Alljährlich versammelt sich die extreme Rechte rund um den 13. Februar in Dresden, um der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg zu «gedenken». 2011 konnte der bis dato größte Neonaziaufmarsch Europas erstmals durch antifaschistische Aktionen verhindert werden.
Seit ca. zwei Jahren kriminalisiert der sächsische Staat antifaschistisches Engagement mit grundrechtlich fragwürdigen Mitteln. Das Vorgehen der Behörden offenbart dabei ein obrigkeitsstaatliches Staatsverständnis, das im Staatsapparat selbst, aber auch in der Bevölkerung weit verbreitet zu sein scheint. Es deckt sich zu einem großen Teil mit rechts(radikalem) Gedankengut.
Doch auch die Alltagsarbeit bisher staatlich geförderter Projekte und Initiativen wird gerade vom sächsischen Staat unterminiert. Eine «Demokratieklausel» verpflichtet die Projekte neuerdings, für sich und ihre Bündnispartner ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzugeben. Am 13. und 18.Februar wird es in Dresden wieder antifaschistische Kundgebungen und Blockaden geben.
Nachstehend bringen wir eine gekürzte Fassung der Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Die Auslassungen sind jeweils mit [...] gekennzeichnet.
Quelle: www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/rechtsstaat-auf-saechsisch-220/page1.kontakt@rav.de
Im Februar 2011 haben in Dresden vielfältige, von einem breiten antifaschistischen Bündnis getragene Aktivitäten stattgefunden. Dabei ist es am 19.Februar 2011 erneut gelungen, den größten Neonaziaufmarsch in Europa zu verhindern. Was in der öffentlichen Debatte als großer Erfolg der Zivilgesellschaft gegen die extreme Rechte wahrgenommen wurde, ist den sächsischen Sicherheitsbehörden ein Dorn im Auge. Das zivilgesellschaftliche Engagement ist zu selbstbestimmt, zu innovativ und politisch erfolgreich. [...]
Die präventiven und repressiven Maßnahmen haben 2011 eine ungeahnte Qualität und ein neues Ausmaß erreicht. [...] Es zeigt sich in eindrucksvoller Weise, wie flexibel der Rechtsstaat sein kann, wenn die Staatsräson es verlangt. [...]
Versammlungsfreiheit nur für Neonazis
Für den 13. und 19. Februar 2011 hatte die Dresdener Stadtverwaltung in Absprache mit der Polizeidirektion Dresden ein vollständiges Versammlungsverbot für zivilgesellschaftliche und antifaschistische Kräfte auf der Altstädter Seite der Elbe erlassen, auf die der Neonaziaufmarsch von der Versammlungsbehörde verlegt worden war. [...]
Sämtliche Protestveranstaltungen, die auf der „falschen» Seite angemeldet wurden, wurden örtlich „wegbeauflagt». Eine Einzelfallprüfung wurde nicht vorgenommen. Dies sollte bezwecken, dass sich am 13. und 19.Februar 2011 in einem Gebiet mit rund 300000 EinwohnerInnen ausschließlich AnhängerInnen der extremen Rechten versammeln können. [...]
Die Argumentation der Behörde, nur durch eine natürliche Barriere die gegnerischen Lager trennen und dadurch Ausschreitungen und eventuelle Störungen des Neonaziaufmarsches verhindern zu können, erscheint dabei als vorgeschoben. [...]
Die obrigkeitsstaatliche Art, Auflagen zu erlassen, hatte lediglich das Ziel, die Arbeit der Polizei zu erleichtern, den Neonaziaufmarsch möglichst störungsfrei ablaufen zu lassen und zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Protest in Hör- und Sichtweite zu unterbinden. [...]
Unbedingte Kriminalisierung von Blockaden
Die antifaschistischen Proteste, denen es gleichwohl gelang, den Neonaziaufmarsch zu verhindern, waren geprägt von Blockaden als Formen des zivilen Ungehorsams. Die Dresdner Strafverfolgungsbehörden lassen es sich dennoch nicht nehmen, diese Aktionen strafrechtlich zu verfolgen. AntifaschistInnen werden nach §21 Versammlungsgesetz kriminalisiert, weil sie durch ihre körperliche Präsenz an einem bestimmten Ort ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, die Neonazis nicht marschieren zulassen.
Von diesem politischen Vorgehen lässt sich die Staatsanwaltschaft Dresden auch nicht dadurch abbringen, dass das Sächsische Versammlungsgesetz durch den Sächsischen Verfassungsgerichtshof im April 2011 rückwirkend für nichtig erklärt worden ist und daher am 19.Februar 2011 keine Geltung hatte. [...] Sie stellt sich damit bewusst und offen gegen den zentralen strafrechtlichen Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz» aus Art.103, Abs.2 des Grundgesetzes. [...]
Immunität gilt nicht bei praktiziertem Antifaschismus
Wohl einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte dürften auch die Fälle von Bodo Ramelow und Dr. André Hahn sein. Den Vorsitzenden der Fraktionen der LINKEN im sächsischen und thüringischen Landtag wurde mit den Stimmen von FDP und CDU, in Sachsen sogar gemeinsam mit der NPD, die parlamentarische Immunität genommen, weil sie am 14. Februar 2010 an Versammlungen gegen Neonazis teilgenommen hatten.
