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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2019

Elbit Systems liefert Überwachungstechnologie an EU-Küstenwachen
von Shir Hever

Der 59-Millionen-Euro-Vertrag zwischen der israelischen Firma Elbit Systems und der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (European Maritime Security Agency – EMSA) vom letzten November ist nicht gerade einer der größten Verträge von Elbit Systems. Aber er ist von größter Bedeutung, um die Marke Elbit Systems weiter zu etablieren, und ebenso für die Migrationspolitik der EU.
Um sich diesen Vertrag zu sichern, hat Elbit Systems mit der portugiesischen Firma Center for Product Development Engineering (CEiiA) kooperiert. Nach Informationen des EU-Online-Ausschreibungsregisters (Tenders Electronic Daily – TED) handelt es sich um einen Rahmenvertrag mit zweijähriger Laufzeit mit einer Verlängerungsoption für weitere zwei Jahre. Im Rahmen dieses Vertrags stellt Elbit Systems ein Luftüberwachungssystem (Hermes 900 Maritime Patrol System) für die Küstenwache der südeuropäischen Staaten bereit. Darüber hinaus hat sich Elbit Systems auch die Unterhaltung der Drohnen gesichert und stellt das Personal für deren Steuerung.
Obwohl der Vertrag das im einzelnen nicht spezifiziert, ist klar, dass die Luftüberwachung den Zweck verfolgt, der Küstenwache Flüchtlingsboote zu melden, damit sie abgefangen werden können, bevor sie europäische Gewässer erreichen. Auf diese Weise sollen Flüchtlinge daran gehindert werden, in Europa Asyl zu beantragen.

Zivilmilitärische Projekte
EMSA vertritt nicht nur südeuropäische Länder wie Griechenland, Italien und Spanien, sondern ist ein europaweites Projekt. Es soll Flüchtlinge stoppen, bevor sie europäisches Gebiet erreichen, ohne Rücksicht darauf, dass Fluchtursachen wie Klimadesaster, Wirtschaftskrisen oder Kriege von europäischen Konzerne, durch unterlassene Hilfeleistung oder eine verfehlte Politik angefacht wurden.
Offiziell war der Vertrag mit Elbit als «Zivilvertrag» ausgeschrieben. Die Drohnen sollten unbewaffnet sein, und bei der Küstenwache handelt es sich ja nach offizieller Lesart um einen Bereich der Polizei und nicht um einen Teil der Seestreitkräfte. Das Geschäftsmodell von Elbit Systems ist indessen darauf spezialisiert, die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Aktivitäten und Zwecken zu verwischen. Es handelt sich um Israels größten Rüstungskonzern und den wichtigsten Waffenlieferanten für die israelischen Bodentruppen. Außerdem hat Elbit Systems eine «Heimatschutz»-Abteilung und entwickelt «Cyber»-Produkte für Zivilfirmen. Elbit Systems erhält Fördermittel aus dem «Horizon 2020»-Projekt der EU, um optische Systeme für Zivilflugzeuge zu entwickeln, die aber zunächst für Raketen und Drohnen entwickelt und militärisch getestet wird.
Die Organization «Missing Migrants» («Vermisste Migranten») listet allein für 2018 192 Todesfälle von Flüchtlingen auf, die im Mittelmeer vermisst werden bzw. darin umgekommen sind. Viele davon sind ertrunken oder starben, weil ihre Boote von der Küstenwache abgefangen und zurückgeschickt wurden. Das ist das wahre Gesicht der «Festung Europa», die mehr und mehr mit hochgradig militarisierten Mitteln die europäischen Grenzen vor den Folgen ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik schützen will. Dafür eignet sich ein Konzern wie Elbit, der den Unterschied zwischen zivil und militärisch systematisch verwischt, ganz hervorragend.

In Gaza getestet
Die Zusammenarbeit zwischen CEiiA und Elbit Systems ist außerdem interessant, weil sie zeigt, in welchem Ausmaß die Rüstungsindustrie von großen und mächtigen Unternehmen beherrscht wird. Elbit Systems liegt bei den größten Rüstungsfirmen schon auf Platz 28. Der Konzern hat bereits viele kleine Unternehmen aufgekauft, die spezifische technologische Komponenten für großangelegte Dronenüberwachung entwickelt haben. Als israelische Firma ist Elbit Systems aber im Nachteil bei europäischen Ausschreibungen. Durch die Kooperation mit der portugiesischen CEiiA hat Elbit Systems diese Hürde genommen. Die Frage bleibt jedoch, warum CEiiA mit Elbit Systems kooperiert und nicht eigenständig an der Ausschreibung teilgenommen hat...
Die Drohnentechnologie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten massiv entwickelt. Nicht nur Elbit Systems, sondern auch viele andere Unternehmen haben heute die technische Fähigkeit, eine große Anzahl von Drohnen zu liefern, die per Fernsteuerung und ohne Betankung stundenlang über dem Mittelmehr unterwegs sein können und mit Kameras ausgestattet sind, die das Geschehen in Echtzeit an die Einsatzzentralen übertragen. Elbit Systems hat allerdings den großen Vorteil, dass die israeliche Armee bei der Bewerbung ihrer Produkte hilft. Die Manager von Elbit Systems weisen ständig darauf hin, dass jede ihrer Technologien, auch ihre Zivilprodukte, während der israelischen militärischen Angriffe auf den Gazastreifen und der vielfachen Überwachungsmaßnahmen getestet wurden.
Die bloße Tatsache, dass Elbit Systems ein israelisches Unternehmen ist, verstrickt die EMSA-Führung eng mit der israelischen Grenz- und Überwachungspolitik. Der Staat Israel ist fast komplett von Mauern und Zäunen umgeben. Die Behandlung von Asylbewerbern aus afrikanischen Ländern (vor allem Eritrea und Südsudan) ist eine der übelsten weltweit. Zehntausende wurden gewaltsam deportiert, andere werden in gefängnisartigen Lagern festgehalten. Elbit Systems entwickelt und liefert Ausrüstung für die illegale Trennmauer im besetzten Westjordanland.
Obwohl die Verantwortung für die Einhaltung von Völker- und Menschenrecht hinsichtlich der Flüchtlinge bei EMSA verbleibt, auch wenn sie ein israelisches Unternehmen beauftragt, sendet dieser Vertrag doch das fatale Signal aus, dass die Schraube noch weiter angezogen werden soll, um Flüchtlinge abzuhalten.

