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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2012
Spanien: Ein bisschen Generalstreik

von Gaston Kirsche

Massive Proteste gegen die Sparpolitik gibt es schon seit Monaten, nun haben fast alle Gewerkschaften aus Spanien für den 29.März zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen.

Seit 100 Tagen regiert Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP). Schon gegen die Sparpolitik der sozialdemokratischen Vorgängerregierung gab es massive Proteste – es entstand die Bewegung der Indignados, und seit Monaten wird gegen die Kürzungen in Bildung und Gesundheit demonstriert.

5,3 Millionen Arbeitslose, 23% Arbeitslosigkeit – über 50% unter den Jugendlichen, Tendenz steigend. Durch die immer drastischeren Einsparungen bei öffentlichen Dienstleistungen haben Menschen, die ganz unten leben, wie Migranten ohne Papiere, oft keinen Zugang mehr zu Gesundheitsversorgung, Bildung, oder gar Kultur. In etwa zwei Millionen Haushalten verfügt niemand über ein Einkommen oder eine staatliche Zuwendung. Im öffentlichen Dienst steht die große Entlassungswelle noch bevor.

Die «Reform» des Arbeitsrechts

Angesichts der wachsenden sozialen und politischen Polarisierung nimmt es nicht wunder, dass Premierminster Mariano Rajoy am Rande eine Eurogipfels vor sechs Wochen den Generalstreik vorhersah – auch wegen der Reform des Arbeitsrechts.

Die Arbeitsrechtsreform sei «einer der schärfsten Angriffe auf das Recht auf Arbeit seit Einführung des Arbeitsgesetzbuches», so der Verein «Richter für die Demokratie». Das gilt seit 1980 und war im Übergang von der Diktatur zur Demokratie ausgehandelt worden. Die Arbeiterbewegung war zu Zeiten des illegalen Kampfes gegen die Diktatur stark gewesen, auch ihr radikaler Flügel, so dass sie einige Rechte erkämpfen konnte – die seitdem wieder zurückgenommen wurden.

Nun soll reiner Tisch gemacht werden: Branchenweite Tarifverträge sollen nicht mehr verbindlich sein, jede Firma kann sich ausklinken und mit ihrem Betriebsrat günstigere Bedingungen aushandeln. Die Probezeit bei Neuverträgen wird auf ein Jahr ausgedehnt. Wenn die Umsätze eines Unternehmens neun Monate lang sinken, darf es den Arbeitsvertrag einseitig nach Gutdünken ändern: sowohl die Arbeitszeit, als auch die Lohnhöhe, die Art der Arbeit, die Aufgabenverteilung, den Arbeitsort. Zur Begründung reicht es aus, auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Profitabilität zu verweisen.

Kündigungen werden erleichtert, die Höhe der Abfindungen wird gesenkt, die bisher nötige Zustimmung eines Gerichtes zu Massenentlassungen entfällt. Gewerkschaften und Betriebsräte haben keinerlei Einspruchsrechte.

Fernando Valdés Dal-Rè, Professor für Arbeitsrecht, hält die Reform für ein «Torpedo, um das System flottzumachen, der uns südostasiatischen Verhältnissen nahebringt». Die Rechtshilfeorganisation Solidari aus Pamplona erklärt prägnant, es sei eine «Lüge», dass damit Arbeitsplätze geschaffen würden: «Die Schaffung von Arbeitsplätzen hängt von einer wachsenden Nachfrage nach Arbeit ab, nicht von einer Änderung des Arbeitsrechts.» Vielmehr gehe es der Regierung darum, die Macht der Unternehmer in den Betrieben zu stärken: «Wenn die Wirtschaft sich erholt hat, werden die geschaffenen Arbeitsplätze prekärer sein, mit niedrigeren Löhnen, weniger Rechten, fragiler. Und sie werden sich leichter und billiger vernichten lassen, wenn es eine neue Krise gibt.»

Auch wenn solche an Marx angelehnten Analysen leider selten sind: 62% der Spanier lehnen laut einer groß angelegten Umfrage im Auftrag der Zeitung El País die Arbeitsrechtsreform ab, nur 24% finden sie angemessen, selbst unter den Wählern der PP unterstützen sie nur 47%.

Druck von der EU

Spaniens Regierung steht unter starkem Druck der EU, lag das Haushaltsdefizit 2011 doch bei 8,5 % des BIP – erlaubt sind laut Fiskalpakt 3%. Mitte März versuchte Rajoy bei einem EU-Gipfel unter Berufung auf die «nationale Souveränität», die Zielvorgaben aus Brüssel abzuschwächen. Aber die EU-Gremien blieben hart, Spanien muss sein Haushaltsdefizit 2012 auf 5,3% des BIP senken und bis Ende 2013 die 3%-Grenze erreichen.

Der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden erklärte, sicher sei es für Spanien ein «enormes Problem», in zwei Jahren 55 Milliarden Euro einzusparen – dies sei noch keinem EU-Land gelungen: «Die Minister der Eurogruppe glauben, dass die für dieses Jahr geplanten Einsparungen in Spanien nicht ausreichen werden.»