Ein „elektronischer Polizeikessel» (Wolf Wetzel)
Die sächsischen Sicherheitsbehörden wollen den antifaschistischen Protest um jeden Preis unter ihre Kontrolle bekommen. [...] Rund um den 19.Februar 2011 wurden auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden bei mehreren Dutzend Funkzellen alle an diesem Tag angefallenen Telekommunikationsverkehrsdaten abgefragt. Dies führte zur Erhebung von insgesamt mehr als einer Million Datensätzen. Von über 54000 Mobilfunknutzern wurden die persönlichen Stammdaten erhoben. Betroffen war das Gebiet, in dem sich an diesem Tag ein vielfältiges Versammlungsgeschehen abspielte und sich bekanntlich – neben Tausenden von DemonstrantInnen – Abgeordnete, Geistliche, RechtsanwältInnen, JournalistInnen und sonstigen BerufsgeheimnisträgerInnen aufhielten.
Weder Polizei oder Staatsanwaltschaft noch das die Maßnahme anordnende Amtsgericht sahen hierin ein Problem. [...]
Nach den Maßstäben eines sächsischen Rechtsstaats scheint die Funkzellenabfrage ein Standardinstrument zu sein, dessen Einsatz niemals an einer Unverhältnismäßigkeit scheitern könnte. Die Grundrechtsferne der zuständigen Strafverfolgungsbehörden wurde durch die Untersuchung des sächsischen Datenschutzbeauftragten zu den Funkzellenabfragen manifest. In seinem Bericht wird ein Schreiben der Polizeidirektion Dresden zitiert, wonach sie einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit der betroffenen Personen mit dem Argument ablehnt, wegen der Heimlichkeit der Maßnahme würden die Betroffenen doch überhaupt nicht von der Wahrnehmung ihrer Grundrechte abgehalten.
Das Konstrukt einer kriminellen Vereinigung
Im Laufe des Jahres 2010 genügte es den sächsischen Sicherheitsbehörden aber nicht mehr, direkt gegen die antifaschistischen Proteste rund um den 13.Februar vorzugehen. Sie wollten die antifaschistischen Aktivitäten nachdrücklich bekämpfen [...] Zu diesem Zweck konstruierten die Dresdner Strafverfolgungsbehörden eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB. [...]
Einzelne in Gruppen verübte Straftaten zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten wurden kurzerhand als Straftaten einer nicht näher definierten kriminellen Vereinigung deklariert. Keine Rolle spielte es, dass kaum einer der TäterInnen an den jeweiligen Tatorten identifiziert werden konnte. Zu Mitgliedern der Vereinigung wurden diejenigen erkoren, von denen die Staatsanwaltschaft Dresden ausging, dass sie der sächsischen Antifa-Szene angehören. Die Annahme, dass es sich dabei um eine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handele, wurde mit der augenscheinlichen körperlichen Fitness der vermeintlichen TäterInnen begründet. Aus der Tatsache, dass bei den Taten keine Kommandos gegeben wurden, leitet die Staatsanwaltschaft zudem ein bestimmtes „Kennverhältnis» ab. Mitglied in dieser Vereinigung soll übrigens auch der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König sein, der zwar nicht für seine körperliche Fitness, aber für seine Megafon- und Lautsprecherdurchsagen bei Demonstrationen bekannt ist. [...]
Sächsische Maßstäbe
Die martialische Razzia im Haus der Begegnung am 19.Februar 2011, der Einsatz von Pepperball-Geschossen gegen AntifaschistInnen, die Überwachung aus der Luft mit Drohnen, der Einsatz von Wasserwerfern bei Minusgraden gegen nicht gewalttätige Menschenmengen und die bundesweit durchgeführten Durchsuchungen bei AktivistInnen sind weitere Beispiele hierfür. Es geht darum, sämtliche Facetten des Protestes zu kriminalisieren, die sich nicht auf die Teilnahme an einer Menschenkette weitab vom Neonaziaufmarsch reduzieren lassen. Sie scheinen für die Behörden das eigentliche Problem zu sein, nicht der (ehemals) größte Neonaziaufmarsch Europas.
Exemplarisch für dieses Vorgehen steht die Einschätzung der Polizeidirektion Dresden, dass es sich bei der Blockade von Neonaziaufmärschen um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung» handelt. [...] Das Durchfließen von Polizeikräften wird von dieser Allianz als Gewalttätigkeit diffamiert und es werden entsprechende Konsequenzen gefordert. [...]
Die oben angeführten Beispiele stellen nicht bloß einzelne Überschreitungen rechtsstaatlicher Grenzen dar. Sie bedeuten vielmehr eine systematische Missachtung und Umdeutung bislang geltender rechtsstaatlicher Grundsätze. In Dresden gilt offenbar ein eigenes Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis. [...] Dies zeigt sich auch darin, dass die dortigen AmtsträgerInnen immun gegen jede diesbezügliche Kritik sind und ihre offensichtlich rechtswidrigen Maßnahmen gar offensiv verteidigen und weiterhin fortsetzen. [...]
Wohlgemerkt, es geht hier um die Verhinderung eines Neonaziaufmarschs in einem Bundesland, in dem NaziterroristInnen und rassistische Mörder jahrelang unbehelligt von den Behörden Kapitalverbrechen planen und begehen konnten; einem Aufmarsch, der das zentrale Treffen der deutschen und europäischen Neonaziszene darstellt. [...]
Fazit
Das massive Vorgehen der sächsischen Allianz hat das Potenzial, bundesweit Schule zu machen. [...] Dresden muss auch als Versuchslabor für das Vorgehen gegen soziale Bewegungen angesehen werden. Die politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen um das Vorgehen der Sicherheitsbehörden und das damit entstehende Klima könnten bundesweit die rechtlichen und politischen Maßstäbe sicherheitsbehördlichen Handelns verschieben. [...]
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