Abhängigkeiten
Die Strategie von Elbit Systems folgt seit 1996 einem klaren Muster: Die Firmenleitung ist davon überzeugt, dass nur große Rüstungsunternehmen auf dem globalen Markt konkurrenzfähig sind. 2018 hat Elbit Systems die bis dahin staatseigenen Israeli Military Industries (IMI) aufgekauft. IMI ist Israels ältestes Rüstungsunternehmen, eines der drei letzten in Staatsbesitz. Elbit Systems hat dafür weniger als 470 Mio. Euro bezahlt, obwohl die israelische Regierung fast eine Milliarde Euro zugeschossen hat, um die Schulden von IMI zu reduzieren und den Kauf für Elbit Systems attraktiv zu machen.
Bereits 2013 wollte Elbit Systems IMI aufkaufen. Wenn der Konzern die Firma damals kostenlos bekommen hätte, wäre das für die israelische Regierung sehr viel günstiger gewesen. Aber Elbit Systems ist in der israelischen Armee und im Verteidigungsministerium sehr gut vernetzt. Das Unternehmen wird von der israelischen Regierung vielfach begünstigt und die Armee schickt sogar Soldaten als Praktikanten in das Unternehmen.
Normalerweise macht Elbit Systems derartige Verträge offensiv publik und versorgt israelische Wirtschaftszeitungen mit Informationen. Als Privatunternehmen will es damit weitere Investoren anziehen, zusätzliche Firmen aufkaufen und weiter expandieren. Interessanterweise hat Elbit Systems diesmal aber mit dem EMSA-Vertrag nicht groß geworben. Die portugiesische CEiiA hat dagegen stolz über den Vertrag berichtet, hinzu kamen Berichte im Militärmagazin Israel Defense und in der russischen Medienagentur RT. Warum Elbit System selbst sich diesmal ausgeschwiegen hat, bleibt unklar.
Obwohl der Vertrag sich nur auf 59 Millionen Euro für zwei Jahre beläuft, also nicht einer der größten Verträge von Elbit Systems ist, hat er eine ähnliche Struktur wie andere Verträge, die der Konzern mit der israelischen Luftwaffe geschlossen hat. Auch nach Ansicht der israelischen Rechnungsprüfungsbehörde erzeugen derartige Verträge Abhängigkeit. Elbit Systems liefert nämlich ein komplettes Paket: Drohnen, deren Unterhaltung sowie das Personal, das die Drohnen steuert. Die Küstenwache erhält nur Informationen aus den Beobachtungskameras und lernt nicht den Umgang mit der gesamten Technologie. Mitarbeiter der beteiligten Küstenwachen bekommen kein Training in Drohnensteuerung und Unterhaltung. Wenn der Vertrag nach zwei Jahren ausläuft, können Elbit Systems und CEiiA einfach höhere Preise fordern, sollte das System weiter eingesetzt werden – was zu erwarten ist. Dann muss EMSA sich entscheiden zwischen einer teuereren Vertragsverlängerung oder der Suche nach neuen Geschäftspartnern für die gleichen Leistungen.

Die EU hält die eigenen Regeln nicht ein
Durch diese Art von Privatisierung werden letztlich Monopole geschaffen. EMSA kann sich rühmen, den Flüchtlingsstrom mit technologischen Maßnahmen zu stoppen, die auf Erfahrung gegründet sind. Doch es ist die Erfahrung einer israelischen Rüstungsfirma, die ihre Technologie an Menschen testet, ohne um ihre Erlaubnis zu fragen, und die sich außerhalb des Völkerrechts bewegt. Elbit Systems bietet EMSA die Nutzung der Technologie, aber die Technologie bleibt Eigentum von Elbit Systems und EMSA droht schnell von dieser Technologie abhängig zu werden.
Die EU hat zwar Regeln für den Kauf von Produkten und Dienstleistungen, die unter Missachtung des Völkerrechts entwickelt wurden. Aber wenn es um israelische Unternehmen geht, werden diese Regeln leider nicht beachtet.
Die Entscheidung von EMSA, Beschäftigte einer Firma anzuheuern, die sich mit Einsatzrekorden für ihre tödlichen Waffen brüstet, sagt viel aus über die europäischen Pläne gegenüber Flüchtlingen. Wenn wir ihren sinnlosen Tod im Mittelmehr stoppen wollen, muss EMSA gezwungen werden, nur Firmen zu beauftragen, die über Erfahrungen im Retten von Menschenleben verfügen und nicht im Umbringen.

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