Welche Konsequenzen die Vorgaben aus Brüssel in Spanien haben, ist noch unklar. Rajoy hat erklärt, seinen Sparhaushalt für 2012 erst im April offenzulegen. Der wird drakonische Einschnitte bei den ohnehin schon gekürzten Ausgaben für Gesundheit, Bildung, für den gesamten öffentlichen Dienst vorsehen. Den Regionen und Kommunen drohen die härtesten Einschnitte bei den Zuweisungen durch die Zentralregierung. Dabei gehen Lehrende, Studierende und Schülerinnen bereits seit Monaten immer wieder auf die Straße.

Die spanische Sparpolitik ist nicht nur für den auf staatliche Einrichtungen angewiesenen ärmeren Teil der Bevölkerung verheerend, sie verschärft auch die Wirtschaftskrise – deshalb mahnten selbst die Analysten der Deutschen Bank im März: «Auf lange Sicht wäre es für die Finanzen Spaniens gewinnbringender, mit den härtesten Sparmaßnahmen bis zu einer wirtschaftlichen Erholung, welche 2013 möglich ist, zu warten.»

Proteste: zu spät, zu zögerlich

Als die Regierung im Februar per Dekret ihre Arbeitsmarkt»Reform» beschloss, protestierten hunderte Indignados aus Madrid noch am gleichen Abend an der Puerta Del Sol. Die Polizei löste ihre Versammlung mit Schlagstock, Tränengas und Verhaftungen auf.

Am 19.Februar riefen die großen, staatsnahen Gewerkschaften CCOO und UGT zu Demonstrationen in knapp 60 Städten auf. Die Indignados und die staatsfernen Gewerkschaften sowie die Parteien links der PP schlossen sich ihnen an. Allein in Madrid protestierten eine halbe Million. Viele Teilnehmende forderten die großen Gewerkschaften auf, endlich zum Generalstreik aufzurufen.

Die den nationalen Minderheiten nahestehenden Gewerkschaften CIG in Galizien sowie ELA und LAB im Baskenland mobilisieren in ihren Regionen schon seit Wochen für einen Generalstreik gegen die Sparpolitik und die Arbeitsrechtsreform am 29. März.

Am 9.März schließlich verkündeten die Gewerkschaftsvorsitzenden der ehemals der KP nahestehenden CCOO und der sozialdemokratischen UGT, Ignacio Fernández Toxo und Cándido Méndez, gemeinsam den Streikaufruf für den 29.März unter dem Motto: «Gegen die Arbeitsrechtsreform, für die Verteidigung der öffentlichen Dienste». Bis zuletzt hatten die Gewerkschaftsvorstände noch darauf gehofft, mit Rajoy noch über Änderungen an der «Reform» verhandeln zu können. Ihre Briefe an Rajoy blieben jedoch unbeantwortet. Stattdessen erklärte der Sprecher der PP-Parlamentsfraktion, Alfonso Alonso: «Es gibt keinen Schritt zurück.»

Privatisierungen

Da die PP mit absoluter parlamentarischer Mehrheit regiert und sich sogar noch der Unterstützung der konservativen katalanischen Nationalisten (CiU) sicher sein kann, ist die Arbeitsrechtsreform ohne Änderung in Kraft getreten. Die ersten Auswirkungen sind schon zu spüren – insbesondere die Staatsangestellten zweifeln immer mehr an der Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.

Denn die Regierung ist bereits dabei, 24 von 142 Staatsbetrieben, die die Zentralregierung kontrolliert, zu liquidieren und von weiteren Unternehmen Beteiligungen abzustoßen, um sie endgültig zu privatisieren. So verkündete Mitte März die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría: «80 Betriebe sind betroffen von der Schließung oder dem Abzug staatlichen Kapitals.» Und es wird weitergehen: Die Post übergibt die Regierung an die Industrieholding Sepi. Die ist zwar staatlich, aber nach privatwirtschaftlichen Regeln organisiert – ideal, um die Post auf die Privatisierung vorzubereiten.

Der rigorose Abbau von Arbeitsrechten, die Deregulierungspolitik und der Abbau des Sozialstaates werden sich mit einem eintägigen Streik nicht stoppen lassen – dass wissen auch die Gewerkschaftsvorstände von CCOO und UGT, die sich als Verhandlungspartner der Regierung wieder ins Gespräch bringen wollen.

Die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften kritisieren ebenso wie die den separatistischen Bewegungen in Galizien und im Baskenland nahestehenden Gewerkschaften nicht nur die Regierung, sondern auch die Inkonsequenz von CCOO und UGT. Sie erinnern daran, dass deren Vorstände vor einem Jahr mit den Unternehmerverbänden ein Abkommen über die Rente mit 67 getroffen haben, damals noch moderiert von der sozialdemokratischen Regierung.

Die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften fordern dagegen die «radikale Zurückweisung der Wirtschaftspolitik» aller staatlichen Stellen und den Widerstand gegen «die Arbeitsrechtsreform, den Sozialpakt und die restlichen antisozialen Gesetze, die uns die Regierung und die Unternehmer vorschreiben».

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