Przeglad, 02.05.2025; Polityka, 02.05.2025
„Das war unser Sieg“
Przeglad, 02.05.2025
In der Dritten Republik wurde der Tag des Sieges von der Liste der Feiertage gestrichen – zu eng war seine Verknüpfung mit der Volksrepublik Polen.
Doch der Krieg ist ein fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Jede Generation erlebt ihn – wenn auch nicht immer unmittelbar oder persönlich. Krieg ist eine zugespitzte Form der Politik, ein Kampf um Macht – über Länder, Völker, ganze Kontinente hinweg. Ziel jedes Krieges ist der Frieden, allerdings zu den Bedingungen des Siegers. Und wenn dieser Frieden dann eintritt, überwiegt bei den meisten Menschen die Erleichterung über das Ende der Gewalt – ohne sich allzu sehr für deren politische Konsequenzen zu interessieren. Diese bleiben zumeist den Politiker:innen und später den Historiker:innen überlassen. Für die „normalen Sterblichen“ zählt einzig: Nie wieder Krieg! Auch wenn der nächste unweigerlich kommen wird – früher oder später.
80 Jahre nach der Kapitulation des Dritten Reiches wird die historische Tragweite des Zweiten Weltkriegs deutlich – ebenso wie die Erkenntnis, welch ein Segen sein Ende für die Menschheit bedeutete.
Entgegen mancher Stimmen, die in der Politik – selbst der internationalen – keine Unterscheidung zwischen Gut und Böse mehr gelten lassen wollen und allein Effizienz und Eigeninteresse als Maßstab setzen, gibt es keinen Grund, weshalb eine derart darwinistische Sichtweise für uns Polen attraktiv sein sollte. Nicht nur deshalb, weil wir nicht zu den „reichen und starken“ Nationen zählen, sondern vor allem, weil nur wenige Völker das Ausmaß einer Politik, deren düsteres Resultat die Tragödie von 1939 bis 1945 war, so schmerzhaft zu spüren bekamen wie das unsere.
Welches Maß legt man also an, wenn man die Bilanz dieses Krieges zieht – für die Menschheit insgesamt wie für einzelne Nationen? Zumeist sind es zuerst die Zahlen der Toten. Und sie sind erschütternd – wenn auch nicht unumstritten. Professor Antoni Czubinski bezifferte in seiner Universalgeschichte des 20. Jahrhunderts die menschlichen Verluste der Achsenmächte (Deutschland, Japan und ihre Verbündeten) auf 11,5 Millionen – darunter 7 Millionen Soldaten –, die Verluste der Alliierten auf über 43 Millionen, davon 29 Millionen Soldaten. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit – und hoffentlich nie wieder – hat ein Krieg derart viele Opfer gefordert, sowohl zivile als auch militärische.
Auf diese Millionen von Toten und Ermordeten folgten materielle Zerstörung und ein wirtschaftlicher Zusammenbruch, wie ihn Europa in dieser Dimension nie zuvor erlebt hatte. Der US-amerikanische Wirtschaftshistoriker Rondo Cameron schrieb in An Economic History of the World:
Europa sah sich mit der düsteren Aussicht konfrontiert, nicht einmal mehr die elementarsten Bedürfnisse seiner Bewohner befriedigen zu können. Millionen Menschen litten unter Hunger, Krankheit, fehlender Kleidung und Obdach – Sieger wie Besiegte gleichermaßen.
Verlierer
Kann man bei solch einem Ausmaß an individuellem und kollektiven Leid überhaupt davon sprechen, dass jemand diesen Krieg „gewonnen“ hat? Einerseits ist diese Frage rhetorisch gemeint, andererseits ist nicht zu leugnen, dass der Zweite Weltkrieg auch tiefgreifende politische Folgen hatte: Er veränderte nicht nur das Leben einzelner Menschen, Familien und Gesellschaften grundlegend, sondern schrieb ein neues Kapitel in der Geschichte der Staaten und ihrer Beziehungen zueinander. Einige Nationen gingen als Sieger aus dem Krieg hervor, andere als Verlierer. Die einen konnten die Nachkriegsordnung aktiv mitgestalten, die anderen mussten sie demütig hinnehmen.
Zu den Verlierern gehörte zweifellos Deutschland – jenes Land, das Europa über Jahrhunderte hinweg großartige Musiker, Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler beschert hatte, ebenso wie eine Fülle technischer Erfindungen. Der Mai 1945 markierte für Deutschland die wohl größte historische Katastrophe.
Unmittelbar nach dem Krieg wurde das deutsche Staatsgebiet in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Ein fünfter Teil – das heutige Westpolen – wurde dem neu geschaffenen polnischen Staat zugeschlagen.
Nach vier Jahren der Besatzung wurde die deutsche Staatlichkeit durch das Wohlwollen der Siegermächte wiederhergestellt – allerdings doppelt: im Westen als Bundesrepublik unter dem Einfluss der USA, im Osten als Deutsche Demokratische Republik unter sowjetischer Kontrolle. Diese Teilung währte 40 Jahre – und auch wenn es 1990 zur Wiedervereinigung kam, sind ihre Folgen bis heute spürbar: wirtschaftlich, gesellschaftlich, aber vor allem mental.
Die Eroberung Berlins: Ein russisches Verdienst?
Polen und Ukrainer kämpften Seite an Seite
Polityka, 02.05.2025
Am 2. Mai 1945 hissten polnische Soldaten, die an den Straßenkämpfen in Berlin beteiligt waren, weiß-rote Fahnen. Ein beträchtlicher Teil der Roten Armee bestand damals aus Ukrainern.
Heute, angesichts der rücksichtslosen russischen Aggression gegen die Ukraine, stellt sich die Frage: Ist es überhaupt angebracht, eines Jahrestags zu gedenken, der zum ideologischen Fundament des russischen Imperialismus zählt – dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg? Doch ein solches Denken ist historisch unzulänglich – und kommt einer Kapitulation vor der Propaganda des Kremls gleich. Denn nicht nur unter den Soldaten, die Berlin stürmten, waren viele Ukrainer, auch in der polnischen Armee kämpften zahlreiche von ihnen.
Oberst Kazimierz Dybowski, vermutlich der letzte überlebende polnische Flieger, der über Berlin im Einsatz war, betonte:
In unserem 6. Sturmfliegerregiment waren die Piloten sowjetisch, die Bordschützen polnisch. Ich war Richtschütze, mein Pilot Leutnant Filatow – ein anständiger Kerl aus der Nähe von Kiew. Ein Ukrainer und ein Pole aus Wolhynien bildeten die Besatzung eines Il-2-Sturzkampfflugzeugs mit rot-weiß kariertem Rumpf – im Einsatz während der letzten Schlacht an der Ostfront, der Operation Berlin. Kein schlechtes Sinnbild für Verständigung.
Polnische Truppen im Kampf um Berlin
Wenn heute in Polen der Einsatz der Ersten und Zweiten Polnischen Armee bei der Einnahme Berlins gewürdigt wird, ist das durchaus paradox: Während ihre Beteiligung an der finalen Schlacht betont wird, geraten frühere Gefechte dieser Einheiten an der Ostfront aus politischen Gründen in Vergessenheit – oder werden bewusst verdrängt. Viele junge Menschen, die schon einmal von den polnischen Soldaten gehört haben, die rot-weiße Fahnen über Berlin hissten, wissen kaum, woher diese kamen. Oft liest man, es sei allein Stalins Wille gewesen, den „Kosciuszko-Soldaten“ den Sturm auf Berlin zu erlauben – um die Machtübernahme der Kommunisten in Polen zu legitimieren. Doch das ist bestenfalls eine Halbwahrheit.
Natürlich war die Beteiligung der 1. Tadeusz-Ko?ciuszko-Infanteriedivision (und weiterer polnischer Einheiten) an der Schlacht um Berlin ein politisches Signal. Aber sie war auch militärisch sinnvoll. Die sowjetischen Panzerverbände litten unter einem Mangel an begleitender Infanterie – ein tödlicher Nachteil im Häuserkampf. Die polnischen Infanteristen, Pioniere und Artilleristen waren daher eine wichtige Unterstützung für die sowjetischen Panzerfahrer.
Hauptmann Andrzej Nusbek, der als 14-Jähriger während des Warschauer Aufstands zur 2. Haubitzen-Artilleriebrigade geschickt wurde, hoffte, in der aus dem Osten vorrückenden Armee seinen seit 1939 vermissten Vater zu finden. Später stellte sich heraus, dass dieser in Katyn ermordet worden war. Rückblickend berichtete Nusbek über seine Teilnahme an der Erstürmung Berlins:
Als Warschauer und ehemaliger Aufklärer der Grauen Regimenter war ich regelrecht angetrieben von dem Verlangen, hier in Berlin meine Stadt zu rächen!
Für viele Veteranen war die Teilnahme an der Berliner Operation ein Moment der Genugtuung – ein Gefühl, das ihnen später oft aberkannt wurde.
Die ersten Polen, die in Berlin kämpften, waren die Kanoniere der 1. unabhängigen Mörserbrigade, die ab dem 16. April 1945 im Raum Spandau und Potsdam die sowjetische 47. Armee unterstützten. Am 29. April fanden die wohl blutigstens Kämpfe dieser Brigade statt, als die Stellungen der 47. Armee durch Kadetten der SS-Offiziersschule angegriffen wurden – die sowjetische Infanterie geriet unter Druck, erst das Feuer des polnischen Mörserregiments stoppte den Angriff. Am 27. April rückte auch das 6. unabhängige motorisierte Ponton- und Brückenbataillon Warschau vor und war somit die zweite polnische Einheit, die an der Berlin-Operation teilnahm. Diese Einheit, der sowjetischen 2. Panzerarmee unterstellt, errichtete unter Beschuss Übergänge über die Havel, die Spree und die Charlottenburger Kanäle in Richtung Berlin-Mitte.
Zwischen Triumph und Tragödie
Leutnant Flis und seine Männer erreichten am Morgen des 2. Mai auf sowjetischen Panzern das Brandenburger Tor. Der Waffenstillstand war bereits in Kraft, sie passierten eine Kolonne deutscher Kriegsgefangener – doch das Donnern der Geschütze war noch zu hören, und es gab weiterhin Tote. Nur wenige Minuten vor dem Ende der Kämpfe stolperte der Kommandeur der 6. Kompanie, Leutnant Aleksander Woronicki, über Metallschrott auf dem Kopfsteinpflaster und geriet unter die Ketten eines sowjetischen T-34. Noch bevor die Soldaten sich von dieser Tragödie erholen konnten, schlugen in der Nähe des Brandenburger Tors erneut Granaten ein: Zwei Panther und mehrere Schützenpanzer versuchten aus dem eingekesselten Reichstagsgebäude auszubrechen. Die Fahrzeuge wurden zerstört, grüne Signalraketen stiegen in den Himmel – das vereinbarte Zeichen für die Rote Armee, dass das Gebiet vom Feind geräumt war.
Im nächsten Moment kamen sowjetische Truppen von der anderen Seite des Tors – und es begannen die ersten Siegesfeiern. Leutnant Flis erinnerte sich an diesen Moment so:
Diese Armee sah wild aus – erschöpft, zerlumpt, verdreckt. Auch wir waren kein bisschen besser oder zivilisierter. Der Krieg hatte alle gleich gemacht. (...) Ich sah mich um. Eine rote Fahne wehte über dem Reichstag. Ich sah zwei rot-weiße Fahnen – am Brandenburger Tor und an der Siegessäule. Ich wusste auch, dass rot-weiße Fahnen am Bahnhof Tiergarten und an der Fachhochschule hingen. Zum Reichstag waren es etwa zweihundert Meter. Es fiel mir schwer, mir die Genugtuung zu versagen, wenigstens für einen Moment dorthin zu gehen. Wir betrachteten die Kolonnade und die Steintreppe, die zu dem Gebäude hinaufführte. Jeder versuchte, sich einen Platz an einer Säule oder Wand zu suchen, um seinen Namen, das Datum und die Uhrzeit seines Besuchs zu hinterlassen. Auch ich habe dort meine Spuren hinterlassen – auf einem Stück Putz …
Bezeichnend ist auch, was Oberst Dybowski über seine „siegreiche“ Rückkehr aus Berlin berichtet:
Nach einem Moment der Euphorie am Kriegsende wurde uns schlagartig bewusst, wie es um uns stand. Die Sowjets hatten ihre Flugzeuge so mit Kriegsbeute vollgestopft, dass für uns – die Bordschützen und die meisten Polen – in den Kabinen kein Platz mehr war. Wir wurden angewiesen, mit einem Lkw-Konvoi nach Hause zurückzukehren. Während ich fuhr, sah ich mit eigenen Augen die Schrecken dieses Krieges: unbestattete Leichen von Soldaten und Zivilisten am Straßenrand, zum Teil gezeichnet von den Gräueltaten der Sieger … Verkohlte Körper von Panzerbesatzungen zwischen zerstörten Wracks, tote Pferde – alles verweste in der Maisonne, zerfressen von streunenden Hunden und Hühnern. Ein Grauen …
Gerade deshalb ist es so wichtig, sich an die polnischen Eroberer – oder besser: Befreier, wie sie von den Berliner:innen heute selbst genannt werden – zu erinnern. Befreier vom Faschismus. Im Jahr 2020 wurde auf dem Gelände der Technischen Universität Berlin ein Denkmal für die polnischen Befreier eingeweiht. Eingebunden in die sowjetische Kriegsmaschinerie kämpften und starben sie nicht für Stalin, sondern in der Hoffnung auf ein freies Polen – oder zumindest auf ein besseres Polen als vor dem Krieg. Das einte sie mit den polnischen Soldaten im Westen. Heute erinnert eine Gedenkstätte im Berliner Bezirk Charlottenburg an jene Polen, die 1945 an der Befreiung der Stadt vom Faschismus beteiligt waren.
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