Vor 50 Jahren ließ Erno Rubik seinen Zauberwürfel patentieren
von Kai Böhne
Im Dezember 2015 saß ein Doktorand auf dem hochgefahrenen Studiosessel dem Moderator der Privatfernseh-Quizshow Wer wird Millionär? gegenüber. Über eine halbe Stunde hatte er alle Fragen richtig beantwortet. Nun kam die finale Frage: »Aus insgesamt wie vielen Steinchen besteht der klassische von Erno Rubik erfundene Zauberwürfel?«
Kann doch nicht so schwer sein, denkt sich der Fernsehzuschauer mit der Tüte Chips in der Hand, eine Fläche besteht aus drei Steinen, bei drei Ebenen ergibt das 27 Steinchen. Doch Obacht, im Zentrum befindet sich kein Stein, sondern ein Achsenkreuz, an dessen Enden sechs starre Mittelsteine befestigt sind.
Nach der Fernsehausstrahlung gab es lange Diskussionen in den sozialen Medien. Die Vorwürfe: Die Frage sei zu leicht, zu einfach gewesen oder der Würfel würde gar nicht aus 26 gleichen Steinen bestehen. Daraufhin zerlegte das neunmalkluge Unterhaltungsmagazin, das einst mit dem Leitspruch »Fakten, Fakten, Fakten« angetreten war, den Würfel in seine Einzelteile. Und siehe da: Die acht Ecksteine und 12 Kantensteine haben unterschiedliche Körper, dazu das Achsenkreuz als Unikat mit sechs Steinen. Es sind zwar 26 Steine, aber nicht alle sehen gleich aus. Kritisiert wurde die unpräzise Frage der Quizredaktion. Nun denn, der Doktorand aus Münster behielt die Nerven, entschied sich für 26 Steine und kann sich überlegen, was er mit seiner Million Euro anstellt.
Unlösbare Aufgabe?
Gut 40 Jahre vor dieser Fernsehepisode, im Jahr 1974, schuf der ungarische Bauingenieur und Architekt Erno Rubik mit der Konstruktion des später nach ihm benannten Drehpuzzle-Zauberwürfels eines der populärsten mathematischen Spiele des 20.Jahrhunderts. Ursprünglich wollte Rubik Studenten helfen, Probleme im dreidimensionalen Denken zu lösen.
Am 30.Januar 1975 meldete der Tüftler seinen Würfel als Patent an. Nach zwei Jahren, am 31.Dezember 1977, erhielt er die Patenterteilung. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst eroberte der Spielzeugwürfel den ungarischen Markt, bevor 1981 der internationale Vertrieb einsetzte und dem Erfinder großen kommerziellen Gewinn bescherte. 1980 verlieh die Jury des Kritikerpreises »Spiel des Jahres« dem Zauberwürfel die Auszeichnung »Bestes Solitärspiel«. Besonders zu Beginn der 80er Jahre erfreute sich der Zauberwürfel großer Beliebtheit. Bis 1982 soll der Spielwarenhandel in Ungarn gut zehn Millionen Würfel verkauft haben.
Auf den ersten Blick sieht ein verdrehter Zauberwürfel wie eine unlösbare Aufgabe aus. Jede Bewegung einer Ebene ordnet die Teile des Würfels neu und verschiebt dafür andere. Schon nach wenigen Drehungen verliert man den Überblick. Dennoch wurde bei unzähligen Menschen Neugier, Spielfreude und Ehrgeiz geweckt, eine Lösung zu finden. Doch die Gesamtzahl der möglichen Konfigurationen des Würfels beträgt über 43 Trillionen Stellungen, genau sind es
43.252.003.274.489.856.000.
Laut Schätzungen sind nur sechs von hundert Personen in der Lage, das Würfelrätsel zu knacken. Dabei ist das Aufdröseln weniger schwer, wenn man einige Tricks beachtet: Der Würfel wird nicht nach Seiten, sondern nach Ebenen gelöst.
Zu unterscheiden sind die drei Arten von Steinen: Mittelsteine, Kantensteine und Ecksteine. Die Mittelsteine sind starr, sie bestimmen die Farbe der Seite. Kantensteine besitzen zwei Farben und Ecksteine haben drei Farben. Ein Kantenstein wird immer ein Kantenstein und ein Eckstein immer ein Eckstein bleiben. Man beginnt mit der unteren weißen Seite und versucht dort – mittels der Kantensteine – ein weißes Kreuz zu schaffen. Im Internet gibt es zahlreiche Tutorials zum weiteren Vorgehen.
Unterschiedliche Wettbewerbe
Bei Tempowettbewerben messen sich Fans des Rubik-Würfels untereinander, wer schneller eine Lösung für den verdrehten Würfel findet. 1982 wurde in Budapest die erste Weltmeisterschaft um die schnellste Lösung ausgetragen. Minh Thai, ein 16jähriger US-Amerikaner vietnamesischer Herkunft, bezwang den Würfel in weniger als 23 Sekunden.
