Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2014
 

IGM-Bevollmächtigter bevorzugt werksleitungsfreundliche Betriebsratsliste gegen fordernde Opposition

von Jochen Gester

In Unternehmen mit Betriebsrat gibt es gerade überall Wahlen zur Interessenvertretung, so auch im Berliner BMW-Werk für Motorräder. Doch sind Wahlen hier alles andere als eine Gelegenheit für die Belegschaft, sich für die Kandidatinnen und Kandidaten zu entscheiden, bei denen sie ihre Interessen am besten aufgehoben sieht.In den 80er Jahren versuchte die Werksleitung, sich einen Betriebsrat (BR) nach gusto zu schaffen. Dafür wurden BR-Wahlen in unzulässiger Weise beeinflusst. Das war insofern erfolgreich, als die für die Geschäftsleitung «Richtigen» tatsächlich die Mehrheit erhielten. Die sog. «Mannschaft der Vernunft» erwies sich des in sie gesetzten Vertrauens würdig und setzte alles daran, alle oppositionellen Kräfte zu bekämpfen, die dem Betrieb etwas abverlangen wollten.

Im Zuge dessen kündigte BMW auch den aktivsten Köpfen der Opposition. Dies geschah mit Zustimmung der «Mannschaft der Vernunft». In einer mehrjährigen Auseinandersetzung, unterstützt durch die Arbeit eines Solidaritätskomitees, gelang es jedoch, vor den Arbeitsgerichten über alle Instanzen durchzusetzen, dass die Kettenkündigungen für rechtlich unwirksam erklärt wurden. Die Gekündigten mussten wieder eingestellt werden. Auch die Betriebsratswahl wurde angefochten und musste wiederholt werden. Die drei gemaßregelten Kollegen Peter Vollmer, Rainer Knirsch und Hans Köbrich wurden mit ihrer IG-Metall-Liste wieder in den Betriebsrat gewählt.

Seitdem war es lange Jahre eine von allen respektierte Tatsache, dass die Belegschaft von zwei offiziellen IG-Metall-Listen vertreten wird und selbst entscheidet, wer die Mehrheit bekommt. In den Jahren 1994–2002 hatten die wiedereingestellten Kollegen die Mehrheit und stellten mit Rainer Knirsch den Betriebsratsvorsitzenden. Danach ging die Mehrheit an die Nachfolgertruppe der «Mannschaft der Vernunft», während die zweite IG-Metall-Liste mit dem Namen «Klare Linie» seitdem in der Minderheit ist.

Es gibt eben zwei Lager in der Belegschaft: Der eine Teil sieht die Zukunft am besten dadurch gesichert, dass der Betriebsrat dem Arbeitgeber möglichst stark entgegenkommt. Der andere sieht darin ein Aufgeben von legitimen Interessen. Wer die Mehrheit erhält, bestimmen die, die nicht festgelegt sind und ihre Wahlentscheidung je nach den Antworten der Listen auf ihre aktuellen Probleme treffen.

Der Brief

Vor diesem Hintergrund war es geradezu eine Provokation, dass der zweite Bevollmächtigte der Berliner IG Metall, Klaus Abel, sich mit einem Flugblatt an die Belegschaft wandte. Die Leistungen der gegenwärtigen Betriebsratsmehrheit wurden darin über den grünen Klee gelobt und ihre Wiederwahl empfohlen. Über die zweite Liste und ihre Anteile an den erzielten Erfolgen stand darin kein Wort.

Dabei muss Klaus Abel wissen, dass die amtierende Mehrheit mit ihrem Vorsitzenden Volker Schmidt in den letzten Jahren den Betriebsräten der «Klaren Linie» systematisch Informationen über die Verhandlungen des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber vorenthielt und erst durch Arbeitsgerichtsurteile dazu gezwungen werden konnte, diese rechtswidrige Praxis einzustellen. Auch wurde der «Klaren Linie» ein Freistellungsmandat verweigert. Auch hier führte erst der Gang zum Arbeitsgericht dazu, dass der Betriebsrat sich an geltendes Recht hielt.

Die Listenführerin der «Klaren Linie», Ivonne Hermann, wandte sich deshalb mit einem Brief an die Verwaltungsstelle der IG Metall, um gegen das Vorgehen von Klaus Abel zu protestierten. In ihrem Brief heißt es:

«Es kann nicht angehen, dass ein Angestellter meiner Gewerkschaft für eine IGM-Liste Werbung macht, obwohl es im Berliner Werk zwei anerkannte IGM-Listen gibt. Sich als Sprecher meiner Gewerkschaft ausgibt und in der betrieblichen Öffentlichkeit so für eine Liste Partei ergreift und damit ganz massiv in den laufenden Wahlkampf eingreift. Du [Klaus Abel] forderst die betrieblichen Wähler gänzlich unverhohlen und gezielt dazu auf, wem sie ihre Stimme bei der Betriebsratswahl am 18.März geben sollen. Und zwar einer IGM-Liste, die nicht einmal eine reine Gewerkschaftsliste ist!

Auf der zweiten, unserer, IGM-Liste befinden sich nicht nur ausschließlich IG Metaller, sondern neben langjährigen Betriebsräten auch etliche Funktionsträger der IG Metall. Wir haben unsere Fahne der Gewerkschaft immer hoch gehalten. Wir sind immer inner- wie auch außerbetrieblich in vorderster Front für unsere Gewerkschaft aufgetreten, während die Liste, für die Du in unserer Betriebsöffentlichkeit so unverhohlen Partei ergreifst, die innerbetriebliche Gewerkschaftsarbeit 1A beerdigt hat.

Und Du unterstellst und suggerierst den betrieblichen Wählern, dass die Betriebsräte auf unserer IG-Metall-Liste an den von Dir genannten Erfolgen des Gremiums Betriebsrat in den letzten Jahren völlig unbeteiligt waren. Du hast mit Deinem Flugblatt unter den IGM-Mitgliedern im Werk eine Welle der Empörung ausgelöst und die Gewerkschaft im Betrieb in zwei Lager gespalten.

Wir fordern von Dir binnen drei Tagen eine schriftliche betriebsöffentliche Richtigstellung. Mit gleicher Mail haben wir unser Schreiben und Dein Flugblatt an den Vorsitzenden der Verwaltungsstelle Berlin, Arno Hager, den Bezirksleiter Olivier Höbel und den Vorstand der IG Metall Detlef Wetzel weitergeleitet.»

Geheime Abmachungen

Da die Betriebsratsmehrheit Ivonne Herrmann und ihren Kollegen jetzt Einblick in vorher gesperrte Unterlagen gewähren muss, ersann sie eine neue Praxis. Die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber werden nun so papierlos wie möglich durchgeführt. Doch hat dies Grenzen. Betriebsräte der «Klaren Linie» konnten in den Unterlagen des amtierenden Betriebsrats eine «Aktennotiz» entdecken, in der dieser der Werksleitung zugestand, Beschäftigte der Montage im Berliner BMW-Werk deutlich schlechter zu bezahlen als in den bayerischen Werken. Um in der Lohngruppe 5 eingruppiert zu werden, müssen die Berliner mindestens 30 Arbeitsinhalte beherrschen. In Bayern sind dies lediglich 12.

Diese Ausnahmeregelung stand in keiner Betriebsratssitzung zur Diskussion, geschweige dass es dazu einen ordentlichen Beschluss des Betriebsrats gibt. Das wurde einfach durch eine Aktennotiz vom BR-Vorsitzenden umgangen und damit in unlegitimer Weise der Kontrolle durch die Betriebsratsmitglieder entzogen und gegenüber der Belegschaft verheimlicht.

Am 18.März wurde im Motorradwerk der neue Betriebsrat gewählt. Das Ergebnis: Der amtierende Betriebsrat wurde bestätigt. Die Kandidatinnen und Kandidaten der Liste «Klare Linie» erhielten ein gutes Drittel, 685 von 2057 gültigen Stimmen und damit 7 von 21 BR-Mandaten.

Im Herbst wird im Verlag Die Buchmacherei die Auseinandersetzung der 80er Jahre im Berliner BMW-Motorradwerk als Dokumentensammlung erscheinen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse liegt es nahe, dieses ungewöhnliche Lehrstück über Macht und Recht und die Aufgaben von Gewerkschaften nochmal zu studieren.

 

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