US-Politik vor den Präsidentschaftswahlen
von Ingo Schmidt
Kaum ein Medienbericht aus den USA kommt ohne den Hinweis auf die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft aus. Worin die Spaltung besteht, wird entweder nicht thematisiert, oder es wird zwischen den Hasspredigern Donald Trump und JD Vance, den republikanischen Kandidaten fürs Präsidenten- bzw. Vizepräsidentenamt, und den Stimmen der Vernunft unterschieden – den demokratischen Kandidaten Kamala Harris und Tim Walz.
In rechten Medien wird das Thema Kulturkampf variiert: Dort werden die echt amerikanischen Retter der Nation moralisch verkommenen Vaterlandsverrätern gegenübergestellt.
Klassenspaltungen kommen in liberalen und rechten Medien selten vor, obwohl sie im Wahlkampf von allen Kandidaten thematisiert werden. Unter Vermeidung des politisch unkorrekten K-Worts präsentieren sie sich als Anwälte der kleinen Leute. Sind aber selber mehr oder minder arriviert. Und unterscheiden sich in ihren politischen Zielen weniger als ihre unterschiedlichen Tonlagen vermuten lassen.
Sie alle wollen Amerikas Weltherrschaft absichern und verschmelzen nationale und wirtschaftliche Interessen zu einer American Empire & Corporations First-Politik. Dabei bleibt kein Raum für die Interessen der kleinen Leute. Schon die Artikulation solcher Interessen ist angesichts des medialen Kulturkampfspektakels kaum möglich. Ein neuer Irrationalismus greift Raum, der Alternativlosigkeit und politische Blockade festschreibt.
Aufsteiger und Erben
Amerika ist immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für einige. Zum Beispiel für die Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Beide kommen aus kleinen Verhältnissen. Und dann noch vom Lande. Der eine, JD Vance, hat seinen Aufstieg über die Marines und ein Stipendium der Yale University in dem autobiografischen Roman Hillbilly-Elegie erfolgreich vermarktet und sich damit selbst zum Vorbild seines Wer-will-der-kann-Weltbilds stilisiert. Dabei bestätigt er auch gern das unter Liberalen und manchen Linken verbreitete Vorurteil, dass die weiße Arbeiterklasse, sollte es sie denn geben, nur aus Rassisten besteht.
Der andere, Tim Walz, ist bodenständiger geblieben. Vor seiner Karriere als Berufspolitiker war er Nationalgardist und Lehrer. Trotz ähnlicher Herkunft hat er mit Vances rassistischen Ansichten nichts am Hut.
Harris, genauer: ihre Eltern beweisen, dass es auch farbige Einwanderer in den USA zu etwas bringen können. Harris’ Vater war Stanford-Professor, dazu ein marxistischer Ökonom, ihre Mutter biomedizinische Forscherin an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen. In Sachen Klassenherkunft war Harris Vance und Walz schon bei Geburt einen Schritt voraus, galt vielen Amerikanern als Farbige, aber dennoch bestenfalls als zweitklassig.
Trump wiederum hat das Vermögen geerbt, zu dem seine Vorfahren den Grundstock gelegt haben. Sein Großvater betrieb ein Restaurant und ein Bordell für die Goldgräber, die während des Goldrauschs am Klondike ihr Glück aus dem Dreck zu kratzen versuchten. Die allerwenigsten hatten damit Erfolg.
Trumps Großvater machte ein Vermögen, das sein Vater weiter vermehrte, nicht zuletzt durch den Verkauf zwangsversteigerter Grundstücke und später mit subventionierten Staatskrediten und direkten Staatsaufträgen. Dabei kam ein Erbe zustande, dass es Donald erlaubte, auch mal ein Geschäft in den Sand zu setzen und sich in der Karriere als Showmaster im Fernsehen und Selbstdarsteller in der Politik zu versuchen.
Mit letzterem war und ist er so erfolgreich, dass die politische Berichterstattung in und über die USA, selbst schon lange eine Unterabteilung des Showbusiness, sich mehr für Donald Trumps letzte Skandaläußerungen als für politische Inhalte interessiert.
Repräsentativ sind die Kandidaten, die sich um den Einzug ins Weiße Haus bemühen nicht. Für die große Mehrheit ist Amerika ein Land der begrenzten Möglichkeiten. Sie erben nichts. Sie haben nicht die für den sozialen Aufstieg notwendigen Beziehungen und die Zahl derer, die auch ohne Beziehungen aufsteigen können, ist begrenzt.
Militärdienst als erste Stufe zum Aufstieg mag ja noch vielen offenstehen, aber bei der College-Ausbildung wird es schon eng. Die Studiengebühren sind für viele unerschwinglich, Stipendien sind rar. Aufsteiger wie Vance und Walz sind die Ausnahme, der Aufstieg von Harris auch. Und nur sehr wenige werden wie Trump mit einem goldenen Löffel im Mund geboren.
Sie sind alles andere als repräsentativ, doch eröffnen ihre Herkunft und ihre Stellung im sozialen System Zugänge zum Verständnis der wirtschaftlichen und sozialen Spannungen und der politischen Blockaden, mit denen die USA aktuell konfrontiert sind.
Imperium und Kapitalinteressen
Die Kandidaten leben den amerikanischen Traum, der für die Vielen zu einem Alptraum geworden ist. Seit der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung beruht dieser Traum auf dem Widerspruch, universelle Freiheit zu versprechen und Amerikaner gleichzeitig als etwas Besonderes, als auserwähltes Volk, anzusehen. Auflösen ließe sich dieser Widerspruch nur, wenn die Bevölkerung der ganzen Welt amerikanisch würde.
Viele Amerikaner konnten mit diesem Widerspruch leben, solange sich das Land in genau diese Richtung bewegte, sich einen Großteil Nordamerikas einverleibte, Lateinamerika zu seinem Hinterhof erklärten, die postkolonialen und schließlich auch die postkommunistischen Länder in den US-dominierten Weltmarkt integrierten.
Aber es gab immer »die anderen«, die vom amerikanischen Traum Ausgeschlossenen: Die Überlebenden des Mords an den indigenen Völkern, die Sklaven und die verelendeten Massen im Süden und Osten der Welt. Und schon bevor die Globalisierung bzw. Amerikanisierung der Welt an ihre Grenzen stieß, fühlten sich viele, die sich als Teil des auserwählten Volkes sehen, um ihren Anteil am amerikanischen Traum betrogen.
Die Zahl dieser Zweifler nimmt seither immer weiter zu. Eine neue Rechte von Reagan in den 80er Jahren bis zu Trump heute profitiert davon. Nun sollen amerikanische Vormacht und Privilegien unter Preisgabe universeller Freiheits- und Glücksversprechen gesichert werden. Durch militärische Überlegenheit, Sanktionen und eine an nationaler Sicherheit ausgerichteten Industriepolitik. Und Begrenzung der Einwanderung.
In seltener Übereinstimmung zwischen erheblichen Teilen der Bevölkerung und politischer Klasse gelten nicht nur der Wirtschaftsriese China und die Militärmacht Russland als Bedrohung des American Empire, sondern auch Einwanderer. In Sachen Empire First unterscheiden sich Trump und Harris nur in Nuancen, nur rhetorisch liegen Welten zwischen ihnen.
Doch der Kulturkampf lenkt nur davon ab, dass Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des American Empire, seien es wirtschaftlicher Druck, die Unterstützung von Militärputschen, die Organisation von orange Revolutionen oder direkte Militärinterventionen, für einen beständigen Flüchtlingsstrom in das amerikanische Herzland sorgen.
Dass Maßnahmen zur Stärkung des Empire das Geld kosten, das das Leben für die Mehrheit im Herzland etwas besser machen könnte. Und dass trotz schwächelnder Wirtschaft und tatsächlichem und mehr noch gefühltem Bedeutungsverlust der USA die Profite in den vergangenen Jahren massiv gestiegen sind, während die Löhne im Durchschnitt vor sich hindümpeln, für viele nach unten gegangen sind.
Sprachlose Arbeiterklasse
Als Wahlbürger haben Arbeiter eine Stimme, als Klasse sind sie stimm- und sprachlos. Das war vor der letzten Wahl etwas anders. Bernie Sanders’ Bewerbung um die Präsidentschaft war mit lange nicht gesehenen Massenmobilisierungen einhergegangen. Davon ist so gut wie nichts übriggeblieben. Mit dem Ziel eine zweite Trump-Präsidentschaft zu verhindern, hat Sanders frühzeitig auf eine eigene Kandidatur verzichtet und sich zuerst hinter Biden und nach dessen Verzicht hinter Harris gestellt.
Der Politikwechsel von der neoliberalen Globalisierung zu einer militaristischen Großmachtpolitik stellt eine Anpassung an Wirtschaftsschwäche und geopolitische Verschiebungen dar. Er ist keine Reaktion auf verschobene Klassenverhältnisse im Inneren. Die mit Sanders verbundenen Mobilisierungen waren ein Zwischenspiel, kein Umschwung in Richtung einer gestärkten Arbeiterklasse.
Der Kulturkampf macht die Organisation von Arbeitern schwer. Sie verfügen schon lange nicht mehr über eigene Medien und Öffentlichkeit. Deshalb äußert sich Unzufriedenheit unter anderem in massenhaft geteilter Sehnsucht nach imperialem Glanz und Größe.
Liberale, und auch so manche Linke, schütteln fassungslos den Kopf, wie Menschen Trumps Irrsinn bejubeln können. Sie wollen nicht einsehen, dass Trump nicht trotz, sondern wegen seines Irrsinns Zustimmung findet. Sei es aus Verzweiflung oder aus Enttäuschung über die Regierungen der Demokraten.
Ingo Schmidt ist marxistischer Ökonom und lebt in Kanada und Deutschland.
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