Seither hat die Zahl der Weltmeisterschaften erheblich zugenommen. Tausende Teilnehmer konkurrieren weltweit in verschiedenen Disziplinen, darunter dem Lösen des Würfels mit möglichst wenig Zügen, mit verbundenen Augen, mit nur einer Hand und sogar mit den Füßen.
Die originalen Rubik-Würfel aus Spielzeugläden knarzen gelegentlich und lassen sich schwer drehen. Daher wurden für Wettkämpfe spezielle Speedcubes entwickelt. Bei ihnen sind oft Magnete in den Ecken und Kanten verbaut, um dem Würfel eine bessere Stabilität zu geben und eine Leichtgängigkeit zu gewährleisten.
Aktuell gehören Yiheng Wang in 3,08 Sekunden und Max Park in 3,13 Sekunden zu den schnellsten menschlichen Speedcubern. Ein von künstlicher Intelligenz gesteuertes japanisches Robotersystem löste die Aufgabe sogar in einer Drittelsekunde.
Eine interessante und anspruchsvolle Disziplin ist das Lösen des Rubik-Würfels in möglichst wenigen Zügen. Die Teilnehmer bekommen eine Stunde Zeit, um sich eine Lösung auszudenken. Mathematiker gehen davon aus, dass sich jede Würfelkonstellation mit maximal 20 Zügen lösen lässt. Es ist aber äußerst schwer, in nur einer Stunde solch einen komplexen Lösungsweg zu finden. 2015 gelang das erstmals Tim Wong, der löste den Zauberwürfel in beeindruckenden 19 Zügen. In Mumbai gelang es dem Inder Mohammed Aiman Koli im Oktober 2019, einen Rubik Cube in 15,56 Sekunden mit den Füßen zu lösen. Der Kanadier Eric Limeback entschlüsselte im Oktober 2013 innerhalb von 24 Stunden nacheinander 5800 Zauberwürfel.
Spionage und Comic
Der amerikanische Whistleblower Edward Snowden soll einen Zauberwürfel benutzt haben, um geheime Speichermedien aus seinem Arbeitsbereich herauszuschmuggeln. Zunächst habe er allen Kollegen Zauberwürfel geschenkt. Überall lag das Spielzeug herum. Die Wachen waren den Anblick gewöhnt und er selbst bekam schnell den Spitznamen »Zauberwürfel-Typ«. Später soll Snowden Daten auf fingernagelgroßen Micro-SD-Karten gespeichert haben, die er unter den Farbplättchen eines Zauberwürfels versteckte.
Selbst in die Populärkultur hielt der Magic Cube schnell Einzug. Einige Folgen der Comic-Serie Die Simpsons thematisieren den bunten Würfel: Als die Familie während eines Wirbelsturms im Keller Schutz sucht, versucht Marge mit dem Rubik Cube für etwas Abwechslung zu sorgen.
Anlässlich des 50.Jahrestags seiner Patentierung widmete die ungarische Post Ende Januar 2025 dem Rubik-Würfel einen quadratischen 1000-Forint-Sondermarkenblock. Die Budapester Sicherheitsdruckerei fertigte 40000 Exemplare des Sammlerstücks. Dies war bereits die dritte ungarische Briefmarke mit einem Rubik-Würfel.
Überraschenderweise erschien am 10. März 2025 sogar bei der Kyrgyz-Express-Post aus dem zentralasiatischen Binnenstaat Kirgisistan eine Sondermarke und ein Ersttagsbrief.
Beliebtes Markenmotiv
Auch in anderen Ländern ist der Rubik-Würfel als Briefmarkenmotiv beliebt. Die moldawische Post illustrierte im Mai 2019 ihre Sondermarke zum Internationalen Jahr des Periodensystems der Elemente mit dem bunten Würfel. Die PostNL unseres Nachbarlandes stellte im April 2015 vier Postwertzeichen mit elektronischem und konventionellem Spielzeug vor. Eine der Marken zum Versenden für Inlandspost zeigt einen durchmischten Zauberwürfel.
Eine zum Valentinstag 2024 ausgegebene vietnamesische 4000-Dong-Sondermarke vermittelt ihre Liebesbotschaft »I love you« über einen farbenfroh beschrifteten Würfelkörper. Im gleichen Jahr erschien in Südkorea ein 15er-Briefmarkenbogen zum Thema »Spaß an der Mathematik«. Er enthielt zwei Briefmarken, von denen die eine den Zauberwürfel mit der Aufschrift »God’s Number« zeigt. Darunter verstehen Mathematiker die kleinstmögliche Zahl an Schritten, die notwendig ist, um alle Zustände eines Zauberwürfels zu lösen.
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