Alte Rezepte für die neue Zeit
von Matthias Becker
Der Plan der Bundesregierung für die nächsten vier Jahre steht: den Lohnabhängigen wird der Gürtel enger geschnallt. Sie haben die Kosten der Aufrüstung zu tragen – wie ihre Kinder und Kindeskinder.
Die »Zeit der Wohltaten« sind vorbei, sagen die Parteiführer der neuen Bundesregierung. Deutschland sei »keine Insel der Seligen« mehr. »Wir werden sparen müssen«, erklärt Friedrich Merz, Kanzler in spe. Lars Klingbeil, Vizekanzler in spe, ergänzt: »Wir können uns nicht mehr alles leisten.« »Wir ringen darum, was die Wirtschaft jetzt braucht«, sagt Jens Spahn, CDU-Abgeordneter und Mit-Verhandler.
Die Abstriche für Lohnabhängige, Erwerbslose und Jugendliche waren angekündigt, ebenso, dass Unternehmer und Vermögende reich beschenkt würden. Neu ist, dass die Regierung zugleich mit beiden Händen Geld in Richtung der Rüstungsunternehmen und deren Geldgeber schaufelt.
Als die Parteispitzen den Koalitionsvertrag vorstellten, sparten sie nicht mit großen Worten: »Die Welt wird in diesen historischen Zeiten neu vermessen« (Lars Klingbeil), Europa werde aus Russland und Amerika »angegriffen« (Friedrich Merz).
Nach Konzepten, wie den tiefgreifenden Umbrüchen etwas entgegengesetzt werden kann, sucht man im Koalitionsvertrag allerdings vergebens. Die Bundesregierung setzt auf die alten (neoliberalen) Konzepte für eine neue Zeit.
›Komplizierter, teurer, anstrengender‹
Fangen wir unten an: Hartz IV heißt fortan Grundsicherung, nicht mehr Bürgergeld. Der sog. Vermittlungsvorrang kommt zurück: Erwerbslose sollen wieder jedwede Arbeitsstelle antreten. Die Sanktionen der Jobcenter werden verschärft, Karenzzeiten bei Vermögen und Wohneigentum abgeschafft.
Gegen die steigenden Wohnungskosten sind keine Maßnahmen vorgesehen, die Bundesregierung verlängert lediglich die beinahe wirkungslose Mietpreisbremse. Auch dass die Beiträge zur Sozialversicherung weiter steigen werden, nimmt sie hin. Allerdings will sie den gesetzlichen Krankenkassen Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro abnehmen (für die Krankenhausreform) und die Renten mit Steuermitteln stützen.
Weil aber Mieten und Lebenshaltungskosten insgesamt steigen, wird die massenhafte Verarmung weitergehen, gerade auch unter Rentnerinnen und Rentnern. Immerhin, die 2,1 Millionen armer Kinder in Deutschland dürfen sich freuen, denn ihre Eltern bekommen auf Antrag höhere Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket: monatlich sage und schreibe 20 Euro statt wie bisher 15 Euro! Danke, SPD.
Der Exportmotor ist kaputt
In einer Hinsicht haben Merz, Söder und Klingbeil recht: Das Staatensystem und die Weltwirtschaft stecken tatsächlich in einer tiefen Krise. Handelsstreitigkeiten und die internationale Konkurrenz um Marktanteile eskalieren.
Das Wirtschaftsmodell des Exportweltmeisters Deutschlands mit seinem dauerhaften Leistungsbilanzüberschuss funktioniert nicht mehr, seit die Welt in rivalisierende Blöcke zerfällt, die US-Regierung sie mit Zöllen überzieht, Energieträger und Rohstoffe teurer werden. Die Binnennachfrage stockt, neue Auslandsmärkte sind gesättigt oder umstritten. Und mit China und anderen BRICS-Staaten haben neue, mächtige Konkurrenten die Arena betreten.
Immer weniger Menschen sind mit den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen einverstanden. Die Globalisierung hat den deutschen Unternehmen gut zwei Jahrzehnte lang enorme Gewinne verschafft. Um sie finanziell zu entlasten und in der internationalen Konkurrenz zu stärken, wurde die soziale und technische Infrastruktur verschlissen, von den Kindergärten und Krankenhäusern bis zu den Autobahnbrücken.
Die Menschen arbeiten härter und länger, aber sie verdienen nicht mehr. Sie bekommen weniger Rente und eine schlechtere Krankenversorgung.
»Das Leben in Deutschland ist komplizierter, teurer und anstrengender geworden«, heißt es durchaus treffend im Koalitionsvertrag. Wer trägt die Schuld daran? »Eine protektionistische Handelspolitik stellt die Stabilität und Ordnung der Weltwirtschaft in Frage.«
Solche Formulierungen zeugen davon, dass die herrschende und die politische Klasse in Deutschland nicht willens, vielleicht auch nicht fähig ist, sich auf die neue Lage einzustellen. Das Ausland will keine deutschen Autos und Industrieanlagen mehr kaufen? Es will andere Regeln für den Welthandel? Es scheint nachgerade verrückt geworden. Dummerweise ist das Ausland so viel größer als Deutschland.
Falsche Hoffnung: Rüstungskeynesianismus
Wenn kapitalistische Gesellschaften in eine Krise geraten, können Neoklassik und Keynesianismus fertige Antworten aus der Tasche ziehen (im Gegensatz zum Sozialismus oder gar Ökosozialismus). Neoklassiker setzen auf Privatisierung und Steuersenkung, damit die Unternehmen investieren und die Verbraucher kaufen. Keynesianer empfehlen dem Staat, Schulden zu machen und Geld auszugeben, um Beschäftigung und Nachfrage anzukurbeln.
Die neue Bundesregierung tut beides: sie privatisiert und entlastet das Kapital, zugleich nimmt sie Kredit auf und investiert – überwiegend in die Aufrüstung. Wegen des kaputten Exportmotors begrüßen das übrigens auch einige neoliberale Ökonomen.
Gleichzeitig erhalten die Unternehmen erhebliche Steuergeschenke. Laut Institut der Wirtschaft (IW) werden dem Fiskus wegen zusätzlicher Abschreibungen und der geringeren Körperschaftsteuer jährlich 4–7 Milliarden Euro entgehen. Verteilt werden die Wohltaten mit der Gießkanne, bspw. an Vonovia im genau gleichen Maß wie an kommunale Wohnungsbaugenossenschaften.
Geplant ist andererseits ein öffentlich-privater »Deutschlandfonds«, um die Erneuerung der Infrastruktur zu bezahlen. Warum »die Kraft der privaten Finanzmärkte« dafür notwendig ist, obwohl die Kreditkosten der Bundesrepublik Deutschland unschlagbar günstig sind, versteht wohl nur Friedrich Blackrock Merz. Der Staat wird den Fonds mit 10 Milliarden Euro ausstatten und zusätzlich privates Kapital bis zu hundert Milliarden einwerben. Der Traum der Versicherungskonzerne und Vermögensverwalter wird wahr: traumhafte Renditen bei minimalem Risiko.
Statt die Reichen zu besteuern, leiht sich der Staat von ihnen Geld und zahlt es mit Zinsen zurück. So verstärkt sie die »Rentenorientierung« der Kapital- und Vermögensbesitzer. Die Ungleichheit nimmt weiter zu, und sie ist der Nährboden, auf dem die AfD gedeiht.
Kanonen (oder Drohnen) bringen keine Butter
Für Aufrüstung gilt die Schuldenbremse nicht mehr, auch nicht für den Ausbau der Nachrichtendienste und geopolitische Manöver wie Finanzhilfen an verbündete Staaten. Mindestens anderthalb Billionen Euro sollen bis zum Jahr 2030 fließen, um das Land weltkriegstüchtig zu machen. Ein Gutteil der Infrastrukturmaßnahmen dient ebenfalls militärischen Zwecken, vor allem im Verkehrsbereich.
Die Gewerkschaften haben die Lockerung der Schuldenbremse begrüßt, auch wenn manche leise Bedenken äußern. Sie hoffen sie auf eine Belebung der Konjunktur. Ob Eisenbahnen oder Panzer, Hauptsache Arbeitsplätze, mögen sie sich denken. »Kanonen statt Butter«, lautet die klassische Formel, geprägt von Rudolf Hess (NSDAP), kürzlich wieder aufgegriffen von Clemens Fuest (IFO-Institut): Der Konsum wird zugunsten des Militärs zurückgefahren.
Die Keynesianer, die die Aufrüstung befürworten, glauben dagegen, dass Investitionen in Kanonen oder auch Drohnen dafür sorgen werden, dass die Beschäftigten sich die Butter wieder leisten können.
Doch eine Rüstungskonjunktur wird die wirtschaftliche Dauerkrise nicht überwinden. Sie schafft weniger Arbeit und Nachfrage als Investitionen in anderen Bereichen. Sie bindet Ressourcen und Arbeitskraft, die anderswo dringend gebraucht werden. Und sie weckt bei den Regierenden die Illusion der Überlegenheit und erhöht damit die Gefahr einer katastrophalen Eskalation.
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