Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2017

Erstmals seit langem scheint wieder eine Linkswende möglich
von Leo Gabriel

Die hiesigen Massenmedien haben die Proteste vom 13.Februar als Schulterschluss der Bevölkerung mit der mexikanischen Regierung interpretiert. Dem ist mitnichten so.

Wer dieser Tage das Land der Azteken bereist, wird bemerken, dass bei den meisten Bürgern der Geduldsfaden zum Zerreißen gespannt ist. Am 13.Februar hat sich wieder einmal gezeigt, dass es nur eines Anstoßes bedarf, damit Tausende Mexikaner spontan auf die Straße gehen, um gegen die korrupte Regierung des seit 2012 amtierenden Präsidenten Enrique Peña Nieto zu demonstrieren – so wie sie das zuvor schon wochenlang getan hatten, als der einstige Strahlemann des Medienkonzerns Televisa & Co eine Erhöhung der Benzinpreise um 20% ankündigte. Diese Massendemonstrationen waren derart gewaltig, dass die Regierung es seit Anfang Februar für vernünftiger hält, von ihrer Verordnung Abstand zu nehmen.

Die Unzufriedenheit mit der Staatsführung wurde im vergangenen Jahr immer spürbarer, als der US-Dollar den Rekordwert von 21,5 mexikanischen Pesos und die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit der Wirtschaftskrise 2008 erreichte. Zwar konnte die monatelange Bewegung des Lehrpersonals gegen die geplante neoliberale Reform des Erziehungswesens durch Verhandlungen noch teilweise beschwichtigt werden. Doch die überwiegende Mehrzahl der Mexikaner fühlte sich vom neuerlichen Aufflammen des so genannten «Drogenkriegs» so sehr bedroht, dass viele von ihnen sich auf den noch gefährlicheren Weg in die USA machten.

 

Trumps Pläne, ein schlechter Witz?

Gerade vom Nachbarland im Norden, das von vielen als Rettungsanker gesehen  wird, gehen aber derzeit politische Signale aus, die das ohnedies schon morsche Unterholz des Wirtschafts- und Sozialgefüges sehr bald zum Einsturz bringen könnten.  Die Ankündigung von Donald Trump, die bereits bestehende Mauer an der über 3200 km langen Grenze noch aufzustocken, konnte von vielen nicht direkt Betroffenen noch als schlechter Witz empfunden werden. Aber spätestens seit der Ankündigung des Dollarmilliardärs, die so genannten remesas familiares, die Überweisungen der mexikanischen Arbeitsmigranten in den USA an ihre Familien daheim mit 30 Prozent zu besteuern, um diesen pharaonischen Mauerbau zu finanzieren, verging den meisten das Lachen. Diese remesas sind nach dem Erdöl der größte Beitrag zum mexikanischen Volkseinkommen, es droht also der Zusammenbruch der mexikanischen Wirtschaft.

Außerdem will Trump mehr als 5 Millionen mexikanische und zentralamerikanische Einwanderer, die über keine gültige Aufenthalts- bzw. Arbeitserlaubnis verfügen, nach Mexiko zurücktreiben – wie eine gigantische Viehherde über jene Gebiete im Norden Mexikos, die de facto von Verbrecherbanden beherrscht werden. Für Migranten aus Zentralamerika, die sich ihres Lebens ohnedies nicht mehr sicher waren, würde das bedeuten, dass sie, ob sie wollen oder nicht, in Mexiko festsitzen. Das alles hätte verheerende Auswirkungen auf den mexikanischen Arbeitsmarkt, der durch den plötzlichen Austritt Mexikos aus der Freihandelszone NAFTA – den von Trump verordneten Mexit – ohnedies geschwächt würde. Hinzu käme noch die von Trump angekündigte Rückführung der mexikanischen Automobilindustrie in die USA.

 

Neoliberalismus auf mexikanisch

Das alles passiert natürlich nicht nur wegen des Präsidentenwechsels in den USA, das wissen die Mexikaner ganz genau. Die gegenwärtige katastrophale Situation ist vielmehr Folge des neoliberalen Umbaus, der bereits in den 80er Jahren unter den Regierungen der alteingesessenen PRI (Partido Revolucionario Institucional) begonnen hat und in den 2000er Jahren mit den Regierungen der rechtskonservativen PAN (Partido de Acción Nacional) von den Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderón vertieft wurde. «Am Ende sind alle heiligen Kühe der mexikanischen Revolution geschlachtet worden», schreibt der Publizist John Ackermann. Tatsächlich: Als erstes wurde das im Anschluss an die mexikanische Revolution 1918 eingeführte System der sog. ejidos (unverkäufliches Gemeindeland nach indigenem Vorbild) abgeschafft und die sozialen Rechte der Beschäftigten, die auf die Errungenschaften der anarchosyndikalistischen Bewegung zurückgehen, durchlöchert. Am Ende dieses traurigen Abgesangs steht die Privatisierung von PEMEX, des Erdölkonzerns, den Lázaro Cárdenas während seiner Präsidentschaft (1934–1940) verstaatlicht hatte.

 

Korruptionsritter Enrique Peña Nieto

Vor zehn Jahren stoppte Vicente Fox im Anschluss an massive Bewegungen der Campesinos und Umweltschützer das Megaprojekt eines neuen Flughafens in Mexiko-Stadt am Texcoco-See. Enrique Peña Nieto nahm es in Zusammenarbeit mit dem Multimilliardär Carlos Slim 2015 wieder in Angriff. Um sich jedoch die lange Wartezeit bis zur Vollendung des Bauvorhabens zu versüßen, lässt Peña Nieto einen eigenen Präsidenten-Flugsteig im Wert von 250 Millionen Dollar errichten, der ihm zu seinem Geburtstag feierlich übergeben werden soll.

Kein Wunder, dass sich deshalb zur ökonomischen und sozialen auch noch eine politische Krise hinzugesellt. Ähnlich wie Trump ist Peña Nieto eine Marionette des konzentrierten Großkapitals. Anstatt dem «Gringo» Donald Trump wegen des angekündigten Mauerbaus scharf entgegenzutreten, lud er diesen als Staatsgast ein, noch bevor er in den USA die Wahlen gewonnen hatte. Erst nachdem die Wogen der Entrüstung sogar die mexikanische Oberschicht erfasst hatten, reiste er trotz der Einladung Trumps nach dessen Wahl doch nicht nach Washington. Dafür versprach er, Trump bei der Rückführung der Migranten behilflich zu sein und eigene «Aufnahmezentren» zu errichten.

Während in vielen Städten der USA Menschen gegen die Abschiebungen von Mexikanern protestierten, versuchten die beiden staatstragenden Parteien PRI und PAN, besonders schlau zu sein und reihten sich am 13.Februar zusammen mit Regierungsvertretern in eine Demonstration gegen die Abschiebungen ein. Doch mussten sie sich unter dem lebhaften Geschrei der Demonstrierenden schnell zurückziehen: Aus der Anti-Trump-Demo wurde eine Anti-Peña-Demo, die vor allem die Korruption der mexikanischen Regierung anprangerte.

 

Licht am Ende des Tunnels

Im Juni 2018 stehen Präsidentschaftswahlen an. Enrique Peña Nietos Beliebtheitswerte sind auf 12–18% gesunken. Sowohl die rechtskonservative PAN als auch die sozialdemokratisch angehauchte PRD (Partido de la Revolución Democrática) kommen ebenfalls über diese Werte nicht hinaus. Alle diese etablierten Parteien werden derzeit von der Linkspartei MORENA (Movimiento de la Regeneración Nacional) unter der Führung des Linkspopulisten Andrés Manuel López Obrador in den Schatten gestellt. Die Partei ist erst seit 2014 registriert und könnte den letzten Meinungsumfragen zufolge die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen. Ebenso wie sein brasilianischer Gegenpart «Lula» ist der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt schon zweimal zu den Präsidentschaftswahlen angetreten, einmal wurde ihm ein knapper Erfolg durch massive Wahlmanipulationen entrissen. Sollte der derzeitige Trend bis Juni 2018 anhalten, dürfte es kaum möglich sein, López Obrador und seiner MORENA-Partei einen Wahlerfolg abzuerkennen.

Für eine Überraschung hat auch die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN gesorgt, als sie vor ein paar Monaten ankündigte, sie wolle eine Kandidatin aufstellen, die in nächster Zeit vom Obersten Rat der Indigenen Völker nominiert werden soll. Ob die EZLN zur Vertiefung der programmatischen Forderungen von MORENA beitragen oder zur Stimmenthaltung aufrufen wird, ist noch offen.

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