werden als Pionierunternehmer 2.0 herumgereicht. Sie alle sind Kinder des militärisch-industriellen Komplexes. Die italienisch-britische Ökonomin Mariana Mazzucato hat detailliert nachgezeichnet, in welchem Umfang die Gründung privater IT-Unternehmen von staatlichen Forschungen und Infrastruktur abhängig war. Folgerichtig spricht sie von einem Unternehmerstaat, dessen Wirklichkeit von der neoliberalen »Markets-First«-Ideologie verschleiert wird.
Konzentriert war die staatliche Unternehmeraktivität im militärisch-industriellen Komplex. Die unternehmerische Leistung der späteren IT-Oligarchen bestand darin, die dort entwickelten Technologien mit dem Risikokapital zu verbinden, das der amerikanische Finanzsektor zur Verfügung stellte. Nach den Krisen der 70er Jahre gab es jede Menge anlagesuchendes Kapital. Zwischengelagert im Finanzsektor wurde es ein Hebel, mit dem Börsen, Banken und später institutionelle Anleger Kostensenkungen in der Industrie erzwingen konnten. Dazu gehörte auch die Förderung von Informationstechnologien, die einen ausgewachsenen Überwachungskapitalismus hervorgebracht und ihren Eigentümern einträgliche Monopolstellungen eingebracht haben. Die aber keineswegs gesichert sind.

Patente und American Empire
Als 2007 die ersten iPhones verkauft wurden, konnte sich niemand vorstellen, dass Nokia die Produktion von Mobiltelefonen sechs Jahre später aufgeben würde. Als vor wenigen Wochen die KI-Software Deepseek online ging, brach der Kurs der Nvidia-Aktie ein. Investoren und Ingenieure waren davon ausgegangen, dass die leistungsfähigsten KI-Anwendungen auf die leistungsfähigsten Mikrochips angewiesen sind. Diese liefert im Augenblick Nvidia und verdient damit ordentliche Pioniergewinne. Diese stehen in Frage, seit Deepseek gezeigt hat, dass es auch ohne die neueste Chip-Generation geht. Eine Erinnerung daran, dass technologische Monopole unsicher sind.
Ihre Erringung ist dagegen sehr kapitalaufwändig. Die Entwicklungskosten im IT-Sektor sind gigantisch. Da ist es kein Wunder, dass Unternehmen versuchen, sich politisch zu holen, was ökonomisch bzw. technologisch unsicher ist. So sehr sich die IT-Chefs als Pionierunternehmer darstellen, die ihre Ziele auch gegen staatliche Widerstände erreichen, sind sie doch sehr auf staatlichen Patentschutz bedacht. Der Schutz geistigen Eigentums gilt sogar als Frage der nationalen Sicherheit. Hier schließt sich der Bogen zur Außenpolitik.
Nach Ansicht der Tech-Oligarchen sind andere Staaten und die Unternehmen in anderen Staaten Konkurrenten, auf nichts bedacht, als den Amerikanern Märkte und Technologien streitig zu machen. Aber sie unterliegen einer dreifachen Selbsttäuschung. Sie glauben erstens, sie hätten ihre Unternehmen aus eigener Kraft aufgebaut. Das Startkapital und die Beziehungen, die sie geerbt haben, sowie die staatlichen Vorarbeiten, auf die sie zurückgreifen konnten, verdrängen sie.
Ebenso die Tatsache, dass sie, zweitens, zu Monopolisten oder, in Bidens Terminologie, Oligarchen geworden sind. Unklar ist ihnen, drittens, die Tatsache, dass die Märkte, die ihnen den Aufstieg zu Monopolunternehmern ermöglicht haben, durch internationale Organisationen, vom Zollabbauabkommen GATT bis zur Welthandelsorganisation WTO, vom IWF bis zur Weltbank geschaffen wurden.
Von den USA dominiert, verwandelten die Organisationen den Weltmarkt in ein American Empire. Eine Politik der Einschüchterung, die Amerika nicht mehr als Führungsmacht, sondern als vermeintlich Überlegene über alle anderen betrachtet, kann andere Länder gefügig machen, zersetzt aber das Vertrauen, auf dem die amerikanische Führungsmacht bislang beruhte.
Nicht zu Unrecht fürchtet Biden, und mit ihm die Reste des zerfallenden neoliberalen Globalismus – ein freundlicherer Ausdruck für American Empire – dass die neue Truppe im Weißen Haus die politischen und ökonomischen Grundlagen amerikanischer Vormacht untergräbt. An den Allmachtfantasien des Milliardärsklubs um Trump ist nichts im Sinne Schumpeters Kreatives. Ihre Zerstörungskraft ist allumfassend.
Freigesetzt wurde diese Kraft, und das ist die Ironie der Geschichte, allerdings von der neoliberalen Globalisierung, die der Welt Wohlstand versprach, diesen aber in wenigen Händen konzentriert hat. Enttäuschung und Wut über dieses Resultat haben Trump den Weg ins Weiße Haus geebnet. Die dies taten, werden bald merken, dass America First ein Etikettenschwindel ist, dass es in Wahrheit um Billionaires First geht.

Ingo Schmidt ist marxistischer ­Ökonom und lebt in Kanada und Deutschland